Das Auge weiß überhaupt nicht, wo anfangen und wo aufhören mit dem Schauen und Staunen. Kaum hat sich das Scheunentor geöffnet und das Licht brennt, stehen da in dem großen Raum 30, 40 Fahrzeuge. Die meisten sind anfangs noch mit Decken oder Laken verhüllt, nur ihre Konturen sind zu erahnen. Ein Großteil der Gefährte haben zwei Räder, mit und ohne Motor, manche stehen auf vier Rädern. Eines haben sie alle gemeinsam: Sie sind nicht mehr ganz taufrisch. Einzelstücke sind um die 100 Jahre alt. Den meisten Fahrrädern, Motorrädern und Autos sieht man ihr wahres Alter kaum an – sie sind bis ins Detail restauriert.
Das hier ist das Reich von Carmine Tantaro. Das Restaurieren alter Fahrzeuge ist seine große Leidenschaft. Es ist für ihn ein Hobby, für das er einen großen Teil seiner Freizeit nicht opfert, sondern liebend gerne investiert, wie aus seinen Schilderungen herauszuhören ist. In diesem Metier hat sich der Endvierziger aus Gerolzhofen die Fertigkeiten eines Profis angeeignet und verfügt über ein immenses Fachwissen. Speziell Fahrräder haben es dem gelernten Kfz-Mechaniker, der seit fast 30 Jahren in der Schmiede eines Schweinfurter Industrieunternehmens arbeitet, angetan. Dies zeigt auch eine kleine Ausstellung, die in Gerolzhofen im Schaufenster des früheren Schlecker-Marktes in der Spitalstraße zu sehen ist.
Standort der Scheune wird nicht verraten
Anders verhält es sich mit der Bastler-Scheune des Oldtimer-Liebhabers. Hier möchte er nicht, dass öffentlich wird, wo genau im Umland von Gerolzhofen sich diese befindet. Als er berichtet, dass selbst eine einzige Original-Klingel eines 70, 80 Jahre alten Fahrrads in Sammlerkreisen zu Preisen von 100 Euro aufwärts gehandelt wird, wird klar, weshalb er vorsichtig ist. In der Scheune, in der er schraubt, feilt, bastelt und repariert, und seine auf Vordermann gebrachten alten Schätze untergebracht hat, stehen hohe Sachwerte. Vom emotionalen Wert, die die Oldtimer für Tantaro haben, ganz zu schweigen.
Denn eines muss gleich zu Beginn erwähnt werden: Der Gerolzhöfer sammelt Oldtimer nicht, um diese anschließend wieder zu verkaufen. Er möchte mit den tipptopp hergerichteten Schmuckstücken, nach denen sich Sammler die Finger lecken würden, kein Geld machen. Die Arbeitszeit, die er in sein Hobby investiert, sei ohnehin nicht zu bezahlen, sagt er. Was er einmal irgendwo aus dem Sperrmüll gezogen, im Internet gefunden oder auf Flohmärkten oder aus entrümpelten Garagen erstanden hat, das möchte er nicht mehr hergeben.
Es geht um Fundstücke aus der Region
In dem ein paar Jahre älteren Matthias Braun, der ebenfalls aus Gerolzhofen stammt, hat Tantaro einen Oldtimer-Freund gefunden, der genauso tickt wie er selbst. "Uns geht es nicht darum, Oldtimer von weit her zu bekommen. Wir möchten Fundstücke hier aus der Region für die Nachwelt erhalten", sagt Braun. Er besitzt selbst mehrere alte Fahrzeuge, die er auch noch regelmäßig fährt. Dazu zählt beispielsweise das frühere Tragkraftspitzenfahrzeug der Feuerwehr Röthlein, Baujahr 1966. Im Jahr 2010 hat er es ersteigert. 16.000 Kilometer hatte es damals auf dem Tacho stehen. Jetzt sind es 21.000 Kilometer.
Auch Tantaro ist mit seinen Oldtimern regelmäßig unterwegs. Und das nicht nur mit dem 1000er DKW Coupé. Als er das Zweitakter-Auto aus dem Jahr 1959 einer Gerolzhöferin abgekauft hat, war er selbst gerade mal 14 Jahre alt. Also genau genommen hat sein Vater damals, im Jahr 1988, das Geschäft für Carmine abgewickelt. Doch fahrtüchtig gemacht und herausgeputzt hat den 44-PS-Oldtimer Tantaro Junior, der ihn immer noch fährt, "auch wenn das im heutigen Straßenverkehr kein Spaß mehr macht, nicht nur wegen der Lenkrad-Schaltung", wie er zugibt.
