
"Glaubst du noch, oder denkst du schon?" Ein provokantes Motto, das wir in anderer Form, wo es um Wohnen und Leben geht, auch von einem schwedischen Möbelhändler kennen. Ums Leben und Wohnen geht es aber auch beim Bund für Geistesfreiheit (Bfg) und zwar um ein Leben ohne Gott. Ein Leben, in dem kein höheres Wesen, um es pathetisch auszudrücken, im Herzen der Menschen wohnt.
"Ein denkender Mensch kann ohne Gott auskommen." Dieses Zitat von Graham Greene ist so etwas wie ein Leitmotiv des BfG, dessen Ursprünge sich in Schweinfurt bis ins Jahr 1849 zurückverfolgen lassen. "Frei sei der Geist und ohne Zwang der Glaube" hatten schon die 1848er-Revolutionäre verkündet. Zuvor hatte die Zeit der Aufklärung den "blinden Glauben", der allzu häufig mit blindem Gehorsam gegenüber geistlichen und weltlichen Obrigkeiten gleichzusetzen war, ins Wanken gebracht. Auch in Schweinfurt wurde eine freichristliche Gemeinde gegründet, doch so schnell die 1848er-Bewegung ins Stocken kam, so schnell waren auch die freichristlichen Gemeinden wieder verboten.
Ein Freidenker, der ursprünglich Pfarrer werden wollte
Erst 1906 fanden sich wieder so viele freidenkende Menschen zusammen, die zunächst den "Verein der Freidenker für Feuerbestattung" und ein Jahr später die "Freidenker-Vereinigung Schweinfurt" gründeten. "Hauptsächlich Arbeiter, denn Schweinfurt war inzwischen Industriestadt geworden", so Wolfgang Günther, studierter evangelischer Theologe mit ursprünglichem Berufswunsch Pfarrer, freier Trauerredner und langjährig in der Vorstandschaft des BfG aktiv. Ab 1919 nannte man sich "freireligiöse Gemeinde", 1931 dann der Zusatz "Bund für Geistesfreiheit", der aktuell in Bayern etwa 8000 Mitglieder hat, in Schweinfurt sind es gut 160.
Freie Geister, was auch immer die dachten, waren nicht im Sinne der Nationalsozialisten. 1933 wurden alle freigeistigen Vereinigungen in Deutschland verboten, ihr Vermögen beschlagnahmt. Als nach dem Krieg nicht nur die Gedanken, sondern auch Deutschland wieder frei war, formierten sich die Freidenker neu, führten 1947 wieder eine Jugendweihe durch.
"Du musst dran glauben" – oder doch nicht?
Selber denken statt einfach nur glauben, Humanismus leben, für Menschenrechte und Toleranz eintreten. Einige der Grundfeste des Bunds für Geistesfreiheit. Könnte man dies nicht auch als kritischer Geist in einer religiösen Gemeinschaft tun? Nein, denn ein Blick in die Geschichte der Weltreligionen zeige, dass Religion immer auch den Menschen Angst gemacht habe und zur Ausübung von Macht missbraucht worden sei. Nicht umsonst habe der Satz "Du musst dran glauben" so eine Doppeldeutung erhalten. Herbert Wiener, der 40 Jahre für die SPD im Stadtrat saß und seit vielen Jahren Vorsitzender des BfG in Schweinfurt ist, nennt Beispiele von den christlichen Kreuzzügen bis hin zu den Aufrufen zum "Heiligen Krieg gegen die Ungläubigen" in der muslimischen Welt. Wenn ein Präsident zum "Krieg gegen das Böse" aufruft und dabei Gottes Hilfe einfordert, dann werde Religion instrumentalisiert, um politische Vorstellungen durchzusetzen. Oder wirtschaftliche Interessen, deren Wahrung Menschen oft gegeneinander aufhetzen, zu Fremdenfeindlichkeit und Rassismus führen würde. "Das Schwert in der Hand wird durch Religion legitimiert", auf der Strecke blieben dabei allzu häufig Toleranz und Menschlichkeit.

