Seit Anfang des Jahres ist Jürgen Winter der neue Geschäftsführer des Leopoldina-Krankenhauses, das mit 2200 Mitarbeitern die größte städtische Tochtergesellschaft ist. Im Interview spricht er über die besonderen Herausforderungen für das Krankenhaus während der Corona-Pandemie, was er sich in Sachen Gesundheitspolitik wünscht und warum die Fusion zwischen dem Rhön-Klinikum und Asklepios in Bad Neustadt ihm keine Sorgen macht.
Jürgen Winter: Natürlich war das eine besondere Herausforderung, aber ich glaube wir haben das ganz gut gemeinsam bewältigt. Ich bin sehr dankbar allen meinen Mitarbeitern gegenüber, wie flexibel und professionell wir gehandelt haben.
Winter: Wir haben zeitnah eine Task-Force gebildet, in der Ärzte, Hygienefachkräfte, Katastrophenschutz, Unternehmens-Kommunikation vertreten waren. Da haben wir alle Informationen insbesondere vom Robert-Koch-Institut oder Krankenhaus-Fachgesellschaften verarbeitet und Entscheidungen getroffen, wie wir uns vorbereiten. Mit der Allgemeinverfügung der Staatsregierung konnte man gut arbeiten, da war klar geregelt, was man von den Krankenhäusern erwartet. Zum Beispiel Kapazitäten schaffen, wie Intensivbetten und Beatmungsplätze. Das war uns Ende Februar, Anfang März bewusst und wir haben zum Beispiel Beatmungsgeräte gekauft. Wir haben auch rechtzeitig begonnen, Schutzausrüstung zu besorgen, was sich als extrem schwierig erwiesen hat. Gleichzeitig haben die Mitarbeiter durch einen umsichtigen Umgang mit dem wertvollen Material dazu beigetragen, dass wir die uns anvertrauten Patienten schützen konnten.
Winter: Wir hatten, was Schutzkittel und FFP2-Masken anbelangt, immer genügend im Haus. Aber es gab auch Phasen, in denen wir uns Sorgen gemacht haben, ob es ausreicht. Wir mussten sparsam damit umgehen, der Einkauf bei uns im Haus hat es aber verstanden, auch aufgrund langjähriger Geschäftsbeziehungen, immer wieder Material zu bekommen. Wobei die Preise teilweise exorbitant gestiegen waren.
Winter: Die Atmosphäre war schon zu Beginn sehr angespannt, auch bei den Ärzten. Die hatten sich mit Kollegen aus anderen Regionen ausgetauscht, zum Beispiel im Grenzgebiet zu Frankreich. Der Engpass ist ja insbesondere bei den Beatmungsgeräten, und am Anfang war nicht ganz klar, ob es ausreicht. Gott sei Dank ist der Fall nicht eingetreten, was machen wir, wenn die Kapazitäten nicht ausreichen. Insofern kann man auch daraus schließen, dass die bundes- und landesweiten Maßnahmen richtig waren. Die Situation war angespannt, weil das Krankheitsbild nicht bekannt war, weder bei den Ärzten noch den Pflegern. Die Schilderung schwerer Verläufe und wie schnell sich das Krankheitsbild verändert, hat sicher niemanden ungerührt gelassen zu Beginn. Es gab auch die Sorge, dass wir unser eigenes Personal nicht ausreichend schützen können. Ab Mitte März mussten wir den Normalbetrieb komplett runterfahren, Kapazitäten frei machen, um für alle Eventualitäten vorbereitet zu sein und das Personal einzuteilen. Es ist bei einem Haus dieser Größe sehr professionell gelaufen, war aber auch eine Herausforderung gewesen.
Winter: Wir haben 595 Verdachtsfälle aus unserem gesamten Versorgungsgebiet aufgenommen, davon waren 82 bestätigte Covid-19-Fälle. 27 Patienten davon sind leider verstorben.
Winter: Ja, wir hatten den Eindruck, dass viele Patienten aus Sorge ferngeblieben sind und dadurch manche Krankheit hätte frühzeitiger erkannt werden können. Aus unserer Sicht war diese Angst unberechtigt, denn hier war die Gefahr, sich mit Covid-19 zu infizieren mit Sicherheit nicht größer als im allgemeinen Umfeld. Wir sind in der Lage, alle Patienten, die einer Krankenhaus-Behandlung bedürfen, zusätzlich zu Covid-19 zu behandeln. Wir haben ein Hygienekonzept, das immer wieder den neuesten Richtlinien des RKI angepasst wurde.
Winter: Anfang September hatten wir einen Verdachtsfall im Haus. Momentan ist die Situation, was das Krankenhaus anbelangt, entspannt.
