
Für zwei Sekunden ist das Pfeifen des Windes, der über die Tragflächen des Segelflugzeugs streift, bis hinunter zum Boden zu hören. Dann steht der Segler für einen Moment mit nach oben gerichtetem Bug kerzengerade in der Luft. Im nächsten Moment dreht er sich um die eigene Achse. Auf dem Rücken fliegend, vollzieht er einen Looping, um dann in eine steile Kehre zu fliegen. Dabei verliert das Segelflugzeug kontinuierlich an Höhe.
Es folgen noch ein paar schwerelos wirkende Kunststückchen. Dann landet der Segler sanft auf dem glatt gemähten Grasboden. Erst jetzt erkennt der Beobachter, was vorher am Himmel mit blankem Auge nur zu erahnen war: Der Segelflieger ist kein echter, ausgewachsener, sondern ein Modellflugzeug. Auch der freundlich lächelnde Pilot im Cockpit steigt nicht aus. Es ist eine Figur, festmontiert und unbeweglich.

Gesteuert hat das Flugmodell dennoch ein Pilot. Nur sitzt dieser eben nicht im Cockpit, sondern steht mit einer elektrischen Fernsteuerung, die um seinen Hals hängt, am Boden des Modellflugplatzes am Rand des Mahlholzes zwischen Gerolzhofen und Wiebelsberg. Es ist einer von gut 50 Modellflug-Könnern, die sich hier am vergangenen Wochenende zu den 26. Internationalen Deutschen Meisterschaften im Akro-Segelflug getroffen haben.
Reine Männertruppe aus drei Ländern
In zwei Gruppen treten sie an: 29 Piloten sind es in der Gruppe "Advanced", das sind die Einsteiger in dieser sportlichen Disziplin. In der Gruppe der "Unlimited", den Fortgeschrittenen, sind es 22 Piloten. An jedem der drei Wettkampftage erwartet die Piloten – in diesem Jahr eine reine Männer-Truppe aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz – mehrere Durchgänge.
Was für unbedarfte Zuschauer wie lockerer Freizeitspaß wirkt, ist tatsächlich anstrengend und mit viel Training, Disziplin und Können verbunden, wie Leonhard Gräf schildert. Er ist einer der Flugleiter, die für die Sicherheit rund um den Wettbewerb sorgen. Zugleich ist Gräf Platzwart auf dem Vereinsgelände der Modell-Sport-Gemeinschaft Gerolzhofen (MSG), die den hochkarätig besetzen Wettbewerb austrägt.

Jeder Pilot muss, wie Gräf es beschreibt, ein im voraus bekanntes Flugprogramm fliegen. Es folgt dann ein unbekanntes Programm, auf das sich die Piloten eine Stunde lang vorbereiten. Auf dem Aufgabenzettel stehen Flugfiguren wie "Käseecke", "Halber Hut" oder etwas von einem "270-Grad-Bogen". Dahinter stecken anspruchsvolle Flugmanöver, bei denen die Modell-Segler 45-Grad-Kurven, Viertelrollen oder Strecken im Rückenflug zurücklegen müssen.
Fünf Punktrichter achten auf jedes Detail
Motorbetriebene Schleppflugzeuge ziehen die Segelflieger auf eine Höhe von 580 Metern über Grund. Dann wird das Schleppseil ausgeklinkt und der Segler führt innerhalb einer sogenannten Box, das ist ein imaginär abgesteckter Luftraum oberhalb des am Boden stehenden Piloten, seine Flug-Kunststückchen aus. Dabei beobachten fünf Punktrichter jede noch so kleine Bewegung des Fluggeräts und verteilen ihre Punkte.
Dies gilt auch für die Kür. Dieses vom Piloten selbst ausgetüftelte Flugprogramm ist das optisch ansprechendste. Dies liegt daran, dass die Modellflieger während des Flugs Rauchpatronen zünden. Diese lassen bunte Farbwolken am Himmel zurück, die je nach Windstärke noch eine Weile zu sehen sind, bis sie verwehen.

Jeder Durchgang dauert etwa dreieinhalb Minuten. Nach circa eineinhalb Minuten haben die Schleppflugzeuge die Segler nach oben gezogen. Für das Flugprogramm sind dann gute zwei Minuten veranschlagt. Alle eingesetzten Segler entsprechen maßstabsgetreu Segelflugzeugen, die im Kunstflug eingesetzt werden, erläutert Lars Wenckel aus Greifswald. Er ist Sport-Fachreferent des Deutschen Modellflieger-Verbands (DMFV). Das Abfluggewicht der Segler betrage maximal 25 Kilogramm, sagt er.
Piloten campen direkt am Flugplatz
Die Bedingungen am Gerolzhöfer Modellflugplatz sind in den Augen von Wenckel optimal. Auf den Platz sei man aufgrund einer Empfehlung innerhalb des DMFV gestoßen und habe sich dann an die MSG als Platzherrn gewandt. Gerolzhofen liege auch geografisch günstig für die Teilnehmer aus dem süddeutschen Raum. Die Piloten und ihre Begleiter nächtigen in Wohnmobilen und -wagen direkt neben dem Flugplatz und werden vor Ort von Mitgliedern der MSG voll verpflegt. Auch dies funktioniere tadellos, lobt Wencke die Organisation des Wettbewerbs durch den örtlichen Modellsportverein.

Nils Kägi (30) gehört mit Thomas Schunk (46) zum achtköpfigen "Team Schwaben". Alle tragen blaue T-Shirts. Wie so viele ist Kägi über den Modellflugzeugbau beim Modellflug gelandet. 16 Jahre alt war er damals. Seinen ersten Kunstsegler hat er selbst gebaut, sagt er, genauso wie Schunk.
Dieser sagt: "Ich war schon als Baby im Kinderwagen beim Modellflug dabei." Sein Vater sei Vorsitzender eines Modellflugvereins gewesen. Wie Kägi schätzt er die familiäre Gemeinschaft der Kunst-Modellflieger. Die Szene sei übersichtlich, "man kennt sich", sagt Kägi.
Erfahrung und Augenmaß gefragt
Auf die Frage, was einen guten Piloten beim Modell-Kunstflug ausmacht, sind sich Kägi und Schunk einig: Talent, viel Training und "ein bisschen Erfahrung". Erfahrung gehöre beispielsweise dazu, um in den zur Verfügung stehenden 580 Metern Flughöhe alle acht Flugfiguren des Durchgangs mit den unbekannten Aufgaben unterzubringen. Denn am Ende des Durchgangs sollte der Flieger idealerweise genau die passende Höhe haben, um nach der letzten Flugfigur direkt landen zu können.

Christian Rückert (60) aus Niederbayern hat im Jahr 1980 mit dem Modell-Motorkunstflug begonnen. Seit 13 Jahren frönt er dem Modell-Segelkunstflug. Mit dem Vereinsgelände der MSG und dem Drumherum des Wettbewerbs ist er sehr zufrieden. "Man muss froh sein, so einen Verein zu finden", sagt er.