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Schweinfurt
Experten warnen: Vorsicht vor Jodtabletten gegen Radioaktivität
Nach Atomunfällen und auf Anweisung von Katastrophenschutzbehörden kommen sie zum Einsatz: hochdosierte Jodtabletten. Wieso es riskant ist, sie eigenständig einzunehmen.
Der Bayerische Apothekerverband warnt vor der eigenständigen Einnahme von hochdosierten Jodtabletten.
Foto: (Symbolbild) Emily Wabitsch, dpa | Der Bayerische Apothekerverband warnt vor der eigenständigen Einnahme von hochdosierten Jodtabletten.
Sarah Schmittinger
 |  aktualisiert: 15.07.2024 10:01 Uhr

Im Ukraine-Krieg haben russische Truppen den Berichte zufolge das ehemalige, zerstörte  Atomkraftwerk Tschernobyl eingenommen. Die zuständige ukrainische Behörde teilte vor wenigen Tagen mit, sie messe dort deutlich erhöhte Strahlungswerte. Am Wochenende versetzte Russlands Präsident Wladimir Putin seine Atomstreitkräfte in Alarmbereitschaft. Aus Angst vor nuklearen Katastrophen und Radioaktivität fragen sich auch in Deutschland manche nun, ob sie sich vorsorglich hochdosierte Jodtabletten besorgen sollten.

Was bringen Jodtabletten und wann sind sie überhaupt sinnvoll? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Was sind hochdosierte Jodtabletten und wie wirken sie?

Hochdosierte Jodtabletten fungieren als "Jodblockade", die ausschließlich vor der Aufnahme von radioaktivem Jod in die Schilddrüse schützen – nicht vor der Wirkung anderer radioaktiver Stoffe. Bei einem Unfall in einem Kernkraftwerk kann es zur Freisetzung radioaktiver Stoffe kommen. "Wenn Betroffene zum richtigen Zeitpunkt nicht-radioaktives Jod in Form von hochdosierten Jodtabletten einnehmen, können sie verhindern, dass sich radioaktives Jod in ihrer Schilddrüse anreichert", heißt es beim Bundesamt für Strahlenschutz. "Die Schilddrüse wird mithilfe der Tabletten mit nicht-radioaktivem Jod gesättigt, so dass radioaktives Jod von der Schilddrüse zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr aufgenommen werden kann."

Sollten sich Bürgerinnen und Bürger privat hochdosierte Jodtabletten anschaffen?

"Nein. Das halte ich nicht für sinnvoll, sondern für übertrieben", sagte Bernward Unger, Vorsitzender des Bayerischen Apotheker Verbandes in Unterfranken. Ein "klares Nein", kommt auch von Prof. Andreas Buck, Direktor der Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin an der Würzburger Uniklinik.

Wie werden hochdosierte Jodtabletten im Notfall öffentlich verteilt?

Sich privat sogenannte Kaliumiodid-Tabletten zu besorgen, sei nicht notwendig, sagt Nuklearmediziner Prof. Andreas Buck: "Sollte im Rahmen der Kriegshandlungen in der Ukraine ein Kernkraftwerk bzw. der havarierte Reaktor in Tschernobyl beschädigt und Radioaktivität freigesetzt werden, erfolgt eine Empfehlung der Strahlenschutzkommission", erklärt Buck. "Nur bei drohender Strahlenexposition erfolgt  eine behördliche Abgabe von Jodtabletten an die Bevölkerung."

Laut dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) sind in Deutschland "189,5 Millionen Kaliumiodidtabletten (Jodtabletten) in den Bundesländern bevorratet, die bei einem Ereignis, bei dem ein Eintrag von radioaktivem Jod in die Luft zu erwarten ist, in den möglicherweise betroffenen Gebieten durch die Katstrophenschutzbehörden verteilt werden".

Wie gefährlich ist die nicht verordnete Einnahme von hochdosierten Jodtabletten?

