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Schweinfurt
"Die Legende vom Ozeanpianisten": Novecento – Ein schöner trauriger Blues
Manfred Herker
 |  aktualisiert: 21.11.2024 18:01 Uhr

Neujahrstag 1900. Im Hafen von Boston sind die Passagiere des Ozeandampfers "Virginian" von Bord gegangen. Da findet der Maschinist Danny Boodman auf dem Piano des Ballsaals der Ersten Klasse ein Baby, das arme Auswanderer in einer Pappschachtel für Zitronen hinterlassen haben. Danny zieht den Säugling auf und gibt ihm den Namen Danny Boodman T.D. Lemon Novecento. "Mit dem Namen wird er es weit bringen", prophezeien Dannys Kumpels.

So beginnt der Monolog "Novecento", den der italienische Schriftsteller Alessandro Barrico 1994 geschrieben hat. Wie schon in "Seide" lässt der Autor auch diese Geschichte in intensiven Bildern voller Leichtigkeit aufleuchten. Nun hat sich der bekannte und beliebte Schauspieler Friedrich von Thun (wir stellten ihn am Montag vor) dieser Legende vom Ozeanpianisten angenommen. Begleitet vom Max Neissendorfer Jazztrio schuf von Thun aus dem Stoff einen faszinierenden Abend. Der Künstler begeisterte das Publikum mit seiner sonoren modulationsfähigen Stimme, mit seiner hohen Vortragskunst und nicht zuletzt mit seiner Nonchalance und seinem Charme.

Novecento wächst zwischen Kesseln und Turbinen auf. Als er acht Jahre als ist, stirbt sein Ziehvater. Eines Nachts schleicht sich der Junge in den dunklen Ballsaal, setzt sich ans Piano und beginnt ohne Vorkenntnisse Klavier zu spielen. Und wie. Matrosen und Passagiere im Schlafanzug staunen, einer reichen Dame rollen dicke Tränen über die Nachtcreme. "Das ist hier gegen die Vorschrift", sagt der Kapitän zu dem Jungen. Novecento sieht ihn freundlich an: "Ich scheiß' auf die Vorschrift".

Nach und nach wird Novecento zu einem geschätzten Bordmusiker. Mit dem Trompeter Tim findet er einen begabten Kollegen und einen treuen Freund. Von Thun/Tim berichtet nun an von den oft schrägen Abenteuern Novecentos und seinen unorthodoxen Ansichten. So löst unser Held bei schwerem Sturm die Arretierungen des Flügels, fordert Tim auf, sich neben ihn zu setzen. "Und er begann zu spielen und wir tanzten auf dem Ozean".

Ozeanüberquerungen machen ihn weltberühmt

Einmal fragt Tim seinen Freund, woran er eigentlich beim Klavierspielen denke, und Novecento antwortet: "Heute war ich in einem wunderbaren Land, die Frauen hatten duftendes Haar und es gab jede Menge Tiger". Er erzählt Tim von dem Sonnenuntergang auf der Pont Neuf, von dem lebhaften Treiben im Zentrum Londons – und er war doch nie von Bord gegangen. "Es war einfach genial".

Novecento weigert sich weiter beharrlich, jemals das Schiff zu verlassen. Trotzdem machen ihn die Ozeanüberquerungen weltberühmt, was den arroganten selbsternannten "Erfinder des Jazz", den amerikanischen Pianisten Jelly Roll Morton, nicht ruhen lässt. Er fordert Novecento im Sommer 1931 zu einem Duell heraus, nach einer furiosen Battle verliert Morton.

Trompeter Tim hat in den 30er-Jahren das Schiff verlassen. Nach dem 2. Weltkrieg erfährt er, dass die "Virginian" in Plymouth gesprengt werden soll. Eindringlich beschwört Tim seinen Freund Novocento, das Schiff zu verlassen. Vergeblich. "Das Land ist ein Schiff, das zu groß für mich ist. Es ist eine zu schöne Frau. Es ist eine Musik, die ich nicht spielen kann. Verzeih mir Bruder, aber ich werde nicht von Bord gehen". Tage später explodiert das Schiff.

Die Musiker Max Neissendorfer (Piano), Christian Diener (Bass) und Stephan Eppinger setzen dieser fantastischen, bitter-süßen Geschichte musikalische Glanzlichter auf. Klassiker wie "I got rhythm", "If I should loose you", "Autumn leaves" und "Night and Day" lassen den Tanztee im großen Ballsaal ahnen. Aber das Trio betont auch die Poesie und die Dramatik der Erzählung. - Riesenapplaus für einen großartigen Abend.

 
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