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BERLIN/SCHWEINFURT
Normenkontrollrat: Wir machen keine Politik
Gudrun Grieser
Foto: Anand Anders | Gudrun Grieser
Susanne Wiedemann
 |  aktualisiert: 27.04.2023 01:36 Uhr

Wie sich Gesetze und Verordnungen später auf Verwaltungen und Bürger auswirken, weiß Gudrun Grieser (Jahrgang 1947) aus ihrer Zeit als Schweinfurter Oberbürgermeisterin (1992 bis 2010). Als Mitglied des zehnköpfigen Nationalen Normenkontrollrats (NKR)ist es seit fünf Jahren ihre Aufgabe, schon vorher zu hinterfragen, was die konkreten Auswirkungen eines Gesetzes auf Bürger, Wirtschaft und Verwaltung sind.

Die Mitglieder haben eines gemeinsam: Erfahrung im Gesetzesvollzug, sie sind keine aktiven Mitglieder von Parlament und Exekutive und in ihrer Arbeit parteipolitisch neutral. Die Mitglieder werden berufen, nicht gewählt.

Frage: Wussten Sie eigentlich, was der Normenkontrollrat macht, bevor Sie in ihn berufen worden?

Gudrun Grieser: (Lacht.) Ganz ehrlich, nein. Ich habe mich erstmal damit beschäftigt. Und dann gesagt: Da mache ich mit.

Fassen Sie mal ganz knapp die Aufgaben des Normenkontrollrats zusammen.

Grieser: Wir sind ein Beratergremium, wir sind kein politisches Gremium. Wir sind angesiedelt im Bundeskanzleramt. Wir haben eine ganz klar definierte Aufgabe: Bei allen Regelungsvorhaben der Bundesregierung – das sind ungefähr so viele wie Tage im Jahr – überprüfen, ob die federführenden Ressorts den durch das neue Bundesrecht entstehenden Erfüllungsaufwand, das heißt, die zeitlichen Belastungen und Kostenfolgen, richtig kalkuliert haben. Methodisch richtig, plausibel und vollständig. Wir sind unabhängig und nicht weisungsgebunden.

Ein Merkmal des Normenkontrollrates ist es, im Hintergrund zu wirken. Nur selten gehen die Mitglieder an die Öffentlichkeit. Da muss dann schon was sehr Bedeutendes anliegen, ist mein Eindruck.

Grieser: Wir beraten die Regierung und die Ministerien, aber wir machen keine Politik. Ganz selten geht unser Vorsitzender an die Öffentlichkeit, zum Beispiel damals beim Gesetz über den Mindestlohn, oder beim Thema E-Government. Gerade vor kurzem in der Flüchtlingskrise haben sich Defizite bei der Vernetzung der IT-Systeme gezeigt. Da ist auch durch die Initiative des Normenkontrollrates einiges angestoßen worden.

Bei E-Government hinkt Deutschland hinterher. Unser Vorsitzender Johannes Ludewig hat das vom Rat in Auftrag gegebenen Gutachten zu diesem Thema mit den Worten vorgestellt: „Hier wird deutlich, wie uns die Versäumnisse der Vergangenheit nun zentnerschwer auf die Füße fallen.“ Der Bund hat mittlerweile ein Zentralregister für Flüchtlinge geschaffen, das die Vorgänge erheblich vereinfacht.

Bürokratiekosten sparen ist ein Ziel ihrer Arbeit. Was ließe sich den durch bessere Vernetzung von Bund, Ländern und Kommunen einsparen durch E-Government?

Grieser: Das Gutachten geht von 1, 7 Milliarden Anfangsinvestitionen aus, die Summe würde ausreichen, um 34 Prozent des bürokratischen Aufwandes einzusparen. Das sind ungefähr 3 Milliarden.

Der Normenkontrollrat sieht alle Vorgänge aus einer ganz anderen Perspektive, ohne Ministeriumsbrille. Das ist ein Vorteil, oder?

Grieser: Ja, das ist wichtig. Wir fordern auch oft noch Zahlen an, wenn uns etwas nicht plausibel erscheint. Als wir zum Beispiel bei der Einführung der PKW-Maut Zweifel an der Höhe der prognostizierten Einnahmen hatten, holten wir eine Aussage der politischen Führung des Hauses, des Staatssekretärs.

Wir wenden übrigens immer die gleiche Methodik an, das ist für die Vergleichbarkeit wichtig. Von den Niederlanden, wo es schon länger ein solches Kontrollgremium gibt, haben wir das Standardkostenmodell übernommen. Das heißt,bei jedem neuen Gesetz wird berechnet, mit welchem Aufwand Bürger, Wirtschaft und Verwaltung durch die einzelnen Vorschriften be- oder entlastet werden, einmalig oder jährlich wiederkehrend

Hat sich bei den Ministerien etwas verändert, seitdem es den Normenkontrollrat gibt?

