Bomben, Folter, Vertreibung und Flucht hinterlassen nicht nur Narben am Körper, sondern auch auf der Seele. Doch während in Deutschland medizinische Versorgung für Geflüchtete systematisch bereitsteht, bleiben die Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten mit den Bildern im Kopf häufig allein. In Schweinfurt gibt es deshalb nun ein deutschlandweit einzigartiges Modellprojekt, die „Ambulanz für seelische Gesundheit“.
Gleich bei der standardmäßigen Erstuntersuchung, bei der Asylbewerber auf Krankheiten wie Tuberkulose getestet werden, bekommen sie nun auch ein Erstgespräch bei der Ambulanz angeboten. Etwa die Hälfte der Menschen nimmt das auch an, schätzt Kinderärztin Özlem Anvari, die in der Erstaufnahme Sprechstunden abhält.
Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen und das katholische Krankenhaus St. Josef haben das Projekt im März in der Erstaufnahmeeinrichtung gestartet, nun sind sie damit an die Öffentlichkeit gegangen. Für Ärzte ohne Grenzen ist es laut Projektleiterin und Psychologin Henrike Zellmann das erste Projekt dieser Art im Inland.
Laienberater kennen Sprache und Kultur
Vor Ort in Kriegs- und Krisengebieten hat die weltweit aktive Organisation schon viele Erfahrungen mit dem Konzept gemacht: Von Experten ausgebildete Laienberater führen die Gespräche mit den Menschen, unter anderem mithilfe eines standardisierten Fragebogens. Das hat entscheidende Vorteile. Sie sprechen die Sprache und kennen die kulturellen Hintergründe. In Schweinfurt sind aktuell eine Iranerin, ein Syrer und ein Somalier als Laienberater aktiv.
Sie alle sind selbst nach Deutschland geflüchtet, leben aber nicht mehr in der Erstaufnahme. Gibt es Hinweise auf eine ernsthafte psychische Erkrankung, ziehen die Laienberater die Fachexperten hinzu. „Sie haben eine Brückenfunktion“, sagt Zellmann.
So ein Erstgespräch kann mehr als eine Stunde dauern. Wer möchte, kann danach an Gruppentreffen teilnehmen. „Schlafstörungen, Sorge um die Familie in der Heimat und Angst vor Abschiebung, das sind sehr häufige Themen“, sagt der 27-jährige Abdifatah Mohamed. Er ist einer der drei Laienberater. Aus Angst vor Verfolgung war der frühere Radiojournalist aus Somalia geflohen, seit 2011 lebt er in Deutschland.
Die Menschen sind in den Gesprächen „sehr offen und dankbar“
Er weiß also, was Flucht bedeutet, kennt auch die Belastungen eines möglicherweise langwierigen Asylverfahrens. Das macht es einfach, Vertrauen zu den Geflüchteten aufzubauen. In den Gesprächen zeigten sich die Menschen „sehr offen und sehr dankbar“, sagt Mohamed.
Es geht vor allem darum, den Menschen Werkzeuge an die Hand zu geben, aus denen sie selbst Kraft schöpfen können. Das Stichwort lautet Stressmanagement, sodass psychische Erkrankungen gar nicht erst entstehen. Bei Schlafstörungen geht es zum Beispiel oft um praktische Tipps zur „Schlafhygiene“, beschreibt Psychologin Hannah Zanker. Ist es schlicht zu laut oder zu hell? Oder trinkt die Person vor dem Schlafengehen immer einen schwarzen Tee? Geht es um den Umgang mit Stress, fragen die Berater: Was hat dich früher stark gemacht? Zu hören, dass es in ihrer Situation ganz normal ist, gestresst zu sein, helfe auch. Und auch die Erfahrung, dass es den anderen Geflüchteten in der Erstaufnahme ganz genauso geht.
Die Finanzierung des Projekts ist für 2017 und 2018 gesichert, so der Direktor von St. Josef, Martin Stapper. Ärzte ohne Grenzen hat die Ambulanz mit aufgebaut, die Leitung übernimmt nun das St. Josef. Die Hoffnung aller: Dass sich auch andere Organisationen und Behörden ein Beispiel am Projekt nehmen.