Manuel ist für Sabine Hahn "wie ein leiblicher Sohn", sagt sie. Als der heute 22-Jährige als Pflegekind zu ihr kam, war er fünf Jahre alt. Was für den Buben damals bereits galt, gilt heute noch: Manuel hat mehr zu kämpfen als andere. Er trägt daran keine Schuld. Sauerstoffmangel während der Geburt hatte bei ihm zu geistigen und körperlichen Beeinträchtigungen geführt, die ihn sein Leben lang begleiten werden. Und auch Sabine Hahn hat schon viel gekämpft, um Manuel trotz allem ein möglichst unbeschwertes Leben zu bieten. Doch in diesem Sommer erlebte sie einen Tiefpunkt, von dem sie sich bis heute nicht erholt hat.
Im Gespräch mit dieser Redaktion schildert sie den "Rauswurf" von Manuel aus der Werkstatt für behinderte Menschen, die die Lebenshilfe Schweinfurt in Augsfeld bei Haßfurt betreibt. Bis zu diesem Einschnitt Ende August hatte Manuel die Werkstatt als Tagesbesucher knapp drei Jahre lang besucht. Die Arbeit dort hat seinen Tagen Struktur und Sinn gegeben – und seine Pflegemutter entlastet. Seit Beendigung der Tätigkeit hänge Manuel jetzt den ganzen Tag zuhause rum, sagt Sabine Hahn. Die Lage bereitet ihr nicht nur große Sorgen. Es macht sie auch wütend.
Lage bringt Pflegemutter an den Rand der Verzweiflung
Ihr Unmut richtet sich unter anderem gegen den Träger der Werkstatt, die Lebenshilfe, und gegen den Bezirk Unterfranken. Dieser ist laut Gesetz für Eingliederungshilfen zuständig, auf die Manuel und seine Pflegemutter Anspruch haben. Die Hilfe soll, so ist es vorgesehen, dem persönlichen Bedarf der Betroffenen gerecht werden. Der jahrelange Kampf um das Wohl ihres Pflegesohns und ihre Wut bringen Sabine Hahn vielleicht auch dazu, vieles an ihrer Lage schwarz-weiß zu malen. "Ich bekomme keine Hilfe und muss um alles kämpfen." So fasst sie ihre verzweifelte Lage zusammen. Schuld daran sind ihrer Ansicht nach andere.
So sei Manuel in der Augsfelder Werkstatt beispielsweise schlecht betreut und seitens des Personals psychischem Druck ausgesetzt worden. Gesundheitliche Probleme des 22-Jährigen seien nicht berücksichtigt worden, im Gegenteil, man habe ihm vorgeworfen, diese absichtlich zu provozieren, sagt Sabine Hahn. Ihrem Pflegesohn sei auch ein passender Stuhl verweigert worden. Zugleich schildert sie Auswirkungen auf Manuel, der mit Veränderungen in seinem Umfeld grundsätzlich schwer zurechtzukommen scheint. Als er etwa wegen Corona-Schutzmaßnahmen eine andere Werkstatt besuchen sollte, sei er im Bus "ausgeflippt", erzählt seine Pflegemutter. Ein andermal habe er mit Worten allen gedroht, die Mundschutz tragen.
Einrichtungsleiter spricht von aggressivem Verhalten
Harald Waldhäuser ist merklich bemüht, auf Nachfrage dieser Redaktion ein möglichst ausführliches und differenziertes Bild von Manuel abzugeben – von einem "Rauswurf" könne man nicht sprechend, betont er. Mit Schuldvorwürfen hält er sich zurück und beschreibt die verfahrene Situation so, wie er und seine Kollegen diese in der Lebenshilfe-Werkstatt in Augsfeld, die Waldhäuser leitet, kennengelernt haben. Zusammengefasst schildert er den 22-Jährigen als einen Mitarbeiter, der wiederholt durch fremdaggressive Übergriffe aufgefallen sei. Er habe Personal und Klienten der Einrichtung bedroht und attackiert.
Der junge Mann habe Gegebenheiten, wie es sie für eine Gemeinschaftseinrichtung notwendigerweise gibt, nicht akzeptiert und andere Menschen provoziert. Selbst der Einbezug externer Spezialisten habe keine dauerhafte Lösung des Konflikts herbeigeführt. Im Gegenteil: Manuel habe sich zuletzt zunehmend einer Eingliederung verweigert und versucht, eigene Interessen rücksichtlos durchzusetzen, so der Einrichtungsleiter.
Letztlich ausschlaggebend für die von der Werkstatt ausgesprochene Beendigung des Betreuungsverhältnisses sei ein erneuter fremdaggressiver Zwischenfall unmittelbar nach dem Betriebsurlaub Ende August gewesen, berichtet Waldhäuser. Ihm sei selbstverständlich bewusst, dass der Verlust des Werkstattplatzes für Manuel und dessen Pflegemutter "sehr schwerwiegend ist", schreibt er. Die Entscheidung sei deshalb auch nicht leichtfertig getroffen worden. "Jedoch war diese nach den drei Jahren, in denen wir viele Maßnahmen und Gespräche unternommen hatten, und Dritte wiederholt leiden mussten, nun unumgänglich", hält Waldhäuser fest.
