
Emma und Hasan sitzen am Boden und sortieren bunte Tierkarten mit Buchstaben darauf. Die beiden Fünfjährigen lernen das Alphabet. Aber nicht das deutsche, sondern das kyrillische. Das kyrillische Alphabet ist die Schrift, in der slawische Sprachen geschrieben werden – von Montenegro bis Russland. Sie hat ihre Wurzeln auf dem Balkan. So wie Emma und Hasan.
Rund 20 Mädchen und Jungen im Alter von 3 bis 17 Jahren besuchen seit Mitte September die neu eröffnete bulgarische Schule in Schweinfurt in der Bauerngasse. Jeden Sonntag, von 10 bis 14 Uhr, findet der Unterricht statt. Es geht vor allem um das Kennenlernen der bulgarischen Traditionen, Sprache, Literatur und Kultur. Es sollen bulgarische Feste gefeiert und Volksbräuche bewahrt werden. Ein Stück Heimat in der Ferne.
Das Schulprogramm ist durch das bulgarische Ministerium für Bildung und Wissenschaft genehmigt und entspricht dessen Anforderungen. Die Zeugnisse, die die Kinder am Ende des Schuljahres bekommen, ermöglichen ihnen eine Schule in Bulgarien zu besuchen.
Bulgarische Gemeinde mit 500 Menschen
In Schweinfurt leben Menschen aus 129 Nationen. Der Großteil der ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger stammt aus Syrien (1949), dicht gefolgt von der Türkei (1780). In den vergangenen fünf Jahren ist allerdings auch eine große bulgarische Gemeinde herangewachsen, mit inzwischen 500 Menschen. Man habe sich über Soziale Medien zusammengefunden und regelmäßig getroffen, sagt Mirella Penkova, Mutter von Emma.

Die junge Ingenieurin aus Bulgarien lebt seit zehn Jahren mit ihrem deutschen Mann in Schweinfurt. "Die Kinder, die hier aufwachsen, haben zwar einen Bezug zu Bulgarien, aber man nimmt sich zu wenig Zeit für die Vermittlung von Sprache, Kultur und Geschichte." Bei den Treffen sei daher die Idee aufgekommen, eine Sonntagsschule in Schweinfurt zu gründen, um den hier geborenen Kindern dieses Wissen zu vermitteln.
Emma lernt in der Sonntagsschule nun spielerisch die Heimatsprache ihrer Mutter. Und das klappt schon ganz gut. Die Fünfjährige kann mit den Tierkarten bereits ihren Namen legen. Hasan legt seinen Namen mit Holzstäbchen und sucht sich die entsprechenden Tierkarten dazu.
Die Großen helfen den Kleinen
Die Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler sind völlig unterschiedlich. Die 15-jährige Gyulse zum Beispiel versteht überhaupt kein Wort Bulgarisch. Ihre Familie kommt zwar aus Bulgarien, hat aber türkische Wurzeln. Gyulse besucht die achte Klasse der Wilhelm-Sattler-Realschule und spricht Deutsch, Türkisch und Englisch. In der Sonntagsschule will sie nun Bulgarisch lernen. "Sprachen sind cool", sagt die 15-Jährige, weshalb sie gerne die Zeit für den Besuch der Sonntagsschule neben ihrem regulären Schulunterricht opfert. Später möchte sie auch noch Russisch lernen.
In der bulgarischen Sonntagsschule gibt es drei Unterrichtsgruppen: die Vorschule, die Anfänger und die Fortgeschrittenen. Ivan gehört mit seinen 13 Jahren zu den Fortgeschrittenen. Er spricht perfekt Bulgarisch und genauso perfekt Deutsch. Ebenso wie sein zwei Jahre älterer Schulkollege Ivan. Die beiden helfen gerne den anderen beim Lernen.

Leiterin der bulgarischen Sonntagsschule ist Fatme Halil. Die 50-Jährige lebt seit acht Jahren in Deutschland und arbeitet als Schulbegleiterin an der Hugo-von-Trimberg-Schule in Niederwerrn. An diesem Sonntag übernimmt sie die Älteren. "Dobro utro" steht an der Tafel. Philipp schreibt die deutsche Übersetzung daneben: "Guten Morgen".
Anife Huysein ist Lehrerin für Bulgarisch und Geschichte. Sie betreut die Kleinen, die im Nebenzimmer unterrichtet werden. Die 38-Jährige lebt seit sechs Jahren in Schweinfurt und arbeitet als pädagogische Hilfskraft an der Friedrich-Rückert-Grundschule.
Kreistanz auf dem Marktplatz am Nationalfeiertag
Die beiden Lehrerinnen unterrichten ehrenamtlich. Sie sind Mitglieder im Vereinsvorstand, der ebenfalls ehrenamtlich die Schule leitet. Finanzielle Unterstützung gebe es nicht, sagt Pressesprecherin Mirella Penkova, die Schule finanziere sich aus den Beiträgen der Eltern. Mütter und Väter engagieren sich gleichermaßen. Während die Kinder unterrichtet werden, sorgen sie für die Pausenverpflegung. Jeder hat etwas mitgebracht. Auf der Theke stehen Kuchen, Kekse und Snacks.
In der Schweinfurter Öffentlichkeit ist die bulgarische Sonntagsschule bislang noch nicht sichtbar geworden. Doch das soll sich ändern. Am 3. März 2025, dem Nationalfeiertag, an dem Bulgarien seine Befreiung von der 500-jährigen osmanischen Fremdherrschaft feiert, wollen die Kinder und Erwachsenen auf dem Marktplatz einen großen Kreistanz aufführen. Vielleicht sogar in den bunten Trachten der Heimat.