In Schweinfurt regelt eine Baumschutzverordnung seit 1989, unter welchen Voraussetzungen zur Säge gegriffen werden darf. Jetzt steht sie auf der Kippe. Die Bürger entscheiden am Sonntag, 28. Januar, ob es eine solche Verordnung weiter geben soll oder nicht. Ein aus 13 Partnern bestehendes Baumschutz-Bündnis mit dem Bund Naturschutz (BN) und der Stadtratsfraktion der Schweinfurter Liste (SWL) an der Spitze fordert zu einem Kreuz im Feld „Ja“ auf. Die CSU glaubt, es geht auch ohne Verordnung, also „Nein“.
Ins Rollen brachte das Ganze die Stadtverwaltung. Sie meinte, dass es wegen der Rechtsprechung seit 1989 Zeit für eine Überarbeitung der eigentlich noch bis 2030 gültigen Verordnung sei. Diese umfangreichere und für die Bürger nachvollziehbarere Neufassung musste aber der Stadtrat genehmigen. Eine Vorberatung im Umweltausschuss dazu im Januar 2017 musste aber vertagt werden, weil Stadtrat Rüdiger Köhler (CSU) – ein ungewöhnlicher Vorgang – sehr kurzfristig eine komplett eigene Verordnung erstellt hatte.
Änderungsvorschläge der CSU waren unzulässig
Die Änderungsvorschläge der CSU waren gegenüber dem Rathaus-Entwurf großzügiger, nach Meinung des städtischen Umweltreferent Jan von Lackum allerdings in Teilen unzulässig, ja sogar rechtswidrig. Köhler zog die Reißleine, nahm seinen Entwurf zurück, stellt jetzt aber zu aller Überraschung den Antrag auf „Erlass einer Verordnung zur Auflösung der Baumschutzverordnung“.
„Jetzt ist die Katze aus dem Sack“, reagierte Stadträtin Ulrike Scheider (SWL) als erste. Die Verordnung müsse bleiben, weil sie jedem Bürger bewusst mache, „wie wichtig der Naturschutz ist“, sagte Schneider. Aber auch sofortiger Protest von SPD, Linken und Bündnisgrünen half nichts. Die CSU-Fraktion – unterstützt von proschweinfurt, FDP und AfD – setzte sich durch. Spontan kündigte SWL-Fraktionschef Stefan Labus „Gegenwehr bis hin zum Bürgerbegehren“ an.
Das kam dann auch so. Es bildete sich ein Baumschutzbündnis mit SWL, SPD, Grünen, ÖDP, Die Linke, Piratenpartei, BN, Landesbund für Vogelschutz, Naturfreunden, Vogelschutzverein, Agenda-Gruppen und dem Freundeskreis Nationalpark Steigerwald, das die nötigen Unterstützerunterschriften einholte. Stadt und Bündnis einigten sich für den Bürgerentscheid auf den Januar-Termin.
Der BN erstellte eine Broschüre mit dem vieldeutigen Titel „Stadtgrün gefällt“. Verglichen werden darin mehrere Standorte im Stadtgebiet mit Luftbildern aus den Jahren 2011 und 2016. Man sieht: Der Bestand an Grünflächen und Bäumen hat trotz Baumschutzverordnung abgenommen. Ohne eine solche würde ein Kahlschlag einsetzen, sagt der BN. Plakate werben für ein Ja, das Bündnis veranstaltete teils spektakuläre Aktionen, stellte etwa an gefährdeten Allee-Bäumen weiße Holzkreuze auf, man holte mit Ernst Ulrich von Weizsäcker einen namhaften Umweltschützer und trommelt an Infoständen pro Verordnung.
Angesichts des voranschreitenden Klimawandels brauche es mehr statt weniger Bäume, sagt Stadträtin Schneider. Ein Baum produziere Sauerstoff, verbrauche Kohlendioxid und filtere (Fein)Staub. Um die Leistungsfähigkeit eines Altbaumes zu ersetzen, müssten bis zu 200 Jungbäume gepflanzt werden. „Die Arbeit der Bäume ist lebensnotwendig", sagt auch BN-Vorsitzender Edo Günther. Er hat Verständnis für Kritik an der alten Verordnung und die Beschwerden von Gartenbesitzern, weil sie registrierten, dass „die Großen machen konnten, was sie wollten“. Deshalb müsse eine bürgernahe Verordnung her, an der gerade eine Gruppe Naturschützer arbeitet. Wenn man nächsten Sonntag siegt, wird man diese modifizierte Verordnung vorlegen.
