Eigentlich könnte Rudolf Kühl ausschließlich die Freuden seines Ruhestandes genießen. So wie viele andere Rentner. Reisen in die Welt, Hobbys, Enkel oder Gartenarbeit. Das macht er zwar auch alles. Das eigene Fleckchen Erde am Haus hegt und pflegt er leidenschaftlich gerne zusammen mit seiner Frau. Voller Stolz deutet er auf die Tomatenstöcke mit ihren knallroten, faustgroßen Früchten. "Alle selbst gezüchtet", lässt er im Gespräch fast beiläufig einfließen. Auch die Rosen sehen prachtvoll aus, der Rasen ist sattgrün.
Der 76 Jahre alte Gerolzhöfer hat genügend Zeit dafür, er ist lange schon in Rente. Ein Urgestein, das viele kennen: Ob als Vorsitzender des Gewerbevereins "gerolzhofenAKTIV", als Organisator vom damaligen "Kunst im Garten" in Michelau, von "Kunst & Kulinarisches" in Gerolzhofen, vom Töpfermarkt oder von Ausstellungen im Scherenbergturm und vielem mehr. Das alles hat er im Laufe der Jahre aufgegeben oder Jüngere rangelassen.
Auch wenn seine Berufstätigkeit schon mehr als ein Jahrzehnt endete, hält er an einer Leidenschaft aber fest: der Nachwuchsbildung. Lange war Kühl Laborleiter bei SKF in Schweinfurt. Auch im Ausland war er tätig, sechs Jahre in den Niederlanden. Beruf war für ihn schon immer eine Berufung. Seine Welt waren die Schmierstoffe. Sogar im DIN-Norm-Ausschuss in Berlin hat er mitgearbeitet. Sein immerwährendes Ziel war: Alles muss reibungslos laufen, ob Maschinen, Kugellager oder Windräder. Kein Hänger, kein Stillstand, keine Leerlaufzeiten.
Viele ehrenamtliche Aufgaben neben seinem Beruf
Schon recht bald in seiner beruflichen Laufbahn hat er sich für den Nachwuchs engagiert. "Irgendwie bin ich da reingerutscht, weil sie niemanden hatten", gesteht er fast entschuldigend. Ab Anfang der 1980er-Jahre hat er im Unternehmen Chemielaboranten ausgebildet. Kühl freut sich über deren und auch seine Leistung: "Die haben alle mit eins oder zwei abgeschlossen."
Die hiesige IHK wurde schnell auf ihn aufmerksam, kurze Zeit später saß er im Prüfungsausschuss für diesen Ausbildungsberuf. 30 Jahre prüfte er die Lehrlinge. Zusätzliche unterrichte er den Meisternachwuchs der Metallbranche. Und alles ehrenamtlich, nebenher zum Job. "Ich habe das sehr gerne gemacht", sagt er ohne irgendeinen Anschein von Bedauern.
Seit nunmehr 40 Jahren gehört er außerdem dem IHK-Prüfungsausschuss für mehrere Meisterberufe an. Kürzlich hat ihn die Kammer ausgezeichnet. Dafür, dass er angehende Industriemeister für Metall und Logistik prüft am Ende ihrer Weiterbildung, sowie Technische Fachwirte und Industriefachwirte. Allein in dieser Funktion hat er mehrere Tausend schriftliche Arbeiten korrigiert und, so schätzt er, weit über 2000 Bewerberinnen und Bewerber mündlich geprüft. Die Letzten erst kürzlich Ende Juli.
Mehr Frauen in Männerdomänen: "Das tut der Branche gut"
Apropos Frauen: Auffällig ist, dass immer mehr weibliche Fachkräfte ihren Meister in diesen Männerdomänen machen. Für Kühl ein positiver Trend. "Das tut der Branche gut. Viele Frauen haben mehr Drive, sind energischer, zielstrebiger und cleverer", stellt er fest. Bislang sei auch noch keine durch die Prüfung gefallen.
Wobei es schon Fälle gab, wo die Emotionen auf Achterbahnfahrt gingen. Manche Damen, berichtet er aus seinem Prüfungsleben, seien so aufgeregt, dass sie kein Wort herausbrächten. Einige wenige hätten sogar geweint. Solche Situationen gehen auch an ihm nicht spurlos vorbei. Der schönste Moment ist natürlich jener, wenn die Prüfer den Gesellinnen und Gesellen mitteilen dürfen, dass sie bestanden haben und ab sofort Meisterinnen oder Meister sind. "Da freuen wir uns natürlich sehr", gesteht er.
Guter Rat an den Nachwuchs: "Lernt, lernt, lernt!"
Und was gefällt ihm weniger nach vierzig Jahren? "Das Niveau hat nachgelassen", meint Rudolf Kühl. Woran das liegt, weiß er zwar nicht genau. Scheinbar fällt es vielen Anwärtern zunehmend schwer, sich aufs Lernen zu fokussieren. "Die Leute lernen weniger und sind nicht so bei der Sache. Bei manchen habe ich den Eindruck, dass sie gar keine Lust haben." Das verwundert ihn. Vielleicht, vermutet er, wollten heutzutage zu viele Menschen ihren Meister machen, die eigentlich nicht dazu fähig sind. Sein guter Rat an den Nachwuchs: "Lernt, lernt, lernt. Lernen erweitert den Horizont. Und es gibt nichts Schöneres, als in eine Prüfung zu gehen und sicher zu sein, alles zu wissen."
Warum tut er sich das an, auch nach 40 Jahren? "Ich brenne immer noch, junge Leute zu unterstützen und im Beruf voranzubringen. Das macht mir großen Spaß, es ist einfach eine schöne Tätigkeit", so Rudolf Kühl. Auf Auszeichnungen legt er dagegen weniger Wert. Den Wunsch des Fotografen, ihn mit seinen Urkunden abzulichten, wehrt er vehement ab. Lieber will er über sein Engagement sprechen.
Wie lange möchte er es noch machen? Das Prüfungsamt der IHK ist immer auf fünf Jahre befristet. Im Juli kommenden Jahres endet seine ehrenamtliche Berufungszeit. Dann wird er 77. Aber ans Aufhören hat er noch nicht gedacht. Selbst bei dieser Frage gibt er sich bescheiden. Seine Antwort, adressiert an die IHK, und ganz unprätentiös: "So lange Ihr mich braucht, komme ich wieder."