Die Forststraße in Schraudenbach ist derzeit Frontgebiet. Bei warmfeuchtem Wetter, wie am Freitagnachmittag, rücken die Eindringlinge an, in regelrechten Wellen. Es sind Schwammspinner-Raupen, die vom Staatswald her in die Siedlung robben, am südöstlichen Ortsrand. Dort schwärmen die lästigen Larven in die Gärten aus. "Da ist wieder eine": Janine König hat eine Invasorin in den Erdbeeren entdeckt und greift zur Zange. Die feinen Härchen der Schmetterlingsbrut können Allergien auslösen, auch wenn die Hautreizungen weniger intensiv sind als beim Eichenprozessionsspinner.
Die Raupe Nimmersatt kommt zu Dutzenden anderen Gefangenen in die Plastikdose, für ein feuriges Ende. "Man fühlt sich hilflos", klagt die Anwohnerin, die zusammen mit Ehemann Christian und zwei kleinen Kindern in der Forststraße wohnt: "Sie sind überall. Im Apfelbaum, im Kirschbaum, in den Rosen, den Erd- und Himbeeren". Der Untere Forst wirkt gleich hinter den Häusern, als wäre saurer Regen gefallen. Viele Äste sind kahl wie im Herbst oder hängen voll haarigem Gewimmel, zwischen löchrigen Blättern. Ab und zu seilt sich ein frischgeschlüpftes Exemplar aus einem Schaumnest in den Baumwipfeln ab. "Man hört sie fressen", sagt König: "Knack, knack, knack." Seit 2014 wohnt die Familie in der Forststraße, Vergleichbares hat sie noch nicht erlebt.
Mehrere Wochen lang mampft der Nachtfalter-Nachwuchs Laub, bis zu einem Quadratmeter pro Raupe. Im Juli folgt die Verpuppung, dann wird die nächste Generation produziert. Jedes Weibchen legt hunderte Eier in Nestgespinste, aus denen im Frühjahr, beim Blattaustrieb, das große Krabbeln beginnt.
Im Privatwald wurde gespritzt, im Staatsforst nicht
Im Mai ließ ein Hubschrauber in der Gegend einen Häutungsbeschleuniger regnen, im Auftrag des Forstamts, auf Wunsch der privaten Waldbesitzer: was bei Naturschützern auf heftige Kritik stieß, ob befürchteter "Kollateralschäden" bei Vögeln, Bienen, Schmetterlingen und anderen Insekten. Janine König irritiert eher, dass das Pflanzenschutzmittel nicht auch vor der Haustür eingesetzt worden ist: "Ich verstehe nicht, dass in den Privatwäldern gespritzt wird und im Staatsforst nicht." Wer Chemie-Einsatz ablehne, solle selbst einmal die Folgen einer Massen-Vermehrung erleben.
Nachbar Elmar Gehrsitz greift klassisch zur Fliegenklatsche. Mit zombiehafter Beharrlichkeit krabbeln ständig neue Raupen nach, bis in die Häuser hinein. Fliegengitter sollen sie abhalten. Von der anderen Straßenseite her ist Fauchen zu hören: Ludwig Rumpel hat sich mit Gasflasche und (Mini-)Flammenwerfer bewaffnet. Die Tierchen, die nicht im Feuerstrahl verglühen, wandern bis zum Dach hinauf. Wo sie sich mit ihren langen Schwebhärchen in den Wind werfen, um sich als "Luftlandetruppe" neue Futterquellen zu erschließen. Nicht nur die Schädlinge gehen am Waldrand die Wand hoch. Die Königs machen sich Sorgen um ihre Töchter: "Sie können nicht mehr unbeaufsichtigt im Garten spielen". Beim Waldfest Anfang Juni hätten sich die Jung-Schwammspinner über den Tischen abgeseilt. Ein Helfer habe bei der Vorbereitung eine schwere Hautallergie davongetragen.
Elmar Gehrsitz erinnert sich daran, dass es vor Jahren eine ähnliche Plage gab. Wann immer bekämpft worden sei, habe es keine Probleme gegeben. Sicher halte ein gesunder Wald Kahlfrass aus, sagt Gehrsitz. Nur: "Wenn im Sommer wieder eine Dürre dazukommt, erholen sich viele Bäume nicht mehr." Im ständigen Krabbelkampf nützt kein Tottreten oder Erschlagen. Würden die Raupen im Wassereimer versenkt, kröchen sie einfach heraus, sagt der Mitstreiter in der Forststraße:"Kochendes Wasser hilft". Janine König hat nur einen Wunsch: Dass im nächsten Jahr der Staatswald wieder besprüht wird. Zum Abschied sitzt bereits eine Raupe auf der Fototasche des Reporters.
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