
Die Sitzung des Gerolzhöfer Stadtrats am Montag erwies sich für aufmerksame Zuhörerinnen und Zuhörer als Lehrstunde, die den persönlichen Wissensschatz bereicherte. Denn mal ehrlich: Wer wüsste auf Anhieb, ohne Hilfe von Suchmaschinen und künstlicher Intelligenz, was sich hinter einem Kasseler Bord verbirgt?
Die Glücklichen, die am Montagabend gute zwei Stunden ihres Lebens im Sitzungszimmer des Alten Rathauses verbringen konnten, sind dem großen Rest der Unwissenden in diesem Punkt einen guten Schritt voraus. Sie können jetzt erklären, dass sich hinter einem Kasseler Bord kein speziell angerichteter Braten verbirgt, zu dem vorzugsweise Sauerkraut gereicht wird. Vielmehr kommt ein Kasseler Bord im Verkehrswegebau zum Einsatz.
Sanft zu Busreifen
Es handelt sich dabei um ein spezielles Betonprofil, das an Bushaltestellen als abgeflachter Randstein zum Einsatz kommt. Diese auch als Busbord bezeichneten Betonsteine schonen die Reifen der Busse, weil sie keine scharfen Kanten haben. Die im Linienverkehr gerne eingesetzten Niederflurbusse können den Fahrgästen dort das Ein- und Aussteigen auch besonders leicht machen. Barrierefrei.
Sollte die Bushaltestelle in der Rügshöfer Straße in den Bereich der geplanten Querungshilfe für Fußgänger verlegt werden, kämen die Fahrgäste dort in den Genuss eines Kasseler Bords. So stellte es Bürgermeister Thorsten Wozniak dem Stadtrat jetzt vor.
Und noch etwas lernten die Anwesenden: Der Bürokratismus in unserem Land füttert sich selbst und ist unbesiegbar. Anschauungsbeispiel für diese Erkenntnis war die vierte Änderung des Bebauungsplans "An der Bahnlinie". Dieser beschäftigt nicht nur den Stadtrat seit Jahren. Auch eine Vielzahl von Behörden, Einrichtungen und Unternehmen müssen sich damit herumschlagen.
Bürokratischer Rattenschwanz
Denn diese waren aufgefordert, sich zu den geplanten Änderungen zu äußern. Im Kern geht es lediglich darum, dass ein örtlicher Händler in einen seit sechs Jahren leerstehenden Supermarkt umziehen möchte, samt seines bestehenden Onlinehandels. Doch Onlinehandel sieht der bestehende Bebauungsplan in diesem Bereich nicht vor. Deshalb soll dieser geändert werden.
Diese scheinbare Formalie zieht einen Rattenschwanz von Stellungnahmen nach sich und beschäftigt ungezählte Menschen, die Texte schreiben, prüfen und bewerten müssen. Weshalb beispielsweise ein Telefonanbieter, genauso ein Gasversorger, darauf hinweisen müssen, dass Versorgungsleitungen im Boden verlegt sind, ist kaum nachvollziehbar. Schließlich möchte ja nur ein Onlinehandel in ein bestehendes Gebäude einziehen. Solche Vorschriften lähmen den Behördenapparat und frustrieren alle Beteiligten – allen voran diejenige, die monatelang auf Genehmigungen warten müssen.