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GRAFENRHEINFELD
Bäckermeister kapituliert vor der Fertigbackindustrie
30 Jahre stand Ulrike Riedmann hinter der Ladentheke. Jetzt wird die Grafenrheinfelder Bäckerei Haagen geschlossen, weil sie mit den Großbäckereien nicht mehr mithalten kann. Die Regale sind bereits leer geräumt.
Foto: Irene Spiegel | 30 Jahre stand Ulrike Riedmann hinter der Ladentheke. Jetzt wird die Grafenrheinfelder Bäckerei Haagen geschlossen, weil sie mit den Großbäckereien nicht mehr mithalten kann. Die Regale sind bereits leer geräumt.
Irene Spiegel
 |  aktualisiert: 03.12.2019 10:29 Uhr

Die treuen Kunden sind schockiert, und die treuen Mitarbeiter haben Tränen in den Augen. Nach 42 Jahren schließt Herbert Haagen seine Bäckerei. Als kleiner Handwerksbetrieb kann er mit den „günstigen Preisen“ der Großbäckereien nicht mehr mithalten. So steht es auf dem Aushang im Schaufenster seines Ladens.

500 Brötchen, 40 Brote, 150 Gebäckstücke und acht bis zehn Kuchen hat Herbert Haagen täglich gebacken, als sein Geschäft noch gut ging. Nachts um zwei stand er schon in der Backstube, meist zwölf bis 14 Stunden lang. „Ich hätte weitergemacht“, sagt der 70-Jährige, „ich bin noch topfit.“

Aber die Betriebskosten sind ihm sprichwörtlich über den Kopf gewachsen, nachdem der Umsatz kontinuierlich zurückgegangen ist – im letzten Jahr um fast 50 Prozent. Jetzt hat der leidenschaftliche Bäcker die Notbremse gezogen.

Bauarbeiter standen schon um 5.30 Uhr vor dem Geschäft

Vor allem für Frühaufsteher war die Bäckerei Haagen in Grafenrheinfeld Anlaufstation. Bereits um 5.30 Uhr konnte man sich dort seine Brötchen holen.
Foto: Irene Spiegel | Vor allem für Frühaufsteher war die Bäckerei Haagen in Grafenrheinfeld Anlaufstation. Bereits um 5.30 Uhr konnte man sich dort seine Brötchen holen.

Die Schließung seiner Bäckerei mit Stehcafé ist ihm nicht leicht gefallen. Lange hat er versucht, diesen Schritt aufzuhalten und Zug um Zug die Öffnungszeiten verkürzt. Zuerst blieb das Geschäft an einem Tag in der Woche geschlossen, dann an jedem Nachmittag. Dafür war der Laden schon um 5.30 Uhr geöffnet. Bauarbeiter standen dann bereits vor der Tür, um sich ihre Brotzeit zu holen. „Aber davon allein kann man halt nicht leben“, sagt Haagen.

Der Niedergang der kleinen Dorfbäckerei wurde mit der Ansiedlung der Großmärkte und Vollsortimenter in Grafenrheinfeld eingeläutet. „Die Kunden sind nach und nach weggeblieben“, erzählt Haagen. Dabei hatte er bis zu 20 verschiedene Brotsorten im Angebot und verkaufte „die besten belegten Brötchen“, sagt Thomas Riemen, der „ganz erschüttert“ vor der verschlossenen Ladentür steht. Der FIS-Mitarbeiter aus Hof holte sich jeden Tag in der Bäckerei Haagen seine „Debrecziner im Schlafrock“, ein im Croissantteig eingebackenes Würstchen. „Das wird mir sehr fehlen.“ Ebenso wie „die netten Gespräche“ mit Verkäuferin Ulrike Riedmann, die 30 Jahre lang mit zwei weiteren Kolleginnen hinter der Theke stand und die Schließung des Geschäfts „nicht einfach so wegstecken“ kann.

„Der letzte Tag war ganz schlimm“, erzählt sie mit Tränen in den Augen. Die Bäckerei war für sie „wie mein Zuhause“. Sie managte den Laden, teilte das Personal ein und hielt dem Chef den Rücken frei. Da florierte das Geschäft auch noch. Herbert Haagen eröffnete sogar eine Filiale in Unterspiesheim. Doch auch dort ließ sich die „Großkonkurrenz“ nieder, 2017 musste der Standort aufgegeben werden. „Leider ist in der heutigen Zeit der günstige Preis mehr gefragt als die Qualität“, bedauert der Bäckermeister.

Kundschaft durch Brückenbau verloren

Vor zehn Jahren hatte Haagen schon einmal eine Durststrecke überstehen müssen. Als die Brücke über den Main gebaut wurde und die Bäckerei vom Durchgangsverkehr abgeschnitten war, ging das Geschäft „krass“ zurück“. „Die Hälfte der Kundschaft war damals weg.“ Herbert Haagen konnte sich nur mit seiner Lebensversicherung über Wasser halten.

Der Grafenrheinfelder Bäckermeister Herbert Haagen kapituliert: Nach 42 Jahren schließt er seine Bäckerei, weil er mit den „günstigen Preisen der Großmärke und Großbäckereien“ nicht mehr mithalten kann.
Foto: Irene Spiegel | Der Grafenrheinfelder Bäckermeister Herbert Haagen kapituliert: Nach 42 Jahren schließt er seine Bäckerei, weil er mit den „günstigen Preisen der Großmärke und Großbäckereien“ nicht mehr mithalten kann.

Und dieses Geld fehlt dem 70-Jährigen heute, um seiner Bäckerleidenschaft weiter nachgehen zu können. Als 14-Jähriger hat er in einer Bäckerei in Volkach 1962 seine Lehre begonnen, mit 21 Jahren seinen Meister gemacht und danach in 13 verschiedenen Bäckereien in ganz Deutschland gearbeitet.

1976 kam er zurück und übernahm in Grafenrheinfeld die kleine Bäckerei in der Maingasse, die altersbedingt verkauft wurde. „Das war finanziell schon ein großer Schritt“, erinnert sich Haagen. Immerhin gab es bereits zwei Bäckereien vor Ort. „Doch wir hatten immer gut zu tun.“ Vier Gesellen arbeiteten damals in der Backstube, und zwölf Lehrlinge hat der Bäckermeister ausgebildet. Nebenbei betrieb Haagen auch noch die Musikkneipe nebenan. Nach dem Tod der Ehefrau 2002 ging er wieder in die Backstube zurück, in der er zuletzt ganz alleine werkelte.

Den Bäckerberuf würde Haagen jederzeit einem jungen Menschen empfehlen, nicht aber den Schritt in die Selbstständigkeit. „Mit den Preisen der Fertigbackindustrie kann man als Handwerksbetrieb nicht mithalten.“ Und wo kauft der Bäckermeister nun für sich Brot und Brötchen ein? Im Moment kann Herbert Haagen noch von eigenen Produkten zehren. „Ich habe mir einen großen Vorrat eingefroren.“

 
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