Vorgärten mit Kieselsteinen und Buchsbäumchen verhindern
Auch Bündnissprecher Richard Lindner appelliert an die Bürger, mit Ja zu stimmen, weil damit auch dem „bedauerlichen Trend“ von Vorgärten mit Kieselsteinwüsten und Buchsbäumchen ein Riegel vorgeschoben würde.
Vor allem ältere Bäume seien die grüne Lunge der Stadt und Lebensgrundlage für Insekten, Vögel und Kleinsäuger, sagt er und erinnert, dass Schweinfurt in puncto Versiegelung mit einem Anteil von 55 Prozent in Bayern schon jetzt einen Spitzenwert erreiche.
Daten und Fakten
Beim Bürgerentscheid am 28. Januar entscheiden die Schweinfurter Bürger darüber, ob sie eine Baumschutzverordnung haben wollen oder nicht. Die zur Abstimmung gestellte Frage lautet: „Sind Sie dafür, dass die Stadt Schweinfurt weiterhin eine Baumschutzverordnung hat, die insbesondere folgende Schutzgegenstände enthält: 1. Laubbäume ab einem Stammumfang von mindestens 70 cm*; 2. Nadelbäume ab einem Stammumfang von mindestens 100 cm*; 3. Ersatzpflanzungen im Sinne dieser Verordnung vom Zeitpunkt ihrer Pflanzung an? *Der Stammumfang von Bäumen ist auf einer Höhe von 100 cm über dem Erdboden zu vermessen.
• Initiiert wurde der Bürgerentscheid von der Schweinfurter Liste/Freie Wähler, die beim vorherigen Bürgerbegehren die nötige Anzahl an Unterschriften gesammelt hat. Am 13. Oktober stellte der Stadtrat die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens fest und legte auf Wunsch der Verwaltung und in Abstimmung mit den Initiatoren den 28. Januar als Abstimmungstag fest. Eine weitere Verlängerung der Frist wurde im November im Stadtrat mehrheitlich abgelehnt.
• Die Stadt hat 22 allgemeine Stimmbezirke und vier Sonderstimmbezirke in den Krankenhäusern und Altenheimen. Die Wahllokale sind am 28. Januar von 8 bis 18 Uhr geöffnet.
• Die Stimmberechtigten wurden ab 7. Januar durch individuelle Benachrichtigung darüber informiert, in welchem Stimmbezirk und Abstimmungsraum sie abstimmen können.
• Briefwahl ist möglich, die Unterlagen können bei der Stadt beantragt werden und müssen spätestens am 28. Januar um 18 Uhr bei der Stadt abgegeben oder zugeschickt werden.
• Bei einem Bürgerentscheid in Bayern gilt in Kommunen der Größe Schweinfurts ein Quorum von 15 Prozent. Das bedeutet, dass die Zahl der Stimmen, die die Mehrheit hat, mindestens 15 Prozent der in Schweinfurt zum Zeitpunkt des Bürgerentscheids eingetragenen Wahlberechtigten sein müssen. Zum 18. Januar waren in der Stadt Schweinfurt 39 850 Wahlberechtigte registriert. Das Quorum betrüge mindestens 5978 Ja- oder 5978 Nein-Stimmen. Das Quorum bezieht sich also nicht auf die Anzahl der abgegebenen Stimmen, sondern auf die Anzahl der insgesamt Wahlberechtigten. Sind es weniger Stimmen, ist der Bürgerentscheid ungültig. Bei Stimmengleichheit gilt die Frage als mit „Nein“ beantwortet. Für die Zulassung des Bürgerentscheids hatte die Schweinfurter Liste/Freie Wähler 2513 gültige Unterschriften gesammelt.
• Ist der Bürgerentscheid ungültig oder hat das Nein-Lager eine ausreichende Mehrheit, wird auf den gültigen Stadtratsbeschluss zur Aufhebung der Verordnung zurück gegriffen. Ordnungsreferent Jan von Lackum kündigte an, in der Stadtratssitzung am 27. Februar den Räten den entsprechenden Beschluss zur Abschaffung der Baumschutzverordnung vorzulegen und abstimmen zu lassen.
Erst wenn der Stadtrat endgültig entschieden hat, ist die Verordnung auch wirklich außer Kraft gesetzt.