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Schweinfurt
Kampfkunst Cane-Fu: Wenn Schweinfurter Senioren zu grauen Panthern werden
Mit Schirm, Charme und Gehstock: In der Volkshochschule lernen Rentnerinnen und Rentner, wie man sich selbst verteidigt. Jan Fitzner zeigt ihnen die Technik.
Rentnerinnen und Rentnern lernen in dem neuen Kurs 'Cane-Fu' an der Volkshochschule Schweinfurt die Technik, sich mit Schirm oder Stock zu verteidigen.
Foto: Anand Anders | Rentnerinnen und Rentnern lernen in dem neuen Kurs "Cane-Fu" an der Volkshochschule Schweinfurt die Technik, sich mit Schirm oder Stock zu verteidigen.
Uwe Eichler
 |  aktualisiert: 24.11.2023 03:33 Uhr

Fans des Fantasy-Epos "Herr der Ringe" wissen, dass Gehhilfen nicht zu unterschätzen sind. Im Film schmuggelt Gandalf der Magier seinen Zauberstab verschmitzt an den Wachen vorbei, zwecks Gerontotherapie bei König Theoden: "Ihr wollt einem alten Mann doch nicht etwa seine Stütze nehmen?" Auch im gesetzteren Alter muss Selbstverteidigung keine Zauberei sein. Schon im 19. Jahrhundert haben britische Gentlemen auf "Bartitsu" geschworen: die Fähigkeit, sich als Dandy mit dem Knaufstock zu wehren, sobald es im nebligen London, vielleicht in Soho, Ärger gab.

Schweinfurt ist nicht Soho. Aber auch in heimischen Parks oder Tiefgaragen möchten sich Senioren und Seniorinnen verteidigen können, falls sie von einem Halbstarken angerempelt werden. Willkommener Nebeneffekt: Das Training hält fit.

Mischung aus Kung-Fu und Kampf mit dem Stock

Jan Fitzner aus Bamberg bietet an der Volkshochschule Lektionen in "Cane-Fu" an. Gemeint ist eine Mischung aus Kung-Fu und Kampf mit dem Stock, englisch "Cane". Sir Arthur Conan Doyle schrieb seinem Romanhelden Sherlock Holmes die Fähigkeit zu, sich mittels Bartitsu verteidigen zu können. Edward William Barton-Wright hieß der reale Erfinder des Spazierstockfechtens, der seinen Namen Barton mit der japanischen Kampfkunst Jiu Jitsu kombiniert hat. Der Unternehmer und Physiotherapeut baute verschiedene europäische Kampfstile ein: die Urfassung des Cane-Fu.

Jan Fitzner, Cane-Fu Lehrer, bietet Rentnerinnen und Rentnern einen neuen Selbstverteidigungskurs in der Volkshochschule an.
Foto: Anand Anders | Jan Fitzner, Cane-Fu Lehrer, bietet Rentnerinnen und Rentnern einen neuen Selbstverteidigungskurs in der Volkshochschule an.

Fitzner, Jahrgang 1954, war früher Allgemeinmediziner in Stuttgart, wo er sich die Sorgen älterer Patientinnen und Patienten anhören musste, auf dem Nachhauseweg überfallen zu werden. Sieben Kursteilnehmer und -teilnehmerinnen, alle aus der demografischen Zielgruppe, schauen im Keller der VHS vorbei, die Stimmung ist fröhlich, aber schlagbereit.

Überraschungsmoment nutzen

Als Arzt weiß Fitzner, wo es wehtut, auch bei einem potenziellen Angreifer: "Alles, was wir mit dem Stock machen, geht auch mit dem Schirm." Selbstverteidigung bestehe wie ein Kuchen aus vielen Stücken – Gewalt sei dabei nur das letzte Mittel, "um Fünf vor Zwölf". Entscheidend sei, Konfliktsituation zu vermeiden, betont der Wahl-Bamberger, dunklen Ecken und Streit aus dem Weg zu gehen.

