„Es war hochwissenschaftliches Rechnen“, sagt Dr. Andreas Heil, Prokurist der Nürnberger Spezialfirma Tauber, ein Experte fürs Kampfmittelräumen. Man hört einen gewissen Respekt. Die Massenbombardierungen des Zweiten Weltkriegs verlangten ein systematisches Füllen vorgegebener Flächen mit Explosionen. Beim 1000 Bomber-Angriff auf Köln, Ende Mai 1942, fielen die Bomben bis kurz vor den Dom. Dann, so Heil, wurde pausiert, exakt hinter der Kirche weiter bombardiert.
Der Referent hat im Bunkermuseum, beim Gedenkwochenende „73 Jahre Kriegsende in Schweinfurt“ einen der Rechengegenstände der Luftkrieger dabei: eine 20 Kilo schwere Bombe, wie sie bei mehr als zwanzig Luftangriffen auch auf das Industriezentrum am Main fiel. Am 11. April 1945 besetzten US-Truppen eine Ruinenstadt. Mit Sprengstoff hat der Blindgänger, der gerade auf eine Bierbank passt, 45 Kilo gewogen. Kein Vergleich zu tonnenschweren Blockbuster-Luftminen, den Wohnblock-Wegfegern. Ein Haus hätte die Druckwelle dennoch verwüsten können: „Auch wenn die Bombe klein ist, sie ist für den, der sie in der Nähe abkriegt, sehr beruhigend“, sagt der Fachmann sarkastisch.
Respekt vor dem hochexplosiven Erbe
Den Respekt vor einem hochexplosiven Erbe will Heil auch den Zuhörern vermitteln, die sich im Keller des Museums drängen, einer von ehemals 13 Hochbunkern der Stadt. Im Inferno des Luftkriegs regneten eine Million, vielleicht zwei Millionen Tonnen „Abwurfmunition“ auf Reichsgebiet.
Vermutet wird ein Blindgängeranteil von fünf bis zwanzig Prozent. In der Zeit des Schutträumens hieß es bei Funden dann schon mal: „Schippe drauf!“ Weit mehr als 100.000 Bomben könnten noch in der Erde lauern, in Flüssen, Seen, an Bahnlinien. Dazu kommen Überbleibsel des „Endkampfs“ am Boden.
Auch private Häuslebauer können betroffen sein
Nur: „Kampfmittelräumung wird oft in der Bauplanung nicht berücksichtigt.“ Auch private Häuslebauer sollten sich informieren, rät Heil, etwa auf www.kampfmittelportal.de, mit Merkblatt. Der Bauherr ist dafür verantwortlich, dass auf seinem Grundstück kein Sprengstoff lauert, er trägt die Suchkosten. Wenn der Sprengmeister anrücken und in mindestens 1000 Meter Umkreis evakuiert werden muss („der Radius ist nicht verhandelbar“), wird es teuer, in der Regel für den Staat. In Oranienburg dauerte eine Evakuierung mal zwei Wochen, auf einer Baustelle in Neu-Ulm wurde gerade der dritte Blindgänger gefunden. Auch Bauarbeiter sind gefährdet. In einem Fall bei München lag die Bombe bereits in der Baggerschaufel, als die Experten eintrafen. Weniger Glück hatte ein Fahrzeugführer, der 2006 nahe Aschaffenburg in den Tod gerissen wurde, bei Fräsarbeiten auf der A3.
Zugriff auf Millionen Fotos
Wichtigstes Hilfsmittel bei der Suche sind die Auswertungen des Militärs. Die Estenfelder Luftbilddatenbank Dr. Carls hat Zugriff auf Millionen Fotos: „das beste Büro der Welt“. Zeitzeugen seien ebenfalls hilfreich. Vor Ort prüft der Detektor winzige Magnetfeldanomalien. Das Suchgerät ist relativ störanfällig, eine „falsch“ liegende Granate ist kaum zu finden. Eine Alternative wäre Georadar, mit eigenen Vor- und Nachteilen.
Konkret aufgespürt wird der Sprengkörper mit dem Sondenstab, möglichst ohne den eingeschraubten Zünder zu treffen. Dann ist präzise Planung gefragt, bevor entschärft oder gesprengt wird. Bei einer Evakuierung gelten harsche Regeln: Sich den Anweisungen fügen, Nötigstes, wie Medikamente, Laptops oder Dokumente, mitnehmen, ebenso Haustiere, die Wohnung sichern und hoffen, dass das Haus bei der Rückkehr noch steht. Den Einsatz zu filmen ist tabu. Sicherheit garantieren kann Andreas Heil auch in Zukunft nicht: „Wir haben die nächsten 200 Jahre zu tun“.