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Schweinfurt
Koffermahnmal steht verloren an der Synagogen-Gedenkstätte
Initiative gegen das Vergessen kritisiert den Umgang mit dem Koffer-Kunstwerk: "So darf Erinnerungskultur nicht aussehen."
Ziemlich verloren steht das Koffermahnmal an der Synagogen-Gedenkstätte. Es wurde Mitte des Jahres von der Öffentlichkeit unbemerkt aufgestellt.
Foto: Johanna Bonengel | Ziemlich verloren steht das Koffermahnmal an der Synagogen-Gedenkstätte. Es wurde Mitte des Jahres von der Öffentlichkeit unbemerkt aufgestellt.
Bearbeitet von Irene Spiegel
 |  aktualisiert: 09.02.2024 06:48 Uhr

Ein Kunstwerk aus Beton steht seit Mitte des Jahres an der Synagogen-Gedenkstätte in der Siebenbrückleinsgasse in Schweinfurt. Es stellt einen Koffer dar, der an die gewaltsam aus Schweinfurt deportierten Juden in der Zeit zwischen 1941 und 1944 erinnern soll. Der Koffer ist eingebettet in das Projekt "DenkOrt Deportationen", das aus zwei Teilen besteht: aus dem berührenden zentralen Denkmal am Hauptbahnhof in Würzburg und aus den Beiträgen einzelner Kommunen in Unterfranken, in denen es jüdische Kultusgemeinden gab. 42 Gemeinden ließen bisher von Künstlerinnen und Künstlern zwei Gepäckstücke gestalten, eines für den DenkOrt und ein identisches für die jeweilige Gemeinde. Die Gepäckstücke stehen symbolisch für die Menschen, die in die Konzentrationslager Osteuropas verschleppt und dort ermordet wurden.

Die Situation in Schweinfurt nimmt die "Initiative gegen das Vergessen" kritisch in Betrachtung: So hatte der Künstler und Kunsterzieher Selçuk Dislek, der bei der Triennale IV in der Kunsthalle Schweinfurt gewonnen hat und 2021 eine Einzelausstellung präsentieren wird, von der Stadt den Auftrag erhalten, ein Gepäckstück zu gestalten. In die Diskussion über einen passenden Standort sei die Öffentlichkeit aber nicht einbezogen worden, kritisiert die Initiative. Stattdessen stand der Koffer eines Tages im Frühherbst verloren, einsam und verschmutzt am Gedenkstein für die Synagoge. Ein Wort der Erklärung zu dem Kunstwerk suchte man vergeblich.

Ganz unten wird auf der Stele auf das Koffer-Mahnmal verwiesen.
Foto: Johanna Bonengel | Ganz unten wird auf der Stele auf das Koffer-Mahnmal verwiesen.

Benita Stolz vom Verein "DenkOrt Deportationen" glaubt daran, dass durch das Projekt "eine ganz eigene Erinnerungskultur" ermöglicht werde. Hintergrundinformationen zu dem Kunstwerk, zum historischen Zusammenhang und zur Bedeutung des Mahnmals finde man in Schweinfurt aber nur mit Mühe. Die gesamte Synagogen-Gedenkstätte ist eingerahmt von vier Stelen, die die Betrachter an die Geschichte der Schweinfurter jüdischen Bevölkerung erinnern. Die Themen der einzelnen Stelen lauten: Zeittafel zur Geschichte der Juden in Schweinfurt, Geschichte der Synagoge und des Gemeindehauses der Israelitischen Kultusgemeinde, Reichspogromnacht 1938, Deportation 1942. "Man sucht vergeblich eine singulär stehende Erklärungstafel zum Koffer-Mahnmal", bedauert die Initiative gegen das Vergessen. Seit wenigen Wochen könne der irritierte Betrachter nun auf der ersten Stele, die am weitesten entfernt vom Koffer-Kunstwerk steht, ganz weit unten einen Hinweis erkennen – auf den Künstler und auf die Tatsache, dass der Koffer als Beitrag zur "Erinnerung an die jüdischen Opfer der Nationalsozialisten" zu verstehen sei.

Eine offizielle Einweihung des DenkOrtes fand nicht statt, sicher aufgrund der Corona-Situation. Die Öffentlichkeit sei aber auch nicht auf einem anderen Weg über das Koffer-Kunstwerk informiert worden. Johanna Bonengel, die in der Initiative gegen das Vergessen aktiv ist, meint, dass man so, wie in Schweinfurt mit dem Koffer-Kunstwerk umgegangen wird, die Bevölkerung nicht sachgerecht informiere, geschweige denn sie berühre oder sogar erschüttere. "Eine Chance wurde vertan. So darf Erinnerungskultur nicht aussehen."

Zum Glück könne man aber in der Zeitschrift des Historischen Vereins "Schweinfurter Mainleite", Nummer 4, Dezember 2020, Hintergrundinformationen nachlesen.

 
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  • E. B.
    An Andy 25: Diesen Kommentar haben sie schon mal vor einigen Monaten losgelassen. Ja, machen Sie das doch mal der Israel. Gemeinde in Würzburg schmackhaft...
    Und wenn es hier noch eine Grünanlage gibt, das zieht doch nur noch mehr Schmutzverursacher hier her.
    Die Grünanlage aus dem hist. Atlas war aber ab 1874 bebaut..., einmal dürfen Sie raten, mit was. Und das Ergebnis der Anfrage in WÜ würde mich sehr interessieren.
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  • F. R.
    Bevor man hier, wie derzeit überall anderswo in SW, klein denkt sollte man erst einmal die große Lösung versuchen! Die Ecke Siebenbrückleinsgasse/Johannisgasse, mit der hässlichen Kriegs-Baulücke, noch vergrößert durch den Abbruch des jüdischen Gemeindehauses in der Nachkriegszeit, ist ein Schandfleck in der Altstadt. Will man den weiterhin so belassen?

    Die jüd. Gem. WÜ wuchs infolge Spätaussiedler bereits auf 1000 Mitglieder aus ganz Mainfranken. Deshalb sollte man ihr das SWer Grundstück des ehem. jüd. Gemeindehauses kostenlos überlassen, wenn sie hier wieder ein Gemeindehaus errichtet. Eine Anfrage wäre doch wenigstens einen Versuch wert!

    Die Siebenbrückleinsgasse würde baulich wieder ein Stück weit mehr geschlossen und bekäme wieder jüdisches Leben! Wo gäbe es schon eine Synagoge in einer SIEBENbrückleinsgasse? Wir haben in Schweinfurt so viele Möglichkeiten in allen Bereichen, wie kaum in einer anderen Stadt, die nach Grieser leider wieder nicht erkannt und verschlafen werden.
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  • F. R.
    Sah gerade in der historischen Karte in BayernAtlas folgendes:

    https://geoportal.bayern.de/bayernatlas/?zoom=14&lang=de&topic=ba&bgLayer=historisch&E=588067.71&N=5544170.54&catalogNodes=122

    Zwischen Vorderhaus der Siebenbrückleinsgasse und der Schranne (heutige Sparkasse) war ein Gartenhof. Den könnte man wieder als Beitrag zu mehr Grün in der Stadt anlegen und den hässlichen Sparkassenparkplatz hier entsiegeln. Als öffentliche Begegnungsstätte hinter einem wiederaufgebauten jüd. Gemeindehaus. Ein weiterer Beleg, dass die Stadt so viele Möglichkeiten bietet. Man sollte versuchen, dass der Gem. in WÜ schmackhaft zu machen, da ohne emotionale Intelligenz bekanntlich beste Ideen scheitern.
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