Selbst die Verteidigung wurde vom Sinneswandel ihres Mandanten überrascht: „Ich benötige keine Therapie, ich bin kein Alkoholiker“, darauf bestand der 32-Jährige in seinen letzten Worten vor Gericht. Hinfällig wurde demnach eine Unterbringung zu Therapiezwecken in der Wernecker Forensik. Über Paragraf 64 des Strafgesetzbuches „müssen wir nicht länger reden“, fasste es die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer zusammen. Der Angeklagte habe die Antwort schon selbst gegeben. Für eine Therapie müsste der Betroffene eigene Motivation mitbringen.
Was war passiert? Vorgeworfen wurde dem Mann vor dem Schöffengericht Schweinfurt Diebstahl in neun Fällen, einer davon ein räuberischer Diebstahl. Auf 24,95 Euro Einzelwert kommt die teuerste Beute, ein T-Shirt. Doch auch einen Schokoriegel für 1,20 Euro ließ der 32-Jährige laut Anklage an der Tankstelle mitgehen. Zudem Lebensmittel für 10,50 Euro, anderswo zwei Flaschen Wodka für 5,10 Euro, wieder andernorts „ein Stück Melone und einen Doppelkorn“ für neun Euro. Außerdem auf dem „Besorgungszettel“ des Beschuldigten: ein Bocksbeutel aus Sommerach für 6,29 Euro sowie ein andermal Himbeeren, Lachs und Weinbrand für gesamt 11,97 Euro.
Bis zu zwei Jahren Therapie
Bereits an einem ersten Termin Anfang Februar war die Hauptverhandlung gestartet: Die Anklage wurde verlesen, nicht geladen waren jedoch Zeugen – in der Erwartung, der Angeklagte lasse sich auf die Vorwürfe ein. Fünf Anklagepunkte blieben jedoch offen, der Mann stritt ab (wir berichteten). Das Gericht setzte deshalb die Verhandlung für Anfang März neu an, diesmal mit Zeugen.
„Sie haben offenbar gerechnet“, folgerte das Gericht, als der Angeklagte nun von einer Alkoholkrankheit nichts wissen wollte. Vermutlich gehe er davon aus, dass die Haftstrafe kürzer ausfallen könnte als eine therapeutische Unterbringung. Letztere würde mindestens ein halbes und maximal zwei Jahre dauern. „Sie sind nicht der Erste, der diese Rechnung aufstellt.“
Nicht einmal 100 Euro Beuteschaden ließen den Beschuldigten offenbar von einer minimalen Strafe ausgehen. Doch nicht bedacht hatte er seine Bewährung: Bereits sechs Monate Freiheitsstrafe hatte der Mann nach früheren Diebstählen zwischen 2014 und 2015 bekommen, keine zwei Monate später fiel er innerhalb der Bewährungszeit wieder als Ladendieb auf. In vier der neun nun angeklagten Fälle hatte die Polizei Alkoholtests gemacht, weil der Mann Anzeichen von Betrunkenheit zeigte: Rund drei Promille Alkohol soll er demnach jeweils zum Tatzeitpunkt im Blut gehabt haben. Ob er in den anderen Fällen auch betrunken war, konnte das Gericht nicht endgültig klären.
„Zweifelsfrei“ alkoholabhängig
Ein Gutachten eines psychologischen Sachverständigen ließ keine Zweifel offen: „Zweifelsfrei“ liege beim Angeklagten eine Alkoholabhängigkeit vor, bis zu einem halben Liter Wodka trinke er an manchen Tagen. Während Krankenhausaufenthalten habe er vereinzelt aus Desinfektionsspendern getrunken, um Entzugserscheinungen zu bekämpfen. Eine vom Gutachten attestierte „partielle Krankheitseinsicht“ konnte das Gericht im Gerichtssaal jedoch nicht mehr feststellen: „Ich bin gesund“, wiederholte der Angeklagte.
„Dann gehen Sie in den Knast“, folgerte der Vorsitzende Richter sichtlich entnervt. Wie lange er in den Knast müsse, das klärte die Beweisaufnahme zu den bestrittenen Vorfällen: Drei Verkäuferinnen sowie zwei Ladendetektive ließen im Zeugenstand keine Zweifel. „Ihn vergisst man nicht“, sagte die Angestellte eines Schreibwarenladens angesichts des markanten Gesichts des Angeklagten. Den Ladendetektiv, in dessen Büro er noch mit EC-Karte eine angebrochene Weinbrandflasche bezahlt haben soll, sehe er „zum ersten Mal“, sagte der 32-Jährige. „Vielleicht verwechseln Sie mich“, schlug er mehreren Zeugen vor.
Rechnung nachträglich beglichen
Ein heimlich aufgenommenes Foto aus den Minuten nach dem T-Shirt-Klau und ein kurzfristig eingeholter Bankauszug, der die abgebuchten 11,97 Euro für Weinbrand, Himbeeren und Lachs am Tattag belegte, machten die Straftaten aus Sicht des Gerichts „glasklar“. „Volltreffer“, kommentierte das Gericht den Bankbeleg. „Da haben Sie eine Show abgeliefert, die ihresgleichen sucht.“
Zwei Jahre und vier Monate Haft forderte die Staatsanwaltschaft. Sie beharrte auf dem Vorwurf des räuberischen Diebstahls in einem Fall. Diesen interpretierte das Gericht jedoch als Diebstahl mit vorsätzlicher Körperverletzung: Das Gezerre um den Rucksack, bei dem eine Verkäuferin stürzte und sich verletzte, sei nicht eindeutig.
Das Gericht schloss sich in seinem Urteil der Forderung der Verteidigung an und sah ein Jahr und sechs Monate für angemessen an. In einem der neun Anklagepunkte wurde das Verfahren eingestellt, weil er nicht abschließend zu klären war und deshalb dabei nicht ins Gewicht fiel. Der Angeklagte kann Rechtsmittel gegen das Urteil beantragen.