Ein Buch ist zur Zeit wieder in aller Munde: „Die Pest“ von Albert Camus, geschrieben im Jahr 1947. Die Nachfrage nach diesem Buch Camus ist riesengroß. Die 88. Auflage wird gerade gedruckt.
Natürlich sind Pest und Corona nicht dasselbe. Was diesen Roman aber für mich gerade jetzt so sprechend macht, ist, was Camus über die Menschen schreibt. Alles, was Menschen in der Zeit der Corona-Pandemie bislang erleben, wird bereits in Camus‘ Roman geschildert: es wird abgewiegelt, man zögert Maßnahmen zu ergreifen, bis hin zu denen, die aus der Situation Kapital zu schlagen versuchen.
Der Roman spielt in den 40-er Jahren in der algerischen Stadt Oran. Es ist eine sonnenverwöhnte, geschäftige Metropole mit Blick auf das Meer. Im heraufziehenden Frühling wird der Alltag der Einwohner auf den Kopf gestellt. Immer mehr Ratten kriechen aus den Löchern und verenden auf den Straßen. Als erster erkennt der Arzt Rieux den Ernst der Stunde: Die Pest hat die Stadt im Griff. Er fordert die Stadt zu Gegenmaßnahmen auf und versucht in unermüdlichem Einsatz, so viele Menschenleben wie möglich zu retten.
Zunächst spotten die Einwohner über die Maßnahmen der Behörden. Dann kommt der Sommer, die Seuche grassiert. Der Ausnahmezustand wird ausgerufen, die Stadt hermetisch abgeriegelt, alle Verbindungen zur Außenwelt gekappt. Bald fordert die Krankheit mehr und mehr Opfer, gigantische Krankenstationen entstehen, später Massengräber.
Für den studierten Jesuitenpater Paneloux ist die Pest ein Gottesgericht, das gerechter Weise auf die Menschen herabkommt. Er wird zum Gegenspieler des Arztes, der über ihn sagt: „Paneloux ist ein studierter Mann. Er hat noch nicht genug Leute sterben sehen, und deswegen spricht er im Namen einer Wahrheit. Aber der einfachste Landpfarrer,der sich um das Seelenheil seiner Pfarrkinder kümmert, und der das Röcheln eines Sterbenden gehört hat, denkt wie ich. Ehe er auf die Vorzüge des Leidens hinwiese, würde er daran gehen, es zu heilen.“ Erst der Tod eines unschuldigen Kindes, den Paneloux mit ansehen muss, trifft den religiösen Intellektuellen so nachhaltig, dass er sich einem Sanitätstrupp anschließt - und von der Pest hinweggerafft wird.
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Der Arzt Rieux kann nicht an Gott glauben, weil er überzeugt ist: „Da nun einmal die Ordnung der Welt durch den Tod bestimmt wird, ist es vielleicht besser für Gott, dass man nicht an ihn glaubt und dass man mit allen seinen Kräften gegen den Tod kämpft, ohne die Augen zu diesem Himmel zu erheben, in dem er sich ausschweigt.“ Er ist Tag und Nacht bei den Kranken. Er wird gefragt, warum er diesen scheinbar aussichtslosen Kampf aufnimmt. Bewegend seine Worte: „Ich weiß nicht, was mich erwartet, noch weiß ich, was nach all diesem Geschehenen hier eintreten wird. Für den Augenblick existieren nur die Kranken und die muss man gesund machen. Wenn das einmal geschehen ist, werden die Menschen darüber nachdenken und ich auch. Aber das Wichtigste ist im Augenblick, sie gesund zumachen. Ich kämpfe um sie, so gut ich kann. Das ist alles.“
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In der derzeitigen Corona-Krise gibt es die verschiedenen Typen von Menschen, die Camus in der „Pest“ schildert: die Ängstlichen, die in Schockstarre verfallen, die Gleichgültigen, die meinen, uns kann es nicht treffen. Die gefährlich Frommen, die hinter der Corona-Krise eine Strafzüchtigung Gottes sehen. Die Egoisten, die aus der Not noch Kapital schlagen wollen. Es gibt aber auch zuhauf die Menschen in der Art des Rieux. Angela Merkel hat ihnen in der historischen TV-Ansprache vor ein paar Tagen besonders gedankt, den Ärzten oder Ärztinnen, die im Pflegedienst oder in einer sonstigen Funktion in unseren Krankenhäusern und überhaupt im Gesundheitswesen arbeiten.
Besonders gefreut hat mich, dass Merkel auch die so genannten kleinen, oft mit geringen Gehältern ausstaffierten Berufe nicht vergessen hat: „Und lassen Sie mich auch hier Dank aussprechen an Menschen, denen zu selten gedankt wird. Wer in diesen Tagen an einer Supermarktkasse sitzt oder Regale befüllt, der macht einen der schwersten Jobs, die es zurzeit gibt. Danke, dass Sie da sind für ihre Mitbürger und buchstäblich den Laden am Laufen halten.“
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Liebe Leser und Leserinnen, noch einmal: Die Pest ist nicht Corona. Und Gott sei Dank sind wir heute darüber hinaus, eine Pandemie als Strafe Gottes zu verstehen. Was Albert Camus für mich so lesenswert macht, ist seine Botschaft: Er ruft zur Solidarität auf, zu Bescheidenheit, zum unbeirrbaren Einsatz für andere, zur Nächstenliebe. Mit diesen Tugenden lässt sich eine Krise durchstehen, auch wenn sie länger dauern sollte.