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Schweinfurt
Leben im Zürch: Wo Stadt und Dorf nur ein paar Schritte trennen
120 Jahre Bürgerverein  Zürch. Eigentlich sollte groß gefeiert werden, doch dann kam Corona. Warum sich ein Blick in die Geschichte auch ohne Schlachtschüssel lohnt.
Der Zürch ist dort am schönsten, wo der Schweinehirte auf die Salvatorkirche schaut. Die Bronzegruppe wurde 2003 an der Ecke Burggasse/Rittergasse aufgestellt. Die drei Schweinchen und ihr Hirte wurden vom Üchtelhäuser Künstler Peter Vollert geschaffen.
Foto: Helmut Glauch | Der Zürch ist dort am schönsten, wo der Schweinehirte auf die Salvatorkirche schaut. Die Bronzegruppe wurde 2003 an der Ecke Burggasse/Rittergasse aufgestellt.
Helmut Glauch
Helmut Glauch
 |  aktualisiert: 07.04.2020 13:16 Uhr

Eigentlich wollte der Bürgerverein des Stadtteils Zürch imMärz so richtig feiern. Eine "Original Schweinfurter Schlachtschüssel", die zum Selbstverständnis der "Zürcher" gehört und ein Festakt im Rathaus, wären der rechte Rahmen gewesen für das Jubiläum "120 Jahre Bürgerverein Gemeinde Zürch Schweinfurt 1900 e.V." Womit wir  beim "eigentlich" wären. Die Festschrift war schon gedruckt, die Vorbereitungen weit gediehen, als das Coronavirus begann, das Land täglich ein bisschen mehr lahmzulegen.   

Gefeiert wird trotzdem, wenn die Zeiten wieder besser sind. Voraussichtlich im Oktober, so Zweiter Vorsitzender Gerhard Witzleben und Vereinskassier Horst Werberich. Aber dies ist in Zeiten wie diesen nur eine hoffnungsvolle Absichtserklärung. Vorab lohnt sich ein Blick in die zwölf Dekaden umfassende Geschichte und eine Spurensuche zu den Ursprüngen des Vereins bis hin zu seiner heutigen Bedeutung.  "Zürcher sein ist ein Lebensgefühl und die Leute, die dort wohnen, sind eine eingeschworene Gemeinschaft", so Gerhard Witzleben, der in der Rittergasse wohnt.

Da scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Eigentlich mitten in der Stadt finden sich sogar noch Beete für den Gemüseanbau im Stadtteil Zürch.
Foto: Helmut Glauch | Da scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Eigentlich mitten in der Stadt finden sich sogar noch Beete für den Gemüseanbau im Stadtteil Zürch.

Ein Lebensgefühl, das sich bis heute bewahrt hat und das sich auch bei "Nicht Zürchern" einstellt, wenn sie beispielsweise von der Rückertstraße oder der Brückenstraße aus, eine jener idyllischen Zürcher Gassen betreten. Von einem Schritt auf den anderen ist man sozusagen von der Stadt ins Dorf hinübergewechselt, wenn man das Pflaster von Rittergasse, Burggasse oder Linsengasse unter den Füßen hat.    

Geselligkeit und gute Nachbarschaft im Wandel der Zeit

Um die Pflege von Tradition, Brauchtum und Sitten ging es den Gründervätern des Stadtteil-Bürgervereins vor 120 Jahren genauso wie um gute Nachbarschaft und Geselligkeit. Die wurde im Zürch schon immer großgeschrieben. So waren es denn auch zwölf Stammtischbrüder, die am Neujahrstag  des Jahres 1900 nicht nur ein neues Jahrhundert feierten, sondern dieses markante Datum auch noch nutzten, um beim Frühschoppen im Gasthaus "Herzogs-Bräu" einen Bürgerverein zu gründen. Karl Erhardt war der 1. Zürcher "Bürgermeister". Eine Bezeichnung die sich zumindest am Stammtisch bis heute erhalten hat, auch wenn dieser "Bürgermeister" spätestens seit der Eintragung ins Vereinsregister 1996 ein Vorsitzender zu sein hat. Mit Frauke Zapf hat man seit dem 6. März wieder eine frisch gewählte Vorsitzende, die die Nachfolge von Katja Schöll antritt, die seit 2015 dieses Amt innehatte und die erst kürzlich mit Dank und Blumen aus ihrem Amt verabschiedet wurde.

Blick von der Stadt ins Dorf. Wer den Zürch betritt, entschleunigt, schlendert unwillkürlich gelassener durch die schmalen Gassen.
Foto: Helmut Glauch | Blick von der Stadt ins Dorf. Wer den Zürch betritt, entschleunigt, schlendert unwillkürlich gelassener durch die schmalen Gassen.