Winter: Bilanz kann man erst Ende des Jahres ziehen. Es gibt das Krankenhaus-Sicherungsgesetz, eine Art Rettungsschirm für Krankenhäuser. Jedes Krankenhaus, das freie Betten gegenüber der Vorjahresbelegung zum gleichen Zeitpunkt geschaffen hat, bekam dafür je freies Bett 560 Euro. Das wurde auch sehr zeitnah ausgezahlt, so dass wir nie Liquiditätsprobleme hatten. Wir müssen mit dem Geld die Einnahmenausfälle im stationären als auch im ambulanten und im Wahlleistungs-Bereich kompensieren. Dazu reicht die Kompensationszahlung nicht, es wirkt sich also negativ auf das Ergebnis aus. Seit Anfang Juni haben wir Normalbetrieb, der aber nicht vergleichbar ist mit dem Vorjahr. Es gibt eine Zurückhaltung der Patienten, die ich aber sachlich für nicht gerechtfertigt halte, denn die Hygienestandards sind bei uns so, dass wir eine Infektion mit Covid-19 im Krankenhaus nahezu ausschließen können. Wir erwarten, dass Ende des Jahres die Erlöse deutlich niedriger sind als 2019 und man muss schauen, wie das im Rahmen der Budgetverhandlungen kompensiert wird. Grundsätzlich aber hat der Gesetzgeber uns rechtzeitig Unterstützung gegeben, damit wir sofort umschalten konnten auf den Notbetrieb.
Winter: Was Schutzmaterialien anbelangt, Hygienekonzepte, etc. ist alles geregelt. Was zu kurzfristigen Engpässen führen könnte, sind die Laborkapazitäten. Wir wollen sehr breit testen. Wir sind noch nicht damit zufrieden, wie lange das Ergebnis dauert. Im Moment bis zu einem Tag, wir möchten da kürzer werden. Das Problem ist, entsprechende Geräte zu bekommen. Mitte September soll ein entsprechendes neues Gerät bei unserem Kooperationspartner ankommen. Der Markt ist so, dass viele Geräte und Testmaterialien den Weg in die USA nehmen und nicht in Deutschland bleiben.
Winter: Als ich mich hier beworben habe, tat ich das deswegen, weil in der Krankenhauslandschaft das Leopoldina als Schwerpunktversorger bekannt ist, der sich medizinisch sehr gut entwickelt hat. Das ist tatsächlich so, und auch der Bau des Gesundheitsparks war zukunftsweisend. Mein Vorgänger hat es über die Jahre verstanden, das Haus in den schwarzen Zahlen zu halten. Jetzt müssen wir schauen, wie wir die Corona-Pandemie finanziell überstehen. Aller Voraussicht nach werden wir keine schwarzen Zahlen schreiben. Wir hatten Phasen, wo wir teilweise nur die Hälfte aller Betten belegt hatten. Mittlerweile sind wir nahezu auf dem Vorjahresniveau, aber Stand jetzt werden wir wohl zehn Prozent weniger Patienten haben als 2019.
Winter: Das Haus ist aus dem Jahr 1981. Es ist in Teilbereichen immer wieder saniert worden, um auf dem Stand der Zeit zu sein. Gleichzeitig ist die grundsätzliche bauliche Struktur planungstechnisch aus den 1970er-Jahren. Wir haben noch 3-Bett-Standard, ein Thema, das man mit Sicherheit verändern will. Manche Prozesse haben sich verändert, auch Technik muss erneuert werden. In der letzten Aufsichtsratssitzung haben wir eine Zielplanung vorgeschlagen für das gesamte Gebäude, um mit externer Unterstützung eine Planung zu bekommen, wie das Haus in der Zukunft ausschauen muss. Auf Basis dieser Zielplanung wollen wir mit dem Freistaat diskutieren, wie wir die Sanierung des Hauses für die Zukunft gewährleisten.
Winter: Positiv. Es gibt ja jetzt schon eine Kooperation mit der Geomed-Klinik in Gerolzhofen. Wir wollen das weiter ausbauen, so dass es für beide Seiten gute Ergebnisse gibt. Wir kennen uns untereinander zwischen den Krankenhäusern in der Region, haben auch während der Corona-Pandemie gut zusammen gearbeitet. Wir haben uns ausgetauscht, Regelungen abgesprochen, bei Schutzausrüstung gefragt, ob wir uns gegenseitig helfen können. Insofern: Kooperationen, ja, durchaus.
Winter: Nein, das macht mir keine Sorgen. Eine solche Fusion führt erstmal dazu, dass man selbst mit sich beschäftigt ist. Wir haben durchaus aus dem Konzern Bewerbungen bei uns. Das Leopoldina-Krankenhaus hat sich in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft in den vergangenen Jahren sehr gut positioniert. Ich sehe keinen Grund, warum das in Zukunft nicht genauso machbar sein sollte.