Darüber hinaus besäßen die Kirchen noch immer die Deutungshohheit in psychologisch wirksamen Lebenssituationen wie Taufe, Kommunion oder kirchlicher Hochzeit. Der Bund für Geistesfreiheit bietet Geburts- und Namensgebungsfeier als Alternative zur Taufe, die Jugendweihe anstelle von Kommunion/Konfirmation und weltliche Trauerfeiern an.
Zweifel als Nährboden für neue Erkenntnisse
Und wie lebt es sich, wenn einem Gott irgendwann auf seinem Weg abhanden gekommen ist? Auch Herbert Wiener war einst in einer katholischen Studentenverbindung aktiv, hat sich aber schon während seines Studiums, er ist Ingenieur und war als Fachhochschulprofessor tätig, von kirchlichen Glaubenssätzen entfernt. "Wir wissen nicht alles, können einiges noch nicht mit wissenschaftlichen Denkansätzen erklären. Mit dem Zweifel können wir aber leben, ohne dass für uns ein planender und guter Gott notwendig ist." Wer zweifelt, fange an zu denken, so werde Zweifel zum Nährboden für eigene neue Erkenntnis. Glaube sei Resignation vor dem Zweifel. "Würde der Mensch nur glauben, dann wäre die Erde heute immer noch eine Scheibe", fassen Wiener und Günther ihre Sicht der Dinge zusammen. Alles, was er sich nicht erklären konnte, seien es Blitz und Donner oder Wachsen und Gedeihen, habe der Mensch schon immer den Göttern seiner Vorstellungswelt zugeordnet.
Ein freidenkender Geist braucht also keinen doppelten Boden in Form irgendeines Gottes, wenn es um Fragen geht wie "Gibt es ein Leben nach dem Tod?" oder "Woher kommt die Welt und der ganze Rest?". Freidenker sein sei dennoch mehr, als keiner Kirche angehören, sondern auch ein Bekenntnis zu Humanismus und Materialismus. Und ein Bekenntnis zur Religionsfreiheit und zur Freiheit der Weltanschauung anderer. Sofern diese sich den Menschenrechten und der Werteordnung des Grundgesetzes verpflichtet fühlen, nicht nur in ihren Schriften, sondern vor allem in ihrer gelebten Praxis.
Denken statt Glauben – aber auch Denken tut manchmal weh
Ist der Bund für Geistesfreiheit also so eine Art Sammelbecken für die steigende Zahl der Konfessionslosen und für Menschen, die sich aus dem immer größer werdenden Kuchen der Spiritualität – von Esoterik bis Event-Religiösität – die Rosinen herauspicken? Das kommt auf den einzelnen an, so Wolfgang Günter, der nichts von solcher Patchwork-Spiritualität hält. Der Bund für Geistesfreiheit sieht sich vielmehr als eine Gemeinschaft, in der der Mensch im Mittelpunkt steht. Ein aufgeklärter und frei denkender Mensch, der sich den persönlichen Denkprozess auf dem Weg seiner Loslösung vom Glauben nicht erspart. "Und denken tut manchmal weh", ergänzt Herbert Wiener.
Wenn die Pferde Götter hätten...
Strikte Trennung von Kirche und Staat, ein selbstbestimmtes Leben und dessen Ende. Auch dies sind zentrale Forderungen des BfG. Die Freigeister sind gegen Werteverfall und Umweltzerstörung, unterstützen auch die ökologische Bewegung wie zum Beispiel "Fridays for Future". "Ein Gegenpol zu immer mehr Profitstreben und dem nationalistischer werdenden Mainstream in der Welt", so Wiener. Das Ziel: "Humanismus als Wertvorstellung, die weltweit getragen werden kann, als Alternative gegen lebensfeindliche Machtansprüche." Ein Satz, den man zweimal lesen muss, um dann eventuell zu verstehen, dass er vielleicht doppelt wahr, aber einfach immer noch Utopie ist. "Der Mensch schafft sich seine Götter nach seinem Bilde, wenn die Pferde Götter hätten, dann sähen deren Götter wie Pferde aus", zitiert Wolfgang Günther noch den griechischen Philosophen Xenophanes, der schon vor fast 1500 Jahren so seine Version von Religionskritik kundtat. Der Weg nach Utopia bleibt schwierig – mit und ohne Gott.