"Für gesunde Personen ist die Einnahme ungefährlich", sagt Andreas Buck . Aber wenn jemand - auch unerkannt - von einer Schilddrüsenerkrankung betroffen sei, "kann durch die Jodgabe eine Schilddrüsenüberfunktion ausgelöst werden". Diese könne neben gesteigertem Schwitzen oder Nervosität auch zu Herzrhythmusstörungen wie Vorhofflimmern führen, warnt Buck. "Das kann dann weitere negative Folgen wie Schlaganfälle, Herzinfarkt und Tod nach sich ziehen kann."

Die Wahrscheinlichkeit einer Schilddrüsenerkrankung nehme aus medizinischer Sicht ab einem Alter von 45 Jahren zu, erklärt der Nuklearmediziner. Deshalb sei die Altersempfehlung zu beachten: unter 45 Jahren. Von einer "eigenmächtigen" vorsorglichen Einnahme der Tabletten raten Expertinnen und Experten ab. Große Mengen Jod seien mit Risiken verbunden: "Eine Selbstmedikation mit hochdosierten Jodtabletten birgt erhebliche gesundheitliche Risiken, hat aktuell aber keinerlei Nutzen", erklärt Nicole Meßmer, Referentin für Krisenkommunikation beim Bundesamt für Strahlenschutz.

 
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  • F. K.
    Wir sollten alle mal ein bisschen runterkommen und uns nicht zu sehr von der zT hysterisch anmutenden Dichte an Sondersendungen, Experten-Interviews und Talkshows kirre machen lassen, die alle von einer angeblichen Zeitenwende des Weltgeschehens erzählen (groß angelegte Militäroperationen gegen/in fremde(n) Ländern, die mit Angriffskriegen im klassischen Sinne verwandt sind, gab es auch in den letzten Jahrzehnten und durch unterschiedliche Staaten aus unterschiedlichen Gründen). Der ehemalige BGH-Richter Thomas Fischer hat das in seinem aktuellen SPIEGEL-Kommentar zutreffend als „Angstlust“ bezeichnet, die ich zugegebenermaßen auch bei mir selbst beobachtet habe. Ein sehr empfehlenswerter Beitrag, gerne auch für die @Main-Post-Redaktion, auch wenn er nicht leicht zu lesen ist: https://www.spiegel.de/panorama/krieg-in-der-ukraine-und-der-vergleich-mit-1914-a-efad9f8a-84fb-4ea3-b343-fbee8dcf3b49-amp
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  • A. B.
    Von FFP2-Masken wurde auch schon mal abgeraten, mit der Begründung, das sei übertrieben. Dasselbe gilt für Wasserfilter. Ich habe bei solchen Ratschlägen kein Vertrauen in staatliche Stellen, sondern vertraue lieber auf meinen gesunden Menschenverstand.
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  • S. S.
    Wie soll das dann genau ablaufen? "Nur bei drohender Strahlenexposition erfolgt eine behördliche Abgabe von Jodtabletten an die Bevölkerung." Eine Atommacht ruft beim zuständigen Rathaus an, dass eine Rakete im Anmarsch ist und sie doch vorher die Tabletten verteilen sollen? Ich glaube einfach, dass nicht genug von dem Zeug da ist (Lauterbach hat mal wieder Inventur gemacht). War ja bei den Masken, Impfstoff, Corona Tests.... genauso. Warum soll hier mal nicht versagt worden sein?
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  • D. P.
    Alleine, dass Jodtabletten als Nahrungsergänzungsmittel zum Teil ausverkauft sind, zeigt, wie verblödet Teile der Bevölkerung eigentlich sind. Man müsste tausende Tabletten gegen Jodmangel fressen, um die Jodblockade der Schilddrüse zu erreichen. Die Hersteller der Nahrungsergänzungsmittel freuen sich.
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  • S. K.
    sind verzweifelte Ersatzhandlungen. Kennen wir ja vom Klopapierkauf.
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