Die Corona-Krise ist nach Aussage der Bundeskanzlerin Angela Merkel die größte Herausforderung für unsere Gesellschaft seit dem Zweiten Weltkrieg. Corona führt zu tiefgreifenden Veränderungen unserer Lebensgewohnheiten, das Virus bringt große Einschränkungen für viele von uns mit sich. Niemand weiß, wie lange die Wirtschaft, das Bildungssystem oder Gesundheitswesen unter den notwendigen Begrenzungs- und Vorsichtsmaßnahmen noch leiden müssen.
Da kann es vielleicht Mut machen, an die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zu erinnern, die das Land und sein Volk ebenfalls vor große Herausforderungen stellte: Wie lebten die Menschen damals, wie haben sie die Not und das Leid nach dem Krieg, die die gesellschaftlichen und politischen Umstände mit sich brachten, bewältigt oder mit ihnen gelebt ?
Einige Beispiele – in lockerer Folge – wollen die Erinnerung an die damaligen Verhältnisse wieder wach rufen, deutlich machen mit wie viel Kreativität und Einfallsreichtum die Menschen damals der Not auch in dieser Region begegneten.
Geschichte und Geschichten aus Gernach
So erinnert Hugo Hetterich in seinem Buch "Gernacher Geschichte und Geschichten", das jetzt schon in zweiter Auflage vorliegt, an die vielen Toten, die im Krieg ums Leben kamen: Mehr als 150 Bürger von Gernach nahmen direkt am Krieg teil, wie Hugo Hetterich in seinem Buch berichtet. Wenn man sich vor Augen hält, dass Gernach im Jahr 1939 etwa 420 Einwohner hatte, waren mehr als ein Drittel der Bürger – wohl meist als Soldaten - eingezogen worden. Auch wenn nicht alle gleich zu Beginn des Krieges ihr Heimatdorf verlassen mussten, so kann man sich doch vorstellen, dass in vielen Gernacher Familien die Sorgen einzogen: "Wie geht es unserem Sohn? Wird er wiederkommen?", dürften sich viele Mütter und Väter gefragt haben .
Darüber hinaus musste die Arbeit in Landwirtschaft und Haus von den Frauen und Kindern bewältigt werden, da die meisten Männer ja im Krieg waren. 29 alteingesessene Gernacher Bürger und vier Zugezogene kamen im Krieg ums Leben. "Das waren meist junge Menschen, mit Vätern und Müttern, mit Ehefrauen oder Freundinnen, mit Kindern – mit Großeltern, Geschwistern und anderen Angehörigen..." - mit diesen Worten macht Hugo Hetterich das Leid der damaligen Zeit anschaulich.
Wirtschaftliche Not
Dazu kam, so berichtet Hugo Hetterich, dass bis zum September 1946 nach seinen Aufzeichnungen 135 Personen zugezogen waren. Sie mussten in den damals 72 Häusern, die in der großen Mehrzahl kleiner als die heutigen waren und im Schnitt von mehr Personen bewohnt wurden, untergebracht werden. Klar, dass das nicht ohne Spannung abging, da die Bürgerinnen und Bürger unter der wirtschaftlichen Not zu leiden hatten. Brennholz war Mangelware, die Zugezogenen, aber auch die Einheimischen, die kein Brennholz zur Verfügung hatten, suchten überall in den umliegenden Wäldern nach Brennholz und gruben in ihrer Not sogar Wurzelstöcke aus, um heizen zu können.
Dürre im Jahr 1947, Maul- und Klauenseuche 1949
Verschärft wurde diese Notlage noch durch das extrem trockene Jahr 1947. Die Landwirtschaft war natürlich am meisten von der Dürre betroffen. "Ein Teil des Viehs musste notverkauft werden. Das restliche bekam auch nur Hungerrationen. Das spärliche Gras in den Wäldern wurde gesucht, das Laub von Büschen gestreift", beschreibt Hugo Hetterich die damalige Notsituation.
In den Jahren nach dem Krieg gingen die Gernacherinnen und Gernacher, die keine eigenen Garten- oder Ackerflächen hatten, nach der Kartoffelernte auf die Kartoffeläcker, um nach den Kartoffeln zu suchen, die den Augen der Bauern entgangen waren. Ein weiterer Schlag für die Landwirtschaft: 1949 wurden die landwirtschaftlichen Betriebe von der Maul – und Klauenseuche heimgesucht – ein Problem vor allem für die kleineren Betriebe, denn sie waren auf die Kühe als Zugtiere angewiesen.
Wie begegneten die Menschen damals diesen vielfältigen Nöten ? Was können wir für unsere Zeit, die ja mit der vor über 70 Jahren nur bedingt vergleichbar ist, lernen?
Gegenseitige Unterstützung und Glaube
Einige Gedanken dazu: Die Menschen damals hatten geringere Ansprüche als wir heute haben, sie waren zurückgeworfen auf wenig Besitz, sie hatten gelernt, mit wenig Mitteln zu leben. Auch wenn sicher nicht alle gut Freund miteinander waren, gab es viel gegenseitige Unterstützung, man pflegte die Gemeinschaft. Und sicher war es auch der Glaube, der vielen, vor allem den Frauen, die Kraft gab, den Verlust des Mannes, des Freundes, oder auch des Sohnes, der im Krieg gefallen war, zu bewältigen. Es kann unsere Sorgen relativieren, wenn man sich in Erinnerung ruft, mit wie wenig die Menschen damals lebten: Allein, wenn man den Wohnraum, den die meisten von uns heute nutzen können, mit dem, der den Menschen damals zur Verfügung stand, vergleicht, kann man sehen, wie weit wir noch von der Not von damals entfernt sind.
Besitz und Geld ist nicht alles
Die Erinnerung an diese Zeit der Not kann uns einladen, darüber nachzudenken, was uns wirklich wichtig ist im Leben. Findet man das heraus, gewinnt man mehr Unabhängigkeit von Besitz, Geld, kann viele Sorgen loslassen. Das Märchen "Hans im Glück", zu dem der jüngst verstorbene Meditationsmeister Willigis Jäger eine schöne Interpretation geschrieben hat, beschreibt diese Erfahrung des Loslassens: "Der Scherenschleifer als Symbolfigur des einfachen Lebens. Redlicher Verdienst. Die Erkenntnis, dass es die einfachen Dinge des Lebens sind. Schließlich reicht ein Wetzstein. Und der fällt dem Hans, als er Wasser trinken will, in den tiefen Brunnen. Der Wetzstein, das letzte Stück,nan dem er sich festhalten will, versinkt. Hans kniet nieder, heißt es im Märchen und betet: 'Ich danke dir, Gott, dass Du mich von allen unnötigen Dingen befreit hast.' Unbegreiflich – Hans ist jetzt der glücklichste Mensch. Er konnte alles lassen, und jetzt ist er frei", schreibt Willigis Jäger.