Winter: Im Krankenhaus-Finanzierungsgesetz steht, dass die Investitionen durch die Bundesländer zu gewährleisten sind. Im Budget, das wir mit den Krankenkassen vereinbaren, ist dafür nichts vorgesehen. Man muss feststellen, dass es keine vollständige Finanzierung von Investitionen mehr gibt. Wenn sie sanieren, müssen sie immer einen hohen Anteil mit Eigenmitteln finanzieren. Der Wunsch wäre, das für die Zukunft abzuschaffen. Aus dem normalen Betrieb Investitionen zu refinanzieren, ist auf Dauer nicht machbar. Wir brauchen das Geld, um den Betrieb zu gewährleisten, die Mitarbeiter vernünftig zu bezahlen und gleichzeitig innovativ zu sein, um technischen Entwicklungen in der Medizin gerecht zu werden. Die Mittel im Gesundheitswesen sind begrenzt, es ist sicher sinnvoll, darüber nachzudenken, wie die Krankenhauslandschaft zukünftig ausschauen soll. Das Fallpauschalen-System hat gezeigt, dass im Fall einer Pandemie die Vorhaltekosten eines Krankenhauses unterfinanziert sind. Über die Jahre hinweg wurden die Budgets für Rationalisierungen in den Krankenhäusern missbraucht, es gab Marktbereinigungen. Die Konsequenz ist, dass die Lohnsteigerungen im Krankenhaus über alle Berufsgruppen nicht zu hundert Prozent gegenfinanziert sind. Wenn man uns berechtigterweise während der Pandemie Applaus geschenkt hat, muss man nicht nur in der Pflege sondern generell sagen, dass auch Tariflohnsteigerungen gegenfinanziert sein müssen. Nur in der Pflege hat sich in diesem Jahr etwas geändert, dass die echten Kosten mit der Krankenkasse abgerechnet werden können.
Winter: Uns geht es da relativ gut. Im ärztlichen Bereich können wir aufgrund unseres Renommees und der Kooperation mit der Uni Würzburg die Stellen qualifiziert besetzen, da wir auch die volle Weiterbildung in vielen Fächern anbieten. Im pflegerischen Bereich können wir, anders als wir es wünschen, den Personalbestand nicht erhöhen. Wir können die 500 Stellen halten, aber nicht weiter aufbauen. Wir erhöhen jetzt die Zahl der Ausbildungsplätze in der Krankenpflege, zum 1. September haben wir 138 Plätze nur für das Leopoldina. Gegenüber 2018 ist das eine Steigerung um gut 70 Stellen, und wir wollen da weiter zulegen.
Winter: Wir zahlen den anderen Berufsgruppen keinen zusätzlichen Bonus. Der erste Pflegebonus mit 500 Euro kam von der Landesregierung in erster Linie nur für ausgebildete Pflegefachkräfte und Pflegehilfskräfte aufgrund der Belastung durch die Pandemie. Ein weiterer Fokus war auch, für den Pflegeberuf zu werben. Dann gab es einen Pflegebonus auf Bundesebene, der bisher aber nur die Altenpflege betrifft.
Winter: Wir haben das ganze Thema eng mit dem Betriebsrat abgestimmt. Kritik, dass wir das nicht kompensieren, ist mir aus dem Haus nicht bekannt. Angesichts dessen, dass wir momentan auch unter der Corona-Pandemie wirtschaftlich leiden, weiß ich nicht, wie ich das finanzieren sollte. Natürlich gab es teilweise Enttäuschung, dass man zum Beispiel als Therapeut, der mit dem Patienten gearbeitet hat, nicht von dem Bonus erfasst wurde. Wir haben zeitnah die Formulare ausgestellt, der Kreis der Begünstigten wurde vom Gesundheitsministerium festgelegt, da hatten wir keinen Einfluss.
Winter: Noch bevor ich angetreten bin im Januar, gab es Gespräche mit mir. Wir haben vereinbart, dass wir eine Umfrage bei den Mitarbeitern machen zum Thema Mobilität, ÖPNV und welche Erwartungen sie haben. Das wird im September umgesetzt. Es gibt erste Gespräche bzgl. der Sanierung des Parkhauses mit der Stadtverwaltung. Natürlich geht es auch bei der Zielplanung für die Sanierung des Krankenhauses darum, wie man das Thema Parken angeht.
Winter (schmunzelt): Wer das finanziert, davon war bisher keine Rede. Ich habe Verständnis für die Mitarbeiter, für die Anwohner und die Besucher. Wir sind gemeinsam mit der Stadtverwaltung dabei, eine Lösung zu erarbeiten. Wir brauchen ein tragfähiges Konzept und versuchen, die Belange der Anwohner zu berücksichtigen. Aber da kann ich im Moment noch keine Ergebnisse liefern und auch keine Zusagen machen. Es ist aber auf unserer Agenda weit oben. Es ist vielleicht ruhiger geworden um das Thema, aber nicht in Vergessenheit geraten.