Grieser: Früher haben die Ministerien Gesetze gemacht, so wie ein Gesetz zu sein hat, mit Blick auf die politische Zielsetzung. Die daraus resultierenden Kosten und Belastungen wurden nicht transparent gemacht. Seit der Einführung des Normenkontrollrats ist das Rechnen Vorschrift. Da haben die Ministerien nicht gleich reingefunden. Als wir die ersten ungenügenden Darstellungen nicht durchgehen ließen und eine negative Stellungnahme ins Kabinett ging, und seit wir beim Mindestlohn sogar die Öffentlichkeit suchten, merken wir einen deutlichen Kulturwandel. Wir arbeiten heute oft schon bei der Erstellung des Gesetzesentwurfs mit den Ressorts zusammen.

Kann der Normenkontrollrat dann mal sagen: Da habt Ihr Euch aber kräftig geirrt, so etwas wie eine Rüge ausssprechen?

Grieser: Wir führen niemanden vor, wir beraten. Wir lassen die Bundesregierung deswegen aus tagespolitischen Ereignissen heraus nicht ins Messer laufen. Unsere Arbeit läuft nicht öffentlich ab. Aber wenn der NKR warnt, dass die Regierung sich etwas schönrechnet, kann die Presse natürlich öffentlich nachhaken.

Wie kommen die Entwürfe zu Ihnen? Oder arbeiten Sie alles von Berlin aus ab?

Grieser: Die Entwürfe werden in Papierform verschickt, wenn man will. Das habe ich am Anfang gemacht. Das geht aber in keinen Briefkasten. Jede Woche kommt ein Paket, das müsste ich dann bei der Post abholen. Jetzt bekomme ich die Referentenentwürfe elektronisch und in Papierform nur, was mich als Berichterstatter betrifft: Verkehrsministerium und Bildungsministerium. Zur Beschlussfassung treffen wir uns aber regelmäßig in Berlin zu Sitzungen.

Sie lesen auch lieber auf Papier?

Grieser: Ja, da kann man etwas anstreichen, Bemerkungen an den Rand machen. Alle anderen Referentenentwürfe kriege ich elektronisch. Das Päckchen geht gerade noch in den Briefkasten rein.

Wie sieht ihr Team aus?

Grieser: Wir haben derzeit 13 hauptamtliche Mitarbeiter im Sekretariat des NKR, alle Volljuristen. Sie erstellen die Beschlussvorlagen, die wir Berichterstatter mit ihnen durchgehen. Das geht entweder per Mail oder per Telefon. Oft geht es mehrmals hin und her und es kann auch mal Sonntag Abend werden, wenn etwas am Montag fertig sein muß weil am Mittwoch Kabinett ist. Jeder Beschlussvorschlag muss von allen zehn Ratsmitgliedern genehmigt sein.

Wenn man sich mit dem Normenkontrollrat beschäftigt, stößt man auf das schöne Wort Goldplating. Was ist das?

Grieser: Das ist etwas, was wir verhindern wollen und müssen. Goldplating, quasi vergolden, sagt man, wenn eine EU-Vorgabe im deutschen Recht nicht nur 1:1 umgesetzt wird, sondern noch etwas draufgesattelt wird.

Zweites Stichwort: Evaluation der Gesetze. Was steckt da dahinter?

Grieser: Nach drei bis maximal fünf Jahren wird überprüft, ob sich ein Gesetz bewährt hat, ob es die Anforderungen erfüllt, die man in es gesetzt hat. Wir müssen jetzt bei jeder Rechtssetzung darauf achten, dass die Zielrichtung genau definiert ist. Später wird das ja genau überprüft.

Es gibt bei uns viel zu viel Bürokratie, was meinen Sie?

Grieser: Wir haben einen sehr komplexen, gut funktionierenden Rechtsstaat, das ist auch ein Wert, nicht nur eine Belastung. Nur muss man immer wieder schauen, dass bei der Regelungsdichte nicht des Guten zu viel geschieht. Sonst wird aus der Regelungsdichte ein Regelungsdschungel. Das Bedürfnis, auch noch das letzte zu regeln, ist schon sehr ausgeprägt. Vor zehn Jahren hat die Bundesregierung untersuchen lassen, wie stark die Deutsche Wirtschaft jährlich mit Bürokratie belastet war. Darunter versteht man Statistiken, Anträge, Meldungen, Bescheide. Ergebnis: Die deutsche Wirtschaft wurde jährlich etwa in der Größenordnung von 50 Milliarden Euro mit Bürokratiekosten belastet. Damals gab die Bundesregierung das Ziel vor, ein Viertel dieser Bürokratiekosten einzusparen.

Das war dann die Aufgabe des ersten Normenkontrollrats. Hat's geklappt?

Grieser: Die angepeilten 12,5 Milliarden wurden tatsächlich eingespart. Allerdings nicht in fünf Jahren, wie geplant, sodern in gut sechs. Dabei wurden wurden auch alte Gesetze und Rechtsetzungen überprüft und entrümpelt.

Ziel erreicht. Wie geht's weiter? Es soll ja nichts neues auflaufen.

Grieser: Zu diesem Zweck hat die Bundesregierung den Bürokratiekostenindex eingeführt. Das Jahr 2012 ist 100. Jedes Jahr wird gemessen, ob wir über 100 wieder hinauswachsen, ob wir bei 100 bleiben, oder sogar runter gehen. Seit 2012 ist der Index nicht wesentlich überschritten worden. Das heißt, wir haben diesen Stand gehalten.

 
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