Zu den Artikeln "Glasfaser im Kerngebiet kostenfrei" vom 6. April und "Ungleiche Maßstäbe" vom 14. April erreichte die Redaktion folgende Zuschrift:
Wie absurd ist das denn, was da im Poppenhäuser Gemeinderat aufgeführt wird? Da kritisiert in der Gemeinderatssitzung der Zweite Bürgermeister "in scharfen Worten" einen Gemeinderatskollegen für dessen Verhalten bei der Bürgerversammlung. Als der darauf antworten will, wird ihm vom Bürgermeister Redeverbot erteilt. Und das alles im öffentlichen Teil der Gemeinderatssitzung, damit der Reporter dies genüsslich in seinem Bericht über die Gemeinderatssitzung veröffentlichen kann.
Dass sich dann der betroffene Gemeinderat in einer Stellungnahme in der Zeitung dagegen wehrt, ist mehr als verständlich. Selbstverständlich hat Herr Breitenbach das Recht, seinen Kollegen darauf anzusprechen, warum er zu spät zur Bürgerversammlung gekommen ist und warum er den für ihn vorgesehenen Platz ausgeschlagen hat. Doch das sollte meiner Meinung nach nicht als Vorwurf ("in scharfen Worten") adressiert werden, sondern mit einer sachlichen Frage.
Aber genauso selbstverständlich muss der Gegenpart dann das Recht haben, zu erwidern. Vielleicht gab es ja einen plausiblen Grund für das Zuspätkommen, und vielleicht wollte Herr Spahn ja mit der Verweigerung des angebotenen Platzes seinem Protest gegen die wenig bürgerfreundliche Form der Bürgerversammlung Ausdruck verleihen? Zudem hat eine derartige Aussprache meines Erachtens zunächst nicht-öffentlich im Kollegenkreis oder gar unter vier Augen zu geschehen.
Der römische Philosoph und Staatsmann Seneca hat vor fast 2000 Jahren dazu einen weisen Satz formuliert, der auch heute nichts von seiner Richtigkeit verloren hat: (frei übersetzt) "Was unter vier Augen gesagt wird, lässt uns lachen, was vor mehreren, erzürnt uns". Ich denke, ein jeder von uns empfindet das so. Dass ein derartiger Sachverhalt zunächst nur intern thematisiert wird, gebietet allein schon der Respekt vor dem Kollegen. Was aber dem Ganzen die Krone aufsetzt, ist das von Bürgermeister Nätscher ausgesprochene Redeverbot. Ein Gemeinderat ist vom Bürger gewählt und somit in der Demokratie das Sprachrohr des souveränen Bürgers. Ein Bürgermeister kann also einem Gemeinderat, wenn überhaupt, nur bei einer außerordentlichen Verfehlung (z.B. grober Beleidigung) Redeverbot erteilen, aber doch nicht, wenn der auf einen Vorwurf erwidern will.
Im Gegenteil, die Aufgabe des Bürgermeisters ist bei Meinungsunterschieden unter Kollegen des Gemeinderats die Rolle des Moderators oder Mediators einzunehmen. Daneben hat er für ein offenes, kommunikatives Klima im Gemeinderat zu sorgen, was auch beinhaltet, konstruktive Kritik zuzulassen, ja dafür sogar dankbar zu sein. Ich kann mich dem Resümee von Herrn Spahn, Redeverbot seien Kennzeichen andersartiger Systeme, nur anschließen, möchte dies aber noch etwas deutlicher ausdrücken: Redeverbote sind Kennzeichen totalitärer oder autokratischer Systeme. Bürgermeister Nätscher jedenfalls hat mit seinem Redeverbot der Demokratie geschadet.
Norbert Reuß
97490 Kützberg