Es geht um das Gewinnen ohne Kampf, mit Höflichkeit, Respekt, Freundlichkeit, Friedfertigkeit. Lieber mal den Blick senken oder die Straßenseite wechseln, lautet das Motto des jetzigen Theologiestudenten. Wenn gekämpft werden muss, dann allerdings entschlossen, mit dem Überraschungsmoment als wichtigstem Verbündeten eines vermeintlich leicht zu demütigenden Zufallsopfers.

Schon ein Stüber mit der flachen Hand auf eine Rowdynase wirke Wunder. Auch der Eigenschutz will gelernt sein, vor allem des Kopfbereichs. Die Hände sollten bei einem dubiosen Gespräch immer "zufällig" oben sein, sagt Fitzner, etwa durch Gestikulieren. Der Stock oder Schirm wiederum lässt sich zu Stoß, Stich und Schlag einsetzen, auch zum seitlichen Wegschlagen oder Blocken.

Die Unterrichtseinheiten bestehen aus drei Mal zweieinhalb Stunden. Um einen gutmütigen Grandseigneur in einen gefährlichen grauen Panther zu verwandeln, reicht die Zeit nicht. Ein paar "Beißhemmungen" lassen sich aber schon abbauen. Ganz nebenbei dient das Üben der (inneren wie äußeren) Standfestigkeit auch der Sturzprophylaxe.

Nur fünf Cane-Fu-Lehrer in Deutschland

Seit 22 Jahren betreibt Fitzner Cane-Fu, als einer von nur fünf Lehrern in Deutschland. Dank Kai Pflaume, J.B. Kerner, Galileo und anderer Formate ist seine Kunst bereits TV-bekannt. Neben der "Kampfkrücke" schwingt er auch längere Stöcke, etwa den japanischen Hanbo. Philippinische und italienische Stockkampfkünste oder "Irish Stick Fighting" hat er ebenfalls trainiert.

Das ursprüngliche "Cane-Fu" stammt aus den USA, je nach Denkschule ähnelte es jedoch eher Seniorengymnastik oder Karate. Dazu gesellt sich Fitzners hoher "Technikergrad" im Wing-Chun-Kung-Fu, ebenso sein Schwarzer Gürtel in Kenko-Kempo-Karate.

Jan Fitzer (rechts) zeigt, wie man einen Angriff – im Bild Karsten Hubertus mit Stock (links) – mit dem Schirm abwehren kann.
Foto: Anand Anders | Jan Fitzer (rechts) zeigt, wie man einen Angriff – im Bild Karsten Hubertus mit Stock (links) – mit dem Schirm abwehren kann.

Seniorengerecht sollen die gelehrten Techniken sein, ohne Mattenwurf. Und: "Wir dürfen uns nicht einbilden, dass wir als Oma und Opa Jugendbanden besiegen könnten." Andererseits seien es oft nur Übergriffige oder Gelangweilte, die einen Kick suchen. Genau da sieht Fitzner den Einsatzbereich des völlig legalen, überraschend effektiven Gehstocks. Die VHS-Schüler sind oft selbst Kampfkünstler, die eine altersgerechte Betätigung suchen. Oder sind einfach nur neugierig auf den ungewöhnlichen Kurs. Der eine oder andere hatte schon beunruhigende Begegnungen, etwa mit Hunden.

Die Bewegungen sollen in Fleisch und Blut übergehen, ohne den Unfried schwer zu verletzen. Attacken mit Vorhand oder Rückhand, Standbeinwechsel, die ständige Neukombination von Schlag, Stoß, Stich, der Hieb auf das Schlagpolster, all das wird geübt.

Last but not least weiß Fitzner, dass Umstehende gerne mal mit dem Handy filmen, statt einem Rentner in Not beizustehen. Der Cane-Fu-Trainer rät, auch mal zurückzuweichen, damit klar wird, wer der Angegriffene, wer der Angreifer ist. Am Ende gibt es viel Applaus: Gut möglich, dass Jan Fitzner an die VHS zurückkehrt.

 
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