Ausgerechnet am Internationalen Weltflüchtlingstag, dem 20. Juni 2017, hat ein größeres Aufgebot der Bundespolizei in aller Frühe Flüchtlingswohnungen in der Ortsmitte von Niederwerrn durchsucht.
Die Beamten nahmen boxenweise Material mit. Gleich mehrere Durchsuchungsbeschlüsse vollzogen sie in verschiedenen Bundesländern. Der Verdacht: „Einschleusen von Ausländern.“ In Niederwerrn, so die Staatsanwaltschaft damals, solle eine geständige Verdächtige im November 2016 „drei staatenlose Ausländer“ illegal nach Deutschland eingeschleust haben.
Eine Zivilstreife stoppt die Schleuserfahrt
Diese Verdächtige sitzt am Montag vor dem Amtsrichter in Schweinfurt und muss sich wegen des Einschleusens der „staatenlosen Ausländer“ verantworten. Sie ist 43 Jahre alt und keine Profischleuserin, die auf Profit aus ist und mit der Not Verzweifelter bedenkenlos Kasse macht. Sie ist die Mutter der beiden sechs und sieben Jahre alten Kinder und die Ehefrau des Mannes, die von ihr beauftragte Schleuser in einem Citroen für 2000 Euro von Italien über Österreich nach Deutschland gefahren hatten.
Sie kommen aber nicht weit. Kurz nach der Grenze wird das Fahrzeug von einer Zivilstreife gestoppt. Gegen die Männer, die gegen viel Geld ihre Dienste als Fluchthelfer anboten, wird wegen rund 20 Einschleusungen in verschiedenen Bundesländern ermittelt, sagt ein Beamter der Bundespolizei als Zeuge. Im Visier ist aber auch die 43-Jährige, die 2000 Euro bezahlt hatte, damit ihre Familie baldmöglichst bei ihr ist.
Tote bei der Flucht übers Mittelmeer
Als sie als Syrerin hier Zuflucht fand, flüchtete, wie sie erzählt, die staatenlose Restfamilie zunächst aus dem Kriegsgebiet in den Sudan, von dort nach Libyen und dann auf einem Boot Richtung Italien. Diese Fahrt hätte sie fast das Leben gekostet, erzählt die Angeklagte. Das Boot sei gekentert und 18 Menschen gestorben. Ihr Mann sei eine ganze Zeit mit beiden Kindern am Arm geschwommen, bis sie gerettet wurden.
Danach habe sie ihre Familie so schnell wie möglich bei sich haben wollen, sagt die 43-Jährige. Die Telefonnummer der Schleuser habe sie von jemandem aus der Schweinfurter Erstaufnahmeeinrichtung bekommen, die 2000 Euro für die Schleuser von vielen Freunden. "Ich habe nur an meine Kinder gedacht", sagt die Angeklagten, "und ich danke Gott, dass sie noch leben."
Strafbar habe sie sich trotzdem gemacht, hält die Staatsanwältin der 43-Jährigen vor. Ihre Familie hätte nach der Dublin-II-Verordnung ein Einreiserecht gehabt, aber natürlich über ein behördliches Verfahren und nicht durch Einschleusen. Die Anklagevertreterin hält die Geldstrafe des Strafbefehls für angemessen.
Nur Geldstrafe für die Verzweiflungstat
Der Verteidiger sieht das anders und beantragt Freispruch, nachdem eine Einstellung des Verfahrens schon am Widerspruch der Staatsanwältin gescheitert war. Der Amtsrichter aber folgt der Staatsanwältin. Schon der Strafbefehl hatte der Verzweiflung der Mutter bei ihrer „Anstiftung“ beziehungsweise Beihilfe zum Einschleusen mit lediglich einer Geldstrafe für den „minderschweren Fall“ Rechnung getragen. Dabei bleibt es auch: 75 Tagessätze a zehn Euro. Der Regelfall sieht Freiheitsstrafen vor.
Verteidigung wie Staatsanwaltschaft geben dazu keine Erklärungen ab. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.