Wolfgang Menninger ist seit 33 Jahren verheiratet. Nachdem seine Frau 2018 mehrere Kurse bei Josef Weimer besucht hatte, fiel ihm auf, dass sie mit einem ganz anderen Blick über die gemeinsame Obstwiese in Stettbach bei Werneck, durch die Landschaft, ja sogar durchs Leben ging.
Als der 58-Jährige mitbekam, dass just dieser Josef Weimer für einen Kurs nach Bergrheinfeld kommt, zögerte er nicht lange und meldete sich an – und seinen Sohn David gleich mit dazu. Doch nicht nur die wundersame Verwandlung seiner Frau und die Neugierde trieben den gelernten Banker an einem verschneiten Wochenende nach Bergrheinfeld. Mit einem schelmischen Lächeln räumt er ein: "Seit meine Frau die Bäume auf unserer Obstwiese und im Garten schneidet, darf ich nur noch niedere Arbeiten wie Reisig-Wegfahren erledigen. Das muss sich ändern."
Die Tradition der früheren Obstbaumwanderlehrer
Josef Weimer ist gelernter Gärtnermeister und Experte für Landschaftsobstbau. Im Odenwald bewirtschaftet der 68-Jährige selbst zwei Hektar Obstwiesen und gibt sein Wissen seit 30 Jahren in der Tradition der früheren Obstbaumwanderlehrer in ganz Deutschland weiter. Seine Kurse sind – wie auch der von der Solidarischen Landwirtschaft (SoLaWi) Schweinfurt organisierte in Bergrheinfeld – stets ausgebucht.
Weimer möchte das, was er tut, nicht als "Baumschnittkurs" verstanden wissen, sondern als "Baumverständniskurs". Er begründet das so: "Bäume zu pflegen, bedeutet weit mehr als nur Baumschnitt – gerade in Zeiten des Klimawandels. Mir geht es in erster Linie darum, den Baum und seine Eigenarten zu verstehen. Warum ist ein Baum so gewachsen und geworden wie er ist? Was macht den jungen, den erwachsenen, den alten Baum aus? Was braucht er, wie kann ich ihn fördern und für die Zukunft fit machen – oder auch in Würde sterben lassen? Das sind die Fragen, die wir uns stellen müssen. Wir können einen Baum immer nur ein Stück weit in seiner Biografie begleiten, denn schließlich werden die meisten Bäume und Obstbäume weit älter als wir Menschen."
Grünes Erbe für die nächste Generation
Auch Wolfgang Menninger ist sich dessen bewusst, dass die meisten Früchte seiner Arbeit auf der Obstwiese nicht er, sondern die folgende Generation ernten wird. Er sagt: "Wenn meine drei Kinder kein Interesse an Bäumen und Obst hätten, würden meine Frau und ich uns die Arbeit nicht machen." Die Obstwiese der Familie mit derzeit 45 Obstbäumen hat der Urgroßvater angelegt. Auch der Großvater ist seit seiner Kindheit mit der Wiese verbunden, ja verwachsen. Selbst mit 88 Jahren zieht es ihn noch raus zu seinen Obstbäumen. Allerdings ist er froh, dass er heute, anders als in seiner Kindheit, das Wasser zum Wässern der Bäume nicht mehr vom nahegelegenen Bach auf die Wiese schleppen muss.
Die Obsternte ist für die Familie jedes Jahr ein besonderes Ereignis, bei dem kein Familienmitglied fehlen darf. Für den Banker in Wolfgang Menninger rechnen sich die insgesamt 55 Obstbäume der Familie nicht, für den Menschen Wolfgang schon. Er bringt das Ganze so auf den Punkt: "Finanziell ein Fiasko. Emotional unbezahlbar."
Die Sehnsucht nach der Kindheit
Eine diffuse Sehnsucht nach unbeschwerten Kindheitstagen, nach einer Zeit, in der die Welt vielleicht noch ein bisschen mehr in Ordnung war, als Artensterben und Klimawandel noch nicht in aller Munde waren, treibt die meisten der Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer um und an. Bei vielen Menschen setzen diese Sehnsucht und die Wertschätzung für Bäume allerdings erst in der mittleren Lebensphase ein. So auch bei Christoph Schäflein.
Der 54-Jährige engagiert sich in der Streuobstinitiative Hausen, die, wie er sagt, "um jeden Baum kämpft, weil sich viele Eigentümer nicht mehr für Bäume interessieren". Dass sich auch seine Kinder nicht für Obstbäume interessieren und sie makellos glänzendes Obst aus dem Supermarkt bevorzugen, bedauert er sehr – und sieht das als sein eigenes Versäumnis. Er hofft: "Vielleicht kann ich später einmal meine Enkel für die Obstwiese begeistern."
Josef Weimer, der in seinem Leben auch viel mit Kindern gearbeitet hat, teilt diese Erfahrung: "Nur wer als Kind die Düfte der blühenden Bäume im Frühling und die Aromen des reifen Obstes im Herbst gerochen hat, wer auf der Obstwiese klettern, ernten, keltern, schmecken durfte, kann später als Erwachsener auch daran anknüpfen."
Zunehmender Trockenstress
Es gibt noch ein weiteres Thema, vielmehr eine große Sorge, welche die Teilnehmerinnen und Teilnehmer umtreibt. Valerie Kantelberg, eine Försterin aus dem Landkreis Kitzingen, äußert diese Sorge in Bergrheinfeld so: "Ich sehe immer mehr ausgeräumte Landschaften, ungepflegte Obstwiesen und viele sterbende Bäume, die der extremen Trockenheit nicht mehr standhalten. Wir müssen den Klimawandel bei der Pflege unserer Bäume viel stärker in den Blick nehmen." Hier bietet der Kurs einige Tipps.
Wolfgang Menninger hat sich übrigens gleich nach dem Kurs in Bergrheinfeld für den Aufbaukurs bei Josef Weimer im März angemeldet und lässt dafür gerne seine Bankgeschäfte ruhen. Im Mittelpunkt steht dann nicht mehr der junge, sondern der alte Baum.
Sein Wissen über Bäume und sein Leben mit Bäumen hat Josef Weimer in dem Buch "Gestaltung von Landschaftsobstbäumen. Den Obstbaum mit anderen Augen sehen." festgehalten. Es kommt in Kürze im Eigenverlag heraus – mit dem 200-jährigen Birnbaum am Lerchenberg bei Schwemmelsbach auf dem Titel.