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Gerolzhofen
Freiwillig und unentgeltlich: Junge Syrerin bringt in Gerolzhofen ukrainischen Jugendlichen Deutsch bei
Samira Alhneiti hat als Geflüchtete selbst erlebt, wie es sich anfühlt, in der Fremnde kein Wort zu verstehen. Deshalb hat sie ein außergewöhnliches Angebot an Geflüchtete aus der Ukraine.
Die Syrerin Samira Alhneiti (von links) lehrt den vier 18-jährigen Ukrainern Maksym Huravskyi, Daniil Bychkov, Andrii Skliarenko und Maksym Holikov ehrenamtlich Deutsch.
Foto: Michael Mößlein | Die Syrerin Samira Alhneiti (von links) lehrt den vier 18-jährigen Ukrainern Maksym Huravskyi, Daniil Bychkov, Andrii Skliarenko und Maksym Holikov ehrenamtlich Deutsch.
Michael Mößlein
 |  aktualisiert: 15.07.2024 10:11 Uhr

Es ist eine Geschichte, in der zwei kriegerische Konflikte aufeinandertreffen, weit entfernt von den Orten, an denen die Bomben fallen und Menschen sterben. Es ist eine Geschichte, die eines zeigt: Trotz des unendlichen Leids, das der Bürgerkrieg in Syrien und der Krieg in der Ukraine für unzählige Menschen bedeutet, wird es immer Menschen geben, die einander helfen. Schauplatz dieser Hoffnung spendenden Geschichte ist Gerolzhofen.

Dass sich dort an diesem Tag Samira Alhneiti, Maksym Huravskyi, Daniil Bychkov, Maksym Holikov und Andrii Skliarenko treffen, hat einzig und allein einen Grund: Sie alle haben ihre Heimat verloren. Die jungen Menschen sind geflüchtet vor Angst, Krieg und Gewalt. In Gerolzhofen und Umgebung haben sie zumindest eine sichere Zuflucht gefunden, vielleicht auch eine neue Heimat – falls es so etwas tatsächlich gibt.

Seit vier Jahren in der Stadt

Samira Alhneiti lebt seit dem Jahr 2018 hier. Die 35-Jährige ist damals mit ihren vier Töchtern und ihrem Sohn aus Syrien nach Gerolzhofen gekommen. Dort hatte ihr Mann drei Jahren zuvor eine sichere Bleibe gefunden.

Die vier jungen Männer, die jetzt mit ihr in der Minnesängerstube im Bürgerspital um einen Tisch sitzen, sind alle 18 Jahre alt. Sie waren bereits miteinander befreundet, als russische Truppen am 24. Februar in ihr Heimatland einmarschiert sind. Sie stammen alle vier aus Pershotravensk, einer Kleinstadt in der Ostukraine, die vor dem Krieg nicht ganz 30.000 Einwohner gezählt hat und in der Nähe der Großstadt Dnipro liegt. Die vier Jungs besuchten Parallelklassen in einer Schule.

Über Umwege in die Notunterkunft

Maksym Huravskyis älterer Bruder meldete sich als 22-Jähriger unmittelbar nach Kriegsausbruch freiwillig zur ukrainischen Armee. Sein jüngerer Bruder reiste über Polen zunächst zu seiner Oma, die in der Nähe von Nürnberg lebt. Von dort aus kam er über ein Zentrum für Geflüchtete aus der Ukraine per Bus in die Notunterkunft in der Dreifachturnhalle in Gerolzhofen, und von dort aus zu einer Gerolzhöfer Familie.

Ihm hat es von Anfang an in Gerolzhofen gefallen, wie er sagt. Dies hat ihn auch dazu bewegt, seine drei Schulfreunde zu ermutigen, ihm hierher zu folgen. In der Ukraine könnten sie, wie alle volljährigen Männer bis zu einem Alter von 60 Jahren, zur Armee eingezogen und an die Front geschickt werden.

Dolmetscherin übersetzt Gespräch

Daniil Bychkov hat seine Heimat ebenfalls auf eigene Faust verlassen, während seine Familie in der Ukraine geblieben ist. Egal, wo er hingekommen ist, die Menschen seien ihm gegenüber immer hilfsbereit und verständnisvoll gewesen, sagt er auf Ukrainisch. Natascha Göb aus Frankenwinheim, die als Ukrainerin bereits vor Jahren nach Deutschland gekommen ist, übersetzt das Gespräch an diesem Tag.