Historisch gesehen war der Zürch früher nicht nur Stadtteil, sondern eigenständige Gemeinde mit Bürgermeister, Gemeinderat, Schutzmann, Hebamme, Kindsbettwärterin und einem "Gemeindegöker", der für die Verbreitung von Neuigkeiten zuständig war. Die legendäre "Zürcher Schlachtschüssel", deren Neuauflage der Corona-Krise zum Opfer fiel, gab es von Anfang an. 1912, es war genug Geld in der Gemeindekasse, konnte eine Kirchweih steigen. Nach der Zwangspause durch den 1. Weltkrieg, kam das Vereinsleben nur  langsam wieder in Schwung. Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit sorgten für leere Taschen. Kleine Wanderungen und Kaffeekränzchen für die Damen mussten genügen.

Auch mal als "Sparverein" oder "Speisegesellschaft" bekannt

Die 1920er wurden zunehmend Golden und es fanden sich rasch Tanz, Kappenabend und Weihnachtsfeier im Kalender ein. 1927 war auch der Kirchweihumzug schon fester Bestandteil. 1932 wurde die Brauerei Hartmann am unteren Wall das neue Vereinslokal. In den späten 1930er-Jahren, die Nazis hatten längst die Macht übernommen, wurde der  Bürgerverein mal als "Sparverein" oder als "Speisegesellschaft" geführt. Mit Ausbruch des Krieges kam das Gemeindeleben komplett zum erliegen. 

Die Aktivposten beim Bürgerverein: Sitzend Vorsitzende Frauke Zapf. Stehend von links: Christian Payr, Horst Werberich, Gerhard Witzleben, Marco Wiesler, Silvia Joiner, Rolf Huppmann, Wolf-Dieter Laible, Andreas Schabel, Steven Klein.
Foto: Picasa | Die Aktivposten beim Bürgerverein: Sitzend Vorsitzende Frauke Zapf. Stehend von links: Christian Payr, Horst Werberich, Gerhard Witzleben, Marco Wiesler, Silvia Joiner, Rolf Huppmann, Wolf-Dieter Laible, Andreas ...

Erst zur Weihnachtszeit 1949 regte sich wieder Vereinsleben. Mit 77 Mark in der Kasse waren keine großen Sprünge zu machen. Schinkenessen und kleine Ausflüge waren der Anfang. Ab 1952 gab es Kahnfahrten auf dem Main mit Sandkähnen der Firma Blum – ein einzigartiges Vergnügen. 1955 wollte keiner Bürgermeister sein. Karl Pillney erbarmte sich und wurde zum beständigsten Zürcher-Gemeindeoberhaupt der Vereinsgeschichte – unerreichte 28 Jahre lang.

Essen, Trinken und Feiern wie die Feste fallen 

Mit ihm kam wieder richtig Schwung in den Laden. Die erste Kirchweih nach dem Krieg wurde gefeiert, frühere Veranstaltungen neu aufgelegt, neue kamen dazu. Schlachtschüssel, Wurst- und Schinkenessen, Kirchweih, Fasching, Kanufahrten, Ausflüge und natürlich das Weinfest. In der Aufbruchstimmung der 1950er-Jahre wurden im Zürch die Feste gefeiert wie sie fielen. 

Zürch 9 im Jahr 1909. Obwohl dieses Bild schon mehr als 110 Jahre alt ist, sind sogar einige Namen der 'Zürcher', die aus den Fenstern dieses Hauses mit Brunnen vor dem Tore schauen, bekannt. Max Steininger heißt der junge Mann im linken Fenster. Philippine und Paul Weichsel schauen aus dem mittleren Fenster. Oben links im Fenster Margarethe Loser.
Foto: Bürgerverein Zürch | Zürch 9 im Jahr 1909. Obwohl dieses Bild schon mehr als 110 Jahre alt ist, sind sogar einige Namen der "Zürcher", die aus den Fenstern dieses Hauses mit Brunnen vor dem Tore schauen, bekannt.

In den 1980er-Jahren wurde der unter Ensembleschutz stehende Stadtteil umfassend saniert. In diesem Jahrzehnt kam auch das vorläufige Aus für das Weinfest, 1996 war es aber wieder da und gehört seither fest zum Veranstaltungskalender.

Osterbrunnen, Weihnachtsbaum und manche gute Tat

Der Bürgerverein, ein Verein, in dem nur gefeiert wird? Keinesfalls! Die Zürcher nehmen sich auch sozialer Probleme an. An Einrichtungen der Kirchengemeinde St. Salvator – das evangelische Gotteshaus ist der optische Mittelpunkt des Stadttteils – werden immer wieder Spenden übergeben. Der Brunnen in der Burggasse wurde 1996 zum ersten Osterbrunnen der Stadt und an der Kirche stellt der Bürgerverein einen Weihnachtsbaum auf. 

