
Zwischen der Klinik am Steigerwald auf der Waldesruh bei Gerolzhofen und China liegt eine beachtliche Strecke. Je nachdem, welchen Ort in dem riesigen Land man anpeilt, sind es um die 7000 Kilometer Luftlinie. Dennoch können die Verbindungen mitunter sehr viel enger sein, als es der Blick auf den Globus vermuten lässt.
Diese Erfahrung haben am Freitag Vertreter der kleinen Klinik und eine Gruppe von ärztlichen Kollegen und Buchautoren aus Fernost während eines mehrstündigen Besuchs auf der Waldesruh gemacht. Das verbindende Element, das die Distanz dahinschmelzen ließ, ist die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM). Nach dieser behandeln die Ärztinnen und Ärzte an der Klinik am Steigerwald seit deren Eröffnung vor 28 Jahren.
"Wir haben viele Übereinstimmungen in unseren Therapien festgestellt", berichtet Oberarzt Paul Schmincke ein zentrales Fazit des Kollegen-Besuchs aus China. Unter anderem hätten sie sich mit den Medizinern aus dem Mutterland der TCM über mögliche Post-Covid-Therapieansätze ausgetauscht, sagt Schmincke. Wie ihre deutschen TCM-Kollegen würden auch die chinesischen Ärzte bei Long Covid zu der Einschätzung gelangen, dass diese Erkrankung wie ein Infektgeschehen zu behandeln sei.
Landesweit bekannter Influencer
Der Delegation aus China gehörten nach Angaben der Klinik am Steigerwald Guo Shilei, ein Orthopäde in der Tradition der TCM-Ärzte des Kaiserpalastes, an sowie Zhang Baoxun, ein in China landesweit bekannter Akupunkteur und Influencer, der im Internet über seinen Blog Paul Schmincke zufolge etwa zehn Millionen Menschen erreicht. Des Weiteren gehörten zur Besuchergruppe Lu Shengsheng, der Gründer der Hangzhou Wen'an Traditional Chinese Medicine Clinic, und Wang Jidong, TCM-Arzt an der TCM-Universität in Peking.
Dass die Besuchergruppe, die in dieser Konstellation erstmals nach Europa reisten, ausgerechnet zur TCM-Klinik bei Gerolzhofen kam, liegt nach deren Angaben darin begründet, dass es überhaupt nur sehr wenige Kliniken hierzulande gibt, die alle fünf Säulen der klassischen TCM praktizieren. So seien die Besucher aus China, die mit einer Übersetzerin angereist sind, besonders interessiert gewesen, in der Klinik am Steigerwald eine TCM-Einrichtung kennenzulernen, die nicht nur Akupunktur, sondern alle Therapieverfahren der TCM, also Heilpflanzen, Tuina (Körpertherapie), QiGong und Diätetik, anwendet.
Von besonderem Interesse war für die Besucher laut Paul Schmincke die Frage, wie sich die TCM im Spannungsfeld zur westlichen Denkweise behaupten kann. Der Erfahrungsaustausch zwischen den chinesischen Medizinern und den deutschen TCM-Ärzten und deren jahrzehntelanger Erfahrung in der erfolgreichen Anwendung chinesischer Therapien für Erkrankungen von heute und des Westens in Deutschland sei der Schwerpunkt der besprochenen Themen gewesen.
Inspirierende Pulstechniken
Die Delegation sei begeistert gewesen, in der Klinik am Steigerwald eine andernorts in Europa nicht verfügbare Dichte an TCM-Experten kennenzulernen, erklärt Paul Schmincke. Konkret habe man sich beispielsweise über die Behandlung von Polyneuropathie ausgetauscht und wolle die Zusammenarbeit fortsetzen. Inspirierend sei für ihn gewesen, wie die chinesischen Ärzte, Pulstechniken einsetzen, etwa um Behandlungserfolge zu kontrollieren.
Ein Ziel für die Zukunft sei es, gemeinsame TCM-Standards zu entwickeln. Auch gegenseitige Fortbildungen seien vereinbart worden.
Auf chinesischer Seite sei man laut Oberarzt Schmincke sehr interessiert gewesen an der im Vergleich zur TCM in China niedrigen Dosierung der Arzneimittel hierzulande. Die eingesetzten Mittel würden sich zwischen China und Deutschland nicht unterschieden, doch dosiere man sie in China bisweilen zehnmal höher als in der Klinik am Steigerwald. "Dies setzt voraus, dass wir Erkrankungen sehr genau diagnostizieren", sagt Paul Schmincke.