Hilfsmotoren für Fahrräder sind nichts Neues
Anders ist das mit den alten Fahrrädern. Diese haben freilich keine ausgefeilten Kettenschaltungen oder gar Elektromotoren, wie moderne Bikes. Doch wer nicht zu sehr strampeln wollte, für den gab es schon sehr früh Hilfsmotoren im Angebot. Tantaro hat gleich ein Beispiel zur Hand: Ein Rad des Herstellers Meister mit einem 98er Sachs-Motor. Das Vorkriegsmodell aus dem Jahr 1936 ähnelt noch sehr einer Mischung aus einem Fahrrad und einem Moped. Viel mehr nach einem Motorrad schaut da schon das NSU-Fahrrad von 1950 aus. Dies war eines der ersten Fahrräder, die Tantaro restauriert hat – und dabei durchaus Lehrgeld bezahlen musste, wie er zugibt. "Das Rad habe ich später nochmals restauriert, weil ich mit dem ersten Ergebnis aus meiner Anfangszeit nicht zufrieden war."
Gleich in der Nähe steht das Fahrrad, mit dem alles begann: Tantaros erster Uralt-Drahtesel, ein Sperrmüll-Fund. Das Gefährt des bekannten Herstellers Wanderer stammt aus dem Jahr 1940, wie sich dank der Gravur auf der Sachs-Nabe zweifelsfrei feststellen lässt. Das Rad hat bereits ein elektrisches Licht, eine sogenannte Dosenlampe. Die vorhandenen Original-Blockpedale lassen Sammlerherzen höher schlagen, noch bevor die Linierung an den Rädern, die Tantaro zitterfrei mit feinem Pinselstrich aufgemalt hat, ins Blickfeld rückt. Auf solche Details kommt es dem Bastler an, wenn er Räder möglichst originalgetreu restauriert.
Neuer Trend in der Oldtimer-Sezene
Originalgetreu heißt für ihn mittlerweile auch nicht mehr, dass alles wieder glitzern und glänzen muss, wenn er mit einem Fahrzeug fertig ist. Die Patina, der Chick der Jahrzehnte, die ein Gefährt auf dem Buckel hat, die nahezu unvermeidlichen Gebrauchsspuren – dies alles darf und soll ein Fahrzeug ruhig zeigen dürfen. Da sind sich Tantaro und Braun einig. Die beiden berichten von einem Trend in der Oldtimer-Szene, der darauf Wert legt, alte Fahrzeuge nicht mit möglichst identisch nachgebauten Ersatzteilen zu reparieren und quasi wieder "wie neu" instand zu setzen. Immer mehr Kennern komme es darauf an, die noch vorhandenen alten Bauteile wo immer möglich wieder funktionstüchtig zu machen und an Ort und Stelle zu belassen. Dies gilt auch für vorhandenen Rost.
Wie zum Beweis schiebt Tantaro aus einer Ecke einen "original Scheunenfund mit echtem Staub", wie er es beschreibt, herbei. Wer keinen Blick dafür hat, würde das Rad von Anfang der 50er-Jahre kaum anfassen und von einem Schrotthaufen sprechen, so wie es dasteht, komplett verrostet und mit platten und zerschlissenen Reifen. Doch für Tantaro ist es vor allem eines: original – und komplett erhalten, vom Licht bis zum Sattel. Dieses Rad möchte er so behalten, wie es ist, als Anschauungsobjekt. "So etwas muss ein Sammler auch haben", meint er. Neulich, beim Traktortreffen in Lülsfeld, hatte er das Exemplar auch dabei und als Blickfang ausgestellt. Das Interesse der Fachgemeinde und Liebhaber war ausgesprochen groß, berichtet Tantaro. "So ein Exemplar bekommt man nicht alle Tage zu sehen."
Wie viel Zeit er in seiner Scheunen-Bastler-Werkstatt verbringt, das kann er schlecht beziffern. "Ich bin fast jeden Tag hier in der Werkstatt", sagt Tantaro. "Und wenn ich nicht hier bin, dann bin ich daheim oder anderswo beim Basteln." Was ihn besonders freut, ist, dass sein 21-jähriger Sohn vom Oldtimer-Virus ebenfalls infiziert zu sein scheint und auch an alten Fahrzeugen bastelt.
Oldtimer-Stammtisch fehlen die aktiven Schrauber
Freuen würde es ihn und Braun gleichermaßen, wenn sich in irgendeiner Form ein besserer Erfahrungsaustausch mit anderen Oldtimer-Bastlern in der Region ergeben würde. Zwar gibt es bereits einen Oldtimer-Stammtisch jeweils am zweiten Montag im Monat, ab 19.30 Uhr im Vereinsheim der Motorsportvereinigung an der Gerolzhöfer Kartbahn in der Dingolshäuser Straße. Doch fehlten dabei etwas die Oldtimer-Sammler, die, wie sie selbst, noch aktiv schrauben und tüfteln, berichten Tantaro und Braun.
Vielleicht, hoffen sie, wecke auch eine geplante Ausstellung alter Fahrräder im ehemaligen Schlecker-Markt in der Spitalstraße, am Durchgang Richtung Brunnengasse, das Interesse weiterer Oldtimer-Freunde. Dort möchten sie im Rahmen der Oldtimer-Ausstellung Geo Classics, die am 21. August in der gesamten Gerolzhöfer Innenstadt stattfinden wird, neben den dauerhaft im Schaufenster ausgestellten Rädern zusätzlich weitere alte Drahtesel präsentieren.