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GEROLZHOFEN
Die furchtbaren Bilder einer Kindheit
Der Gerolzhöfer Autor Klaus Grunenberg mit seinem neuen Buch.
Foto: Norbert Finster | Der Gerolzhöfer Autor Klaus Grunenberg mit seinem neuen Buch.
Norbert Finster
Norbert Finster
 |  aktualisiert: 07.04.2020 11:35 Uhr

Klaus Grunenberg erinnert ein bisschen an Walter Kempowski. Genau wie der 2007 gestorbene Autor so bekannter Werke wie „Deutsche Chronik“ oder der Biografien- und Tagebuch-Collage „Das Echolot“ versucht Grunenberg, aus biografischen Bruchstücken ein Bild des teilweise so furchtbar verlaufenen 20. und des beginnenden 21. Jahrhunderts zu entwerfen.

„Auf der Suche nach den goldenen Äpfeln der Hesperiden“ heißt die voluminöse Trilogie mit 690 Seiten, die dabei herausgekommen ist. Diese Äpfel gedeihen in der griechischen Mythologie in einem wunderschönen Garten und verleihen den Göttern ewige Jugend.

Bilder ins Gedächtnis eingebrannt

Ewige Jugend, die scheint auch Klaus Grunenberg mit seinen 79 Jahren zu haben. Doch für viele Menschen aus seinem Roman bleibt die Suche nach den goldenen Äpfeln erfolglos. Der Vater gefallen, den Bruder auf der Flucht aus Hinterpommern verloren, die Tante vergewaltigt – nur einige Beispiele aus der Serie der fürchterlichen Bilder, die sich seit seiner Kindheit in Klaus Grunenbergs Gedächtnis eingebrannt haben und bis heute nachwirken.

Der Garten der Hesperiden, das ist für Klaus Grunenberg das gewachsene und manchmal sogar erfolgreiche Abendland, in das aber wie in der Mythologie immer wieder Unheil einbricht. Der Nationalsozialismus ist eins der schlimmsten davon. Grunenberg lässt seinen Vater von den schrecklichen Erlebnissen an der Ostfront erzählen und wechselt dann wieder unmittelbar in die Perspektive des Kindes. Ein Kind, das die Durchhalteparolen in der letzten Phase des Krieges durchschaut: „Ein Kind ist nicht so leicht zu betören, ein Kind fühlt, wenn gelogen wird. Inneres Lachen ob dieser schwebenden Lächerlichkeiten aus dem Lautsprecher, die ein Mann vom Balkon des Rathauses auf uns niederprasseln ließ...“

Schreiben als Ventil

„Beim Schreiben kommt alles raus, man hat keine Wut und keine Rachegedanken mehr“, sagt Klaus Grunenberg im Gespräch über sein Buch. Es ist über viele Jahre entstanden. Das Schreiben wurde Ventil für die eigene Beklemmung. „Ohne das hätte ich nicht mehr existieren können“, hatte er in einem früheren Gespräch gesagt.

Mit Walter Kempowski hat Klaus Grunenberg eine Korrespondenz gepflegt über das, was bei ihm im Entstehen war. „Kempowski hat immer geantwortet“, erinnert sich der in Gerolzhofen lebende Autor. Anders war das bei Marcel Reich-Ranicki, von dem er nie eine Reaktion erhielt.

Bisher hatte sich Klaus Grunenberg ausschließlich der Lyrik verschrieben. Auch jetzt sagt er noch, ein Gedicht sei leichter geschrieben als ein guter Prosa-Text. Doch die Fülle des Stoffs war nicht mehr alleine in Lyrik zu binden. Die Trilogie ist sein erstes Prosawerk, aber immer noch mit vielen Texten in gebundener Sprache durchsetzt. Die beiden ersten Teile sind autobiografisch, im letzten Teil reiht Grunenberg eine Folge von kurzen Prosatexten, Gedichten und Gedichtbesprechungen aneinander.

Die helle Phase Gerolzhofen

Klaus Grunenbergs Mammutwerk besteht indes nicht nur aus historisch bedingtem Trübsinn. In dieser Kategorie ist auch nicht sein ganzes Leben verlaufen. Seine Zeit in Gerolzhofen gehört zu den hellen Phasen. Auch ihr hat Grunenberg mehrere kleine Kapitel gewidmet. Der gelernte Diplom-Braumeister und spätere Klinikbetreuer in der pharmazeutischen Industrie beschreibt das Phänomen eines Rundwegs um die Stadt.

Und sofort wieder die gedankliche Überhöhung. Immer denkt man, es gehe geradeaus, und doch geht es im Kreis. Auf seinem Rundweg holen die Gedanken an Hinterpommern Grunenberg schon wieder ein und es fällt ihm auf, dass es auch heute wieder „politische Deppen“ gibt, die das Sagen haben und denen viele folgen. „Aber das erschreckt anscheinend unser ökonomisches Leben überhaupt nicht“, kritisiert der Autor die Blindheit vieler auf dem politischen Auge. Wichtig ist: Alles soll immer mehr werden, gleich bleiben gilt nicht.

Was in der Gerolzhöfer Zeitung steht, interessiert den Romanautor auch. Zu den großen Ideen der Neuzeit gehört es, dass ein Bäckermeister seinen Sauerteig mit Schallwellen bestreicht. Das Brot soll dann besser werden. Grunenberg bezweifelt es.

Ein festes Theater für die Stadt

Dass es in einer so kleinen Stadt wie Gerolzhofen ein Theaterensemble gibt, das Großes von Lessing über Hofmannsthal bis hin zur eigenen Stadtgeschichte aufführt, bewundert der Ostpreuße Grunenberg. Die Stadt sollte dem Stadttheater das Betty-Stumpf-Haus als feste Bleibe überlassen. Dann hätte Gerolzhofen sein kleines „Globe Theatre“.

In der Zeitung steht auch, dass die katholischen Pfarreiengemeinschaften räumlich immer größer werden. Es ist eine seiner großen Gegenwartssorgen, was aus dem großen, alten Kulturgut Kirche wird, sagt der Autor.

In seinem autobiografischen Werk verschweigt Grunenberg nicht, dass seine Mutter noch spät eine Verbindung mit einem ranghohen SA-Mann einging, der 1933 die Leitung der SA-Brigade Unterfranken übernahm und 1935 Leiter der SA-Brigade 6 in Danzig wurde.

Erstes und letztes Prosawerk

Der Autor merkt an, dass „Auf der Suche nach den goldenen Äpfeln der Hesperiden“ sein erstes und auch sein letztes Prosawerk ist und bleiben wird.

Erstmals öffentlich vorgelesen hat der Autor aus seinem neuen Buch bei den Senioren im Pfarrer-Hersam-Haus. Dabei konzentrierte er sich auf die Textteile über Gerolzhofen und erhielt dafür viel Beifall.

Das Buch hat die ISBN-Nummer 978-3-7448-1524-6 und wird vom BoD-Verlag in Norderstedt bei Hamburg verlegt. Als so genanntes Book on Demand wird es aber nur gedruckt, wenn genügend Interesse dafür vorhanden ist.

 
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