„Wir haben jetzt Durst.“ Der Biermichel stoppt auf dem idyllischen Weg am unteren Wall entlang der Stadtmauer. Rückt seine Kappe zurecht, zupft an seiner blauen Schürze, lässt ein lausbübisches Grinsen über sein Gesicht huschen und freut sich, dass die 29 Gäste seiner Führung offenbar auch Durst haben. Also beugt er sich zu seinem Holzwägelchen hinunter, packt die Kölsch-Gläser aus und lässt von freundlichen Helfern aus der Gästeschar jedem ein Schlückchen Gerstensaft, in diesem Fall Wernecker, einschenken. Denn eines ist ja klar: Eine Führung zum Thema Bier durch die Schweinfurter Innenstadt ohne flüssige Unterstützung, das geht gar nicht.
Als alle ihr Gläschen haben und auch die Autofahrer mit einem stillen Wasser versorgt sind, fängt Michael Schmid, alias Biermichel, das Erzählen an, einen launigen Trinkspruch inklusive. An dem Platz am Untereren Wall kann man nämlich sehr viel zur Geschichte der Schweinfurter Brauereien, einstmals elf, illustrieren. Die Gruppe steht vor dem Gebäude der Wallbräu, 1807 wurde die Brauerei Hartmann am Wall gegründet. An der Fassade ist auch noch das imposante blau-weiße Logo aufgemalt. In den 1980er-Jahren endete die Geschichte der Wallbräu, sie musste Insolvenz anmelden.
Es folgte das große Brauereisterben in Deutschland Ende der 1980er, Anfang der 1990er-Jahre. Damals mussten viele kleine Betriebe aufgeben, da der Preisdruck durch die Großen der Branche zu groß geworden war. Die Biertrinker unter den Deutschen hatten ihr Verhalten geändert, auf einmal waren „Autobahnbiere“ in, also möglichst billig. Braukunst, Craft-Bier, kleine Privatbrauerein, alles, was heute als schick gilt, war vor 25 Jahren verpönt. Würde es die Wallbräu und ihr Märzen „Zürcher Gold“ heute noch geben, es hätte das Potenzial für ein echtes In-Bier. Vergangene Zeiten.
Einst Brauerei, heute Parkplatz
Im Schweinfurtführer von Peter Hofmann sind elf Brauereien für die Innenstadt Schweinfurts genannt: Hagenmeyer, Herzog, Rauschert/Ebersberger, Rossknecht, Roth, Schubert, Brauhaus, Vereinsbrauerei, Wagnerbräu, Wallbräu und Zur Bayerischen Krone Reif. Im Jahr 2018 gibt es nur noch eine, Roth, die sich etabliert hat im Konzert der nordbayerischen Brauereien und das auf dem angestammten Gelände zwischen Oberer Straße und Stadtmauer.
Der Biermichel lässt seine Gäste den Blick von der Wallbräu in Richtung des markanten Gebäudes der Mälzerei Günther Schubert, früher auch Brauerei, wenden. Daneben stand das 1832 eröffnete Brauhaus der Hagenmeyer Brauerei, die 1988 geschlossen wurde. Heute ist es ein Parkplatz.
Die idyllischen Seiten der Stadt
Dem Biermichel ist es wichtig, auf die große Brauerei-Tradition hinzuweisen, aber natürlich nicht nur hervorzuheben, was es nicht mehr gibt, sondern die manchmal ein bisschen versteckten, idyllischen Seiten der Stadt durch die eineinhalbstündige Führung auf ungewöhnlicheren Wegen vom Rathaus über die Zürch, den unteren und oberen Wall und den Marktplatz zurück zum Rathaus zu zeigen. „Schweinfurt“, sagt Michael Schmid mit einem Augenzwinkern, „ist ja manchmal erst auf den zweiten Blick schön.“ Ein zweiter Blick, das sei an dieser Stelle betont, der nur genaues Hinschauen und das Verlassen ausgetretener Pfade benötigt, nicht gerstensaftliche Unterstützung.
„Das Thema Bier hat mich interessiert, weil ich selbst gerne eines trinke“, erzählt der gelernte Bankkaufmann Schmid, der jetzt in einem Oldtimer-Autohaus in Schweinfurt arbeitet. „Aber am meisten gereizt hat mich die Verbindung, dass man nicht nur etwas über die Brauereien und ihre Traditionen, sondern die ganze Stadt und ihre Geschichte erzählen kann“, so der 53-Jährige, der sich mit seiner Ehefrau im vergangenen Jahr auf den Aufruf der Touristinfo Schweinfurt 360° meldete und professionell zum Stadtführer ausbilden ließ. Die Tour und die Figur des Biermichels hat Schmid selbst erarbeitet. Seit März ist er nun der Biermichel. „Als Braumeister bin ich nicht qualifiziert genug, also dachte ich mir, der Brauhelfer Biermichel ist doch genau der Richtige.“ Die Gäste finden das auch, denn Schmids launige, fränkisch-humorvolle Art kommt gut an.
Schlachtschüssel und Nachtsteuer
Die Verbindung von Schweinfurter Stadthistorie und einstiger Braukunst kann man besonders am weißen Turm gegenüber der in Dornröschenschlaf vor sich hindämmerten Gaststätte Oberer Wall sehen. Die Keller sind bei den von der SPD veranstalteten Führungen sehr beliebt, wo die alten Schanzen einst waren, steht heute die Brauerei Roth. Hier wird Schweinfurter Stadtgeschichte lebendig, auch in kulinarischer Hinsicht. „Eines unserer wichtigsten Kulturgüter“, so der Biermichel, ist die Schweinfurter Schlachtschüssel, 1856 erstmals vom Schweinfurter Metzgerwirt Georg Schwanhäusser serviert. Als Schmid berichtet, dass diese Ur-Schweinfurter Tradition beinahe der EU-Hygieneverordnung zum Opfer gefallen wäre und Schlachtschüssel-Gedichte sie retteten, staunen die Gäste.
Genauso wie über die kleine Anekdote zum Abschluss, die Nachtsteuer nach dem Ersten Weltkrieg, die die Stadt erhob, im Glauben, die Menschen würden schneller nach Hause gehen und sich nicht so lange nachts herumtreiben. Weit gefehlt, selbst 50-Pfennig-Lokalitäten wie das Hotel Ross, also die, die am meisten Steuer zu entrichten hatten, waren des nächtens weiter gut besucht. Und weil die Gäste so standhaft an ihrem Bier festhielten, wurde die Steuer im Volksmund „Hockesteuer“ genannt und natürlich auch ganz schnell wieder eingestampft.
Informationen, wann die nächste Biermichel-Führung stattfindet, und zu den anderen Themenführungen in Schweinfurt gibt es unter www.schweinfurt360.de