Pflegemutter wehrt sich gegen Wohnheim-Unterbringung
Trotz dieser ernüchternden Bilanz nach drei Jahren Werkstatt-Aufenthalt sieht Sabine Hahn in einem Besuch einer solchen Tages-Einrichtung für Manuel eine deutlich bessere Lösung als in der Alternative, ihren Pflegesohn in einem Wohnheim unterzubringen, wo er Tag und Nacht wäre. Diese Lösung hätte der Bezirk Unterfranken nach Aussage der Pflegemutter zwischenzeitlich favorisiert. Sie pocht darauf, Manuel trotz aller Probleme eine Chance zur Inklusion zu gewähren.
Einen Teilerfolg hat sie mittlerweile erreicht. Ende Oktober hat es beim Bezirk in Würzburg eine ranghoch besetzte Gesprächsrunde mit ihr gegeben. Dieser wohnten unter anderem Bezirkstagspräsident Erwin Dotzel, Vertreter der zuständigen Fachabteilung der Bezirksverwaltung sowie auch Innenstaatssekretär Gerhard Eck bei. Sabine Hahn hatte Eck als früheren Donnersdorfer Bürgermeister in den Fall eingeschaltet und mit Alexandra Sahlender eine Freundin an der Seite, die sie seit Jahren unterstützt. Ergebnis dieses Gesprächs war nach Angaben von Markus Mauritz, dem Pressesprecher des Bezirks, ein Einvernehmen aller Beteiligten über die "Gestaltung weiterer Unterstützungsmaßnahmen".
Bezirk pocht auf Annahme der angebotenen Hilfe
Doch wie sehen diese aus? Kern der angestrebten Lösung ist nun tatsächlich eine Aufnahme Manuels in die Werkstatt für behinderte Menschen in Sennfeld, die, wie die Werkstatt in Augsfeld, die Lebenshilfe Schweinfurt betreibt. Ab dieser Woche arbeitet Manuel dort für zunächst drei Wochen als Praktikant, was Sabine Hahn freut. Sie sieht dies als Chance. Jetzt wünscht sie sich für ihren Pflegesohn noch eine Reha-Maßnahme, die dieser dringend benötigen würde. Entsprechende Anträge wurden jedoch trotz ihres Widerspruchs bislang abgelehnt.
In einem Schreiben des Bezirks, das Sabine Hahn im Nachklang der Gesprächsrunde erhalten hat, steht geschrieben, dass das an die Psychiatrie in Werneck angegliederte Fachteam des Betreuten Wohnens in Familien bereit sei, die Pflegefamilie bei der Betreuungsarbeit aktiv zu unterstützen. Dem Brief ist aber auch zu entnehmen: Sollte Sabine Hahn die angebotene fachliche Hilfe nicht annehmen und berücksichtigen, dann sieht der Bezirk keine Zukunft für eine Betreuung Manuels bei Sabine Hahn in Donnersdorf.
Es sei auch nicht das erste Mal, dass der Bezirk Unterfranken der Pflegemutter in deren "sicherlich nicht einfach Situation" im Rahmen der Eingliederungshilfe und der Hilfe zur Pflege Unterstützung in "fachlicher Hinsicht wie auch in verwaltungsrechtlichen Fragen" angeboten habe, stellt Pressesprecher Mauritz klar.
Von ihm kann man nicht einfach "normale" Verhaltensweisen erwarten oder gar fordern. Aggressivität kommt meist daher, dass er mit einer bestimmten Situation nicht klar kommt. Er kann da nicht vernünftig argumentieren, sondern schlägt, schreit, droht mit dem, was er als bedrohlich erlernt hat (Stichwort Masken).
Aber von Mitarbeitern einer Behinderteneinrichtung kann man erwarten, dass sie mit sowas umzugehen wissen und entsprechend deeskalierend reagieren. Und nicht sagen "der ist gefährdend und muss hier weg!"
Und was die erwähnten "alternativen Angebote" angeht: Sind die tatsächlich geeignet oder nur irgendwelche oberschlauen Ideen ohne Berücksichtigung der individuellen Person?
Ich kenne sowas gut genug, um zu vermuten, dass die Pflegemutter das nicht grundlos ablehnt.
Unglaublich traurig, dieser Fall, aber keine Ausnahme.
Im "SGB IX § 219 Begriff und Aufgaben der Werkstatt" geregelt
Vielleicht wird er selbst von irgendwem geärgert, vielleicht gefällt ihm die ihm zugewiesene Arbeit nicht, oder vielleicht hat er einfach Rückenschmerzen von einem unbequemen Stuhl o.dgl.
Er kann sich nicht "vernünftig" artikulieren, und tut das dann auf eine ihm mögliche Art und Weise.
Natürlich haben Sie Recht, man muss die anderen ggf. vor ihm schützen, aber da sollte es andere Möglichkeiten geben als ihn rauszuwerfen.
Laut Psychiatrie in Werneck sind all diese Sachen ein Teil seiner Behinderung.....Rechtfertigt das eine Kündigung mit angedrohter Räumung des Zimmers binnen kürzester Zeit?
Wäre die nervliche Belastung für Angehörige nicht so groß gewesen wären auch wir an die Öffentlichkeit gegangen.
Da kann man Manuel nur die Daumen drücken, dass er mehr Glück hat.