Er ist einer der Letzten seiner Zunft. Vor Jahren wurde sein Beruf offiziell aus der Handwerkerrolle gestrichen. Dabei schaut Michael Ress auf eine lange Familientradition zurück.
Einer seiner Vorfahren, Mathias Ress, wird urkundlich erstmals 1669 erwähnt. Er war Radmacher auf einem Gutshof zwischen Kolitzheim und Zeilitzheim, einer ehemaligen Poststation derer von Thurn und Taxis. Der Radmacher oder Wagner war ein angesehener Beruf und gerade an einer Poststation dringend nötig, um beispielsweise die Räder der Postkutschen zu reparieren. Aber der Wagner ist entgegen seinem Namen nicht nur für Wägen zuständig, sondern „für alle statisch belasteten Holzteile“, so Ress. Vom Beilstiel bis später zum Auto.
Mit 15 Jahren Wagner gelernt
Vor allem in der Landwirtschaft wurden Wagner früher gebraucht. Pflüge, Eggen, Rechen, Dreschflegel: all das kam aus der Werkstatt des Wagners. Oft war diese Werkstatt gleich neben der des Schmieds. Im Dorf zwei der wichtigsten und angesehensten Berufe. Der Wagner hat das Rad gefertigt, der Schmied dann den Eisenreifen aufgezogen.
Michael Ress ist in die Tradition seiner Familie eingestiegen, hat mit 15 Jahren Wagner gelernt und 1974 seinen Meisterbrief im Wagnerhandwerk in Händen gehalten. Bis vor zehn Jahren hat er noch Lehrlinge ausgebildet. Sein Beruf allerdings wurde 1998 abgelöst vom Berufsbild der Wagen- und Fahrzeugbauer. 2008 wurde das Wagnerhandwerk dann auch noch als Ausbildungsberuf aufgehoben. Der letzte Wagnerlehrling Deutschlands legte 2009 seine Gesellenprüfung ab.
„Es gibt keinen Bedarf mehr am Wagner“, bedauert Ress. Seine Hauptbeschäftigung im Kutschenbau wird nicht mehr nachgefragt. „Heutzutage muss alles schnell gehen, da kann sich keiner mehr für Kutschfahren begeistern.“ Denn bevor eine Kutsche losfahren kann, braucht es rund ein Stunde Vorbereitung, nach der Fahrt wieder eine Stunde zum Ausspannen und Reinigen. Und auch die Pferde wollen versorgt sein. So viel Arbeit nehme heute kaum mehr jemand für eine Kutschfahrt auf sich.
Trotzdem hat Ress seine Nische als Wagner gefunden. Neben der Reparatur von Kutschen hat er sich auf die Reparatur von Oldtimern spezialisiert. Erst vor Kurzen befand sich ein Mercedes Simplex Baujahr 1901 in seiner Werkstatt. Den hatte ein Kunde für 1,2 Millionen Euro gekauft, und nun sollten die Holzräder aus dampfgebogenem Robinienholz repariert werden.
Amerikanischen Oldtimer repariert
Allein um den Kostenvoranschlag zu machen, brauchte Ress fünf Stunden. Die 5000 Euro waren dem Kunden dann aber zu teuer, er ging für die Reparatur nach Osteuropa. Das kennt Ress gut. In Polen und Rumänien werde es den Beruf des Wagners noch lange geben, vermutet er, denn dort seien Kutschen und Einspänner noch gang und gäbe.
Bei einem amerikanischen Oldtimer mit Rädern aus Hickory-Holz musste Ress kreativ sein. Denn diese besondere Art der Walnussbäume gibt es bei uns nicht, das Holz ist zäh und gleichzeitig elastisch. Einen Stamm von Amerika nach Europa transportieren zu lassen, wäre zu teuer geworden, also hat Ress Stiele gekauft und daraus die Speichen der Räder gemacht.
Auch die Stadt Bad Kissingen hat seine Dienste unter anderem beim Rakoczy-Fest schon in Anspruch genommen. Heuer beispielsweise fertigte er eine Deichsel für das Ochsengespann.
Vor zwei Jahren reparierte er einen Hispano-Suiza Typ Alfonso XIII aus dem Jahr 1910, er gehörte einem Deutschen, der in Schanghai arbeitete. Das Auto stand in der Werkstatt, als ein Maibach vorfuhr und der thailändische Botschafter ausstieg. Er lud ihn spontan nach Thailand ein. Er sollte als Gast des thailändischen Königs, ein ausgesprochener Oldtimerfan, dessen Fahrzeuge begutachten. Eine einmalige Chance für Ress. Doch bis alle Papiere zur Ausreise fertig waren, starb Rama IX. Bhumibol Adulyadej. Er hatte allein 17 Hispano-Suiza Typ Alfonso XIII, erzählt Ress.
Ein andermal kam ein Kunde im 500er Mercedes und holte ihn und seinen Gesellen ab. „Wir waren in Arbeitskleidung“, erinnert sich Ress, „der hat nur gefragt, ob wir unsere Pässe dabei haben.“ Der Fremde „entführte“ die beiden nach Wien in die Wagenremise von Schloss Schönbrunn. Vor Ort reparierte Ress das Verdeck einer Kutsche. Am Abend drückte der Kunde Ress 500 D-Mark in die Hand und meinte, er solle schauen, wie er heimkomme. „Wir haben uns in den Zug gesetzt und am nächsten Abend waren wir wieder da.“
Nische als Wagner gefunden
Kürzlich erst war Ress in der Gravenreuth'schen Güterinspektion in Affing. Marian Freiherr von Gravenreuth besitzt noch eine wunderschöne alte Kutsche, aber es ist buchstäblich der Wurm drin in diesem Besitz. „Überall ist die Kutsche vom Holzwurm zerfressen. Sogar die Fensterrahmen“, stellte Ress fest. Bald wird er die Kutsche holen. Sie kommt zuerst bei einem befreundeten Karosseriebauer in die Wärmekammer, um den Holzwurm auszuräuchern. Wenn die Schädlinge vernichtet sind, geht es an die Reparatur. Einige Holzteile müssen ausgetauscht, andere nur neu lackiert werden.
Ress hat seine Nische als Wagner gefunden und auch seine Leidenschaft, er selbst hat ebenfalls zwei Oldtimer in der Werkstatt stehen. Einer davon ist eine Corvette C3. An der repariert er schon seit zehn Jahren, immer dann, wenn grade einmal nichts zu tun ist. So gesehen sind die zehn Jahre eigentlich ein gutes Zeichen für den Betrieb, es ist eben fast immer was zu tun, und seine Fähigkeiten als Wagnermeister sind nach wie vor gefragt, wenn auch nur noch für spezielle Fälle.