Legendär: Ausflugsfahrten mit den Sandkähnen der Firma Blum.
Foto: Bürgerverein Zürch | Legendär: Ausflugsfahrten mit den Sandkähnen der Firma Blum.
1992 - die Frauengasse nach dem Abschluss der Sanierungsarbeiten.
Foto: Bürgerverein Zürch | 1992 - die Frauengasse nach dem Abschluss der Sanierungsarbeiten.

"Ein rühriger Verein ohne Nachwuchsprobleme", so Witzleben und Werberich. 148 Menschen aller Altersklassen – nicht alle leben direkt im Zürch – machen mit. "Viele die durch Miete oder Hauskauf in den Zürch kommen, finden zu uns", weiß Kassier Horst Werberich. Dabei sind Wohnungen oder sogar Häuser die zur Verfügung stehen, rar gesät. Seit der Stadtteil saniert wurde, ist der Zürch eine begehrte Wohnlage. Dörflich wohnen und kaum Verkehrsbelastung haben und dennoch nur einen Steinwurf vom Schweinfurter Rathaus weg zu sein, das bietet eben nur der Zürch. Und es könnten duchaus mehr Menschen sein, die dort wohnen. Es gäbe noch Häuser, die auf Sanierung warten, die aber weder hergerichtet, noch von ihren Besitzern zum Verkauf angeboten werden. "Spekulationsobjekte", sagt man wohl zu solchen Häusern. Auch deshalb ist es schwer, im Zürch heimisch zu werden. "Interessierte gäbe es genug", ist sich die Vereinsführung sicher.

Aufstellung zum Festzug 1978.
Foto: Bürgerverein Zürch | Aufstellung zum Festzug 1978.

Die Attraktivität des Bürgervereins hat wohl auch damit zu tun, dass viel mit der Jugend unternommen wird. Ausflüge und Kanufahrten den Main runter zum Beispiel. Die Zürcher Stadtteilkirchweih und das wiederaufgelegte Weinfest haben überlebt und fordern immensen personellen Einsatz der Helfer. Die einstige Schlachtschüssel wurde durch ein Jahresessen ersetzt, und das findet in unterschiedlichen Lokalitäten statt. Eine feste Vereinsgaststätte gibt es nicht mehr im Zürch. 1990 begann der Umbau der Gaststätte Hartmann – Treffpunkt der Zürcher seit 1957. Durch den Umbau fehlten die geeigneten Räume für die Schlachtschüssel, was deren Ende bedeutete.

Der Zürcher Nachwuchs in voller Erwartung: Kirchweih 1938 im Herzogsbräu.
Foto: Bürgerverein Zürch | Der Zürcher Nachwuchs in voller Erwartung: Kirchweih 1938 im Herzogsbräu.

Keine Wirtschaft mehr im Zürch, keine Lagerstätte für das "Fest-Equipment", das ist nicht schön für das Vereinsleben. "Eine Heimstatt finden" ist ein Traum des rührigen Bürgervereins, nachzulesen in der Festschrift. "Wie wäre es, wenn die Stadt das Anwesen Burggasse 17 entsprechend sanieren würde?" Ein Haus für alle Kulturschaffenden in der Altstadt, eine Lagerstätte und eine Anlaufstelle für den Bürgerverein. Zumindest einmal ernsthaft darüber nachzudenken wäre schon ein schönes Geburtstagsgeschenk für einen vitalen 120-Jährigen wie den Zürcher Bürgerverein. 

Fotoserie
Woher kommt der Name Zürch?
Erstmals urkundlich erwähnt wird der Zürch 1538. Bisher wurde vermutet, die Bezeichnung ginge auf das mittelhocheutsche Wort zirk oder zirch zurück, womit Tierkot gemeint war. Der dürfte wohl früher auch in den Gassen zu finden gewesen sein, wahrscheinlicher aber ist, dass der Name auf ein anderes zirk/zirc hinweist. Auf den Bezirk, genauer Burgbezirk zum Beispiel. Denn im späten Mittelalter war der Stadtteil Standort der Reichsburg. Dort nahmen die Henneberger Grafen, als vom Kaiser eingesetze Pfandherren, dessen Rechte in der Reichsstadt wahr. An die einstige Burg erinnern heute noch Namen wie Burggasse und Rittergasse. Beim Abbruch 1427 bieb die Burgkapelle stehen. Aus ihr entwickelte sich die schlichte Barockkirche St. Salvator.
Wahrscheinlich hat es etwas gedauert, bis das 'Vögelchen' des Fotografen kam. Anders ist kaum zu erklären, warum die Honoratioren auf diesem Bild alle so ernste Gesichter machen.
Foto: Bürgerverein Zürch | Wahrscheinlich hat es etwas gedauert, bis das "Vögelchen" des Fotografen kam. Anders ist kaum zu erklären, warum die Honoratioren auf diesem Bild alle so ernste Gesichter machen.
Der Stadtteil Zürch – mehr Idyll geht nicht.
Foto: Helmut Glauch | Der Stadtteil Zürch – mehr Idyll geht nicht.
 
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