Maksym Holikov ist im März mit seiner Mutter und seinem jüngeren Bruder über Polen nach Spanien geflohen. Dort blieben sie fast drei Monate. Auf der Rückreise Richtung Ukraine telefonierte Maksym Holikov mit seinem gleichnamigen Freund in Gerolzhofen und entschloss sich, Mutter und Bruder nicht weiter zu begleiten, sondern auch nach Gerolzhofen zu kommen.

Wenn die Worte fehlen

Das Gefühl, in einem fremden Land anzukommen ohne ein Wort der dort gebräuchlichen Sprache zu sprechen oder diese zu verstehen, kennt Samira Alhneiti nur allzu gut. So erging es ihr auch, als sie vor vier Jahren nach Gerolzhofen kam. "Ich kenne das Gefühl, etwas sagen zu wollen, es aber nicht ausdrücken zu können", erinnert sie sich.

Die syrische Familienmutter besuchte Sprachkurse und lernte Deutsch – mit Erfolg. Mittlerweile hat sie den B2-Abschluss in der Tasche. Im Sommer hat sie sich aus eigenem Antrieb an den Gerolzhöfer Helferkreis gewandt. Sie wollte Geflüchteten aus der Ukraine Deutsch beibringen, mit einem niederschwelligen Angebot. So kam es, dass sie sich seitdem wöchentlich für eine Stunde mit den ukrainischen Jugendlichen trifft und mit ihnen Deutsch spricht.

Viel guter Wille hilft weiter

Die junge Syrerin, die in ihrer Heimat arabische Literatur studiert hat, spricht selbst kein Wort Ukrainisch. Manchmal springt Maksym Huravskyi, der von den vier Jungs am längsten hier ist, ein und übersetzt ein paar Brocken Deutsch. Manchmal hilft eine Übersetzer-App auf dem Smartphone weiter. In den meisten Fällen bringt sie viel guter Wille weiter. Das reicht schon.

"Samira gibt sehr viel", lässt Daniil Bychkov über Dolmetscherin Natascha Göb ausrichten. Er und seine Freunde kommen zu Samiras Alhneitis privaten Sprachkurs gerne und freiwillig zusätzlich zu dem Sprachunterricht, den sie in der Schule besuchen. Alle vier möchten möglichst schnell Deutsch lernen und würden gerne in Deutschland bleiben, am liebsten hier ihren Schulabschluss machen, eventuell studieren oder eine Ausbildung absolvieren und einen Führerschein machen, wie sie erzählen. Daniil Bychkov sagt, dass er unbedingt als Postbote arbeiten möchte.

Methoden aus dem eigenen Sprachkurs

Ihre Deutschlehrerin mit syrischen Wurzeln ist mit ihren Schülern "natürlich zufrieden", wie sie sagt. Dazu lacht sie freundlich. Sie gibt zu: Den Jungs, die nur ein Jahr älter sind als ihr Sohn, ihr ältestes Kind, Deutsch beizubringen, motiviert sie selbst. Sie kann sich gut vorstellen, selbst einmal Lehrerin zu werden – hauptberuflich, vielleicht sogar in einer eigenen Sprachschule. Um die vier jungen Ukrainer zu unterrichten, wendet sie die Methoden an, die sie selbst als Schülerin in ihren Deutschkursen kennengelernt hat. Sie nutzt auch Bücher, die sie selbst beim Deutsch-Lernen verwendet hat.

"Ich hätte mir damals auch gewünscht, jemanden zum Deutschlernen zu haben", sagt Samira Alhneiti. Sie hatte niemanden, der mit ihr in lockerer Runde außerhalb des Deutschkurses die Sprache geübt hat. Sie musste sich alles selbst beibringen. Auch diese Erfahrung hat sie bewogen, den Ukrainern zu helfen. Doch sie weiß auch, dass es ohne eigenen Willen nicht geht. "Ich kann nicht, das heißt, ich will nicht", zitiert die 35-Jährige ein deutsches Sprichwort. "Wenn man etwas möchte, muss man sich anstrengen."

 
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Kommentare
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  • T. V.
    Ich habe das bereits mehrfach erlebt: Geflüchtete die 2015 nach Deutschland kamen, helfen den "neuen" Geflüchteten. Nationalität spielt keine Rolle. Wunderbar!
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  • M. F.
    Vielen Dank für den Artikel und vielen Dank an Frau Alhneiti! Genial
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