Die erfrischend blauen Fensterläden und das blaue Hoftor fallen an diesem weißen Wohnhaus in der Mainstraße sofort auf. Sie betonen das große Gebäude, das den Mittelpunkt eines ehemaligen Dreiseithofes bildet. Hier baute sich die junge Familie Ruhl ihr Familienhaus, an gleicher Stelle und im gleichen fränkischen Stil wie das alte Wohnhaus aus dem 19. Jahrhundert, aber energetisch topmodern. Am Tag der Innenentwicklung im Oberen Werntal, am 24. September, ist es geöffnet.
Auf der sandsteinernen Pforte ist über der Tür zur Straßenseite "1881" und "A.K." eingemeißelt. "Mein Urgroßvater Adam Keller hat das Anwesen wohl gebaut", erzählt die Hausherrin Eva-Maria Ruhl. Auch ihr Großvater bewirtschaftete den Bauernhof, ihr Vater wohnte anfangs hier. Dann waren Mieter im Haus, schließlich stand es leer.
Eine Sanierung wäre um 200.000 Euro teurer gekommen als der Neubau
"Ich habe als Kind viel Zeit auf dem Hof verbracht und wollte schon immer hierher", sagt die Bauherrin. Zum Studium hatte sie Hergolshausen verlassen, nach 14 Jahren war sie zurückgekehrt. Mit ihrem Mann Stefan entschloss sich die Lehrerin für das Bauprojekt mitten im Altort. "Eigentlich wollten wir das alte Haus nicht wegreißen", erklärt sie. "Es war ein schmerzlicher Prozess, aber die Sanierung wäre um 200.000 Euro teurer gekommen als der Neubau. Und offenes Wohnen wäre auch nicht möglich gewesen."
Weil in Hergolshausen eine Dorferneuerung mit dem Amt für Ländliche Entwicklung Unterfranken läuft, fanden die Bauherren hier Unterstützung: in der Beratung, aber auch in der finanziellen Förderung. "Wir haben uns fast 100-prozentig an die Vorgaben gehalten", so Eva-Maria Ruhl. Das Dach, stehende Fenster, das Gesims, Steinmauern, Brunnen, Hoftor, Gartenzaun – die alten, ortsbildprägenden Elemente wurden im Neubau wieder aufgenommen. Finanziellen Zuschuss gab es auch vom Leerstandsprogramm der Allianzgemeinde.
Der Landkreis unterstützte durch sein Abbruch-Förderprogramm
Ganz am Anfang stand allerdings der Abriss des alten Hauses inklusive Kuhstall. Der Landkreis Schweinfurt unterstützte dabei durch sein Abbruch-Förderprogramm. Eine Sandsteinmauer des Kuhstalls, der ans Wohnhaus angebaut war, blieb als Sichtschutz zur Straße für die dahinterliegende neue Terrasse stehen.
Zugeschüttet wurde vor dem Hauseingang die alte Mistgrube. Im Herbst soll die Fläche hier ebenso gestaltet werden wie der Garten zur Nachbarscheune hin, erklärt die Hausherrin. Den alten wasserführenden Brunnen an der östlichen Hausseite, vor dem Sitzplatz an der Küche, ließ das Paar wieder instand setzen.
Gebaut wurde das Ziegelsteinhaus dann 2019 schlüsselfertig vom Bergrheinfelder Bauunternehmen Geßner. Einziehen konnte das Ehepaar mit den drei Kindern ein Jahr später. Insgesamt 246 Quadratmeter Wohnfläche in zwei Vollgeschossen plus Dachgeschoss mit Gauben stehen ihnen zur Verfügung. Einen Keller braucht das Gebäude nicht. "Wir haben genügend Lagerraum in den Nebengebäuden und der Scheune", weiß Eva-Maria Ruhl. Die Haustechnik ist im Erdgeschoss untergebracht.
Wärmepumpe, Photovoltaikanlage und Wohnraumbelüftung
Für die Energieversorgung wurde auf der südlichen Dachseite eine Photovoltaikanlage angebracht, mit deren Strom auch das Elektroauto betankt wird. Daneben gibt es eine Wärmepumpe kombiniert mit einer Fußbodenheizung, einen 1000-Liter-Pufferspeicher sowie eine Wohnraumbelüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung. Die Fenster sind dreifach verglast, eine Hausdämmung war angesichts der Ziegelbauweise nicht nötig. Die Innenräume sind mit Kalkputz und biologischer Farbe versehen, was das Raumklima angenehm frisch erscheinen lässt.
Gleich beim Betreten des Hauses durch die historisch anmutende Haustür beeindruckt ein Schrank aus dem 19. Jahrhundert als Garderobe. Auch die Bodenfliesen im Vintage-Stil in der Diele sind eine Reminiszenz an das frühere Wohnhaus.
Ohne Türen wird man in die offen gestaltete Wohnetage gelenkt. Die mittig liegende Eichendielentreppe ins Obergeschoss trennt den westlichen Wohn- vom östlichen Küchen-, Sanitär- und Haustechnikbereich. Im Wohnzimmer ist ein beidseitig einsehbarer Kaminofen das trennende, aber auch verbindende Element zum Essbereich. Dort imponiert nicht nur der alte Tisch, sondern auch die zimmerbreite Schiebeverglasung, die hinaus auf die Terrasse zum Hof führt. "Wenn die Kinder da Kettcar oder Rad fahren, hat man sie im Blick", so die dreifache Mutter.
Der Essbereich geht hinter der Treppe über in den Küchenraum mit der großen Kochinsel, die der Familie auch als Esstisch dient. Daneben liegen Speisekammer, Technikraum und Gäste-WC. Hier beeindruckt eine Nussbaumkommode – ein Fundstück aus dem alten Haus – als Waschtisch für ein modernes Becken.
Begehbarer Glasausschnitt ermöglicht ungewöhnliche Einblicke
Als witzige, aber auch praktische Idee ist in der Decke im Küchenbereich ein begehbarer Glasausschnitt eingelassen. Das ermöglicht den Blick von unten hinauf in den oberen Flur, aber auch von oben hinunter zur Essecke.
Im ersten Stock liegen neben dem Familienbadezimmer die Schlafzimmer der fünfköpfigen Familie. "Von hier aus kann ich sogar hinüber zum Kindergarten sehen", freut sich die Bauherrin. Sie kann ihre sechsjährigen Zwillinge den kurzen Weg dorthin sogar alleine gehen lassen.
Unterm Dach liegt das große Büro, in dem Stefan Ruhl im Homeoffice arbeitet. Seine Frau bereitet am Spätnachmittag und Abend ihren Unterricht vor. Der Clou für die fußballbegeisterte Familie: hier oben ist das Fußballzimmer über die ganze Hausbreite. Die Jungs können bei schlechtem Wetter auf Kunstrasen kicken.
Dass die Ruhls im Altort investierten, war für die Gemeinde und die Familie ein Glücksgriff. Beide sorgen für die Wiederbelebung des Ortskerns.