
Schweinfurt hat sich das Ziel gesetzt, bis 2035 klimaneutral zu werden. Und die Industrie zieht mit. Beim Zukunftsforum von Stadt und Landkreis, das in diesem Jahr unter dem Motto "Netto-Null-Emission – Klimaneutrale Produktion" steht, zeigten stellvertretend zwei große Schweinfurter Industriekonzerne auf, was heute schon geht und was morgen noch kommt.
Das Traditionsunternehmen Bosch Rexroth AG war 2019 das erste großes Industrieunternehmen mit der konkreten Ankündigung, ab 2020 keinen CO2-Fußabdruck mehr zu hinterlassen. "Wir haben den Klimaschutz als Geschäftschance erkannt", sagt Leo Pototsky. Er ist am Firmensitz in Lohr Projektleiter der Energieeffizienz-Beratung GoGreen. Deren Aufgabe ist es, weltweit Energieeffizienz-Potenziale der firmeneigenen Fertigungswerke zu untersuchen und entsprechende Maßnahmen auszuarbeiten. Eines der wichtigsten Projekte, an dem GoGreen beteiligt ist, ist die Eta-Fabrik (Energieeffizienz, Technologie und Anwendungszentrum), die vom Institut für Produktionsmanagement, Technologie und Werkzeugmaschinen (PTW) der Technischen Universität Darmstadt geleitet wird.
In einem Jahr zur Klimaneutralität: Wie das funktionieren kann
Doch wie schafft man innerhalb eines Jahres Klimaneutralität? Pototsky nennt vier Punkte: den Willen zur Energieeinsparung, den Ausbau der Erneuerbaren Energien am Standort, den Bezug von grünem Strom überall auf der Welt und die Klimakompensation zum Ausgleich der Treibhausgas-Emissionen. Am Standort Schweinfurt mit 1400 Mitarbeitern wurden beispielsweise 80 Prozent der Standby-Funktionen abgeschaltet und Fertigungsprozesse optimiert, was deutliche Energieeinsparungen gebracht habe.
Laut Pototsky wurden bislang in über 50 Werken GoGreen-Analysen durchgeführt und über 1000 Maßnahmen umgesetzt. Energie und Kosten seien dadurch pro Werk um die Hälfte reduziert worden.

Der Fokus dürfe aber nicht nur auf die Produktionsprozesse liegen. "Wir müssen auch davor und danach schauen", sagt Pototsky. Welche Mengen an Treibhausgasemissionen sind mit einem Produkt über dessen gesamten Lebenszyklus hinweg verbunden? Diese Frage habe in den vergangenen Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Der Product Carbon Footprint (PCF) soll dabei helfen, Antworten zu liefern.
Auch die Digitalisierung und Dekarbonisierung will Bosch Rexroth weiter vorantreiben. Ziel sei auf Dauer die Schaffung einer kohlenstofffreien Wirtschaftsweise, die Ausrichtung auf Wirtschaft und Nachhaltigkeit. Und dazu braucht es Forschung, in die Bosch Rexroth ebenfalls investiert.
Schaeffler will Frauen ins Topmanagement holen
Schaefflers Weg zur nachhaltigen Produktion erläuterte auf dem Zukunftsforum Petru-Catalin Scafaru, ehemals Werkleiter in Schweinfurt und jetzt zuständig für das Schaeffler Production System. Ziel sei es, bis 2030 an allen 75 Schaeffler-Werken weltweit CO2-neutral zu produzieren und ab 2040 klimaneutral zu wirtschaften. Die regenerativen Energien sollen ausgebaut, die Energie-Effizienz gesteigert, der Frischwasserbezug reduziert und die Lieferketten nachhaltig gestaltet werden. Dazu will man Frauen ins Topmanagement holen und den Fokus auch auf die Arbeitssicherheit legen.
Thema Strom: Laut Scafaru kommen schon jetzt 68 Prozent des externen Stroms aus grünen Energiequellen. An den Fertigungsstandorten in Deutschland – auch in Schweinfurt – beziehe Schaeffler seit 2021 zu 100 Prozent Strom aus regenerativen Quellen. An einigen Standorten werde Strom auch selbst produziert. Zehn neue Photovoltaik-Projekte sind aktuell in Planung, eines in Schweinfurt. "Bis 2023 werden wir eine PV-Anlage im Werk haben", versichert Scafaru.

Thema Dekarbonisierung: Schaeffler will seine Produktion von fossilen Brennstoffen auf eine nachhaltige Alternative umstellen. "Ein herausforderndes Ziel", sagt Scafaru. Denn Erdgas sei zur Beheizung der Härteöfen essentiell. Noch offen ist, welche Ressourcen mit welchen Kosten zur Verfügung stehen. Im Schweinfurter Werk läuft ein Pilotprojekt mit Wasserstoff als Energie, auch Strom sei als Alternative denkbar.
In die Dekarbonisierung wird auch der Lieferprozess einbezogen. So sollen ab 2025 jährlich 100.000 Tonnen Stahl des schwedischen Unternehmens H2greensteel bezogen werden, der mit Wasserstoff produziert und nahezu CO2-frei ist.
Warum das Schweinfurter Werk von Schaeffler als Vorzeigeobjekt gilt
Thema Effizienz: Schaeffler will die Gebäudeinfrakstruktur, die Produktionsanlagen und die Heizungssysteme modernisieren, um den Energieverbrauch zu senken. Das Werk in Schweinfurt gelte in Sachen Nachhaltigkeit als Vorzeigeobjekt: Laut Scafaru wurden seit 2019 hier durch Energieeffizienzmaßnahmen 13 Gigawattstunden Strom und durch den Aufbau von von 37 Ladesäulen mit kostenfreiem grünen Strom für Dienst- und Mitarbeiterfahrzeuge 366 Tonnen CO2 eingespart.
Die Mitarbeitenden engagieren sich ebenfalls im Sinne der Nachhaltigkeit: 539 Schaeffler-Beschäftigte beteiligten sich am Schweinfurter Stadtradeln. Mit den erstrampelten 125.480 Kilometern sparten sie 18.446 Kilogramm CO2 ein.