In Reih und Glied stehen sie nebeneinander, zwischen jedem von ihnen ist ein paar Meter Platz. Die Rede ist von den Abiturienten des Alexander-von-Humboldt-Gymnasiums (AvH) Schweinfurt. Doch die Schüler sitzen nicht auf Stühlen – sondern in 104 Autos – auf dem Volksfestplatz in Schweinfurt. Wegen den Corona-Hygienerichtlinien mussten viele Schulen im Freistaat für die Verleihung der Abschlusszeugnisse in diesem Jahr ihre Pläne über den Haufen werfen. Doch die Leitung des AvH hat sich von Corona nicht unterkriegen lassen und sich ein besonderes Konzept für einen würdigen Abschluss seiner Schüler überlegt – eine Verleihung wie im Autokino.
"Die Schüler haben ein schwieriges Abitur gehabt, weil es so viele Unsicherheiten gab", berichtet Klemens Alfen, Leiter des Gymnasiums. "Die Abiturienten haben sich aber ordentlich zusammengerissen und ein gutes Abitur geschrieben." 113 Schüler hätten das Abitur bestanden. "Das wollten wir nicht sang- und klanglos stehen lassen", fährt er fort. "Zu einem besonderen Abi braucht man auch eine besondere Veranstaltung." Deshalb seien die Inspiration für die Verleihung der Abiturzeugnisse die Autokonzerte und Autokinoveranstaltungen auf dem Volksfestplatz gewesen.
Um kurz vor 10 Uhr fahren die Abiturienten auf den Volksfestplatz. Sie bekommen eine Parkplatznummer und fahren in Schrittgeschwindigkeit an die ihnen zugewiesene Stelle. Einige Abiturienten haben die Autos passend zur Veranstaltung geschmückt. An einigen Pkw sind Luftballons befestigt, bei anderen prangt Blumenschmuck auf der Motorhaube.
Da am Abend eine Autoveranstaltung auf dem Platz stattfindet, nutzt das Schweinfurter Gymnasium die bereits vorhandene Technik für die Verleihung. Über eine große Leinwand, die links neben der Bühne steht, können auch Schüler und Eltern, die mit ihren Autos in den hinteren Reihen stehen, erkennen, was gerade passiert. Der Ton wird auf einer speziellen Sendefrequenz ans Autoradio übertragen. Damit die außergewöhnliche Verleihung wortwörtlich auch ordnungsgemäß über die Bühne am Volksfestplatz gehen kann, muss die Schulleitung strenge Vorschriften einhalten. Unterstützt wurde sie dabei vom Gesundheits- und Ordnungsamt der Stadt, informiert der Schulleiter. Bis auf die Übergabe der Zeugnisse müssen Schüler und Eltern an ihrem eigenen Auto bleiben, wer für einen Moment aussteigt, muss einen Mund-Nasen-Schutz tragen.
Abschlussschüler sind zufrieden
Zwar stehen die Schüler an diesem Tag nur für wenige Sekunden auf der Bühne, denn die meiste Zeit verbringen sie mit Eltern wartend im Auto. Trotzdem haben sie sich in Schale geworfen – die Abiturienten kommen im Anzug, die Abiturientinnen mit frisierten Haaren, hohen Schuhen und in Abschlussballkleidern. "Das ist schon ein komisches Gefühl", findet Abiturientin Charlotte Klein, die zusammen mit ihrer Familie in einem Cabrio sitzt. Noch vor einigen Wochen hieß es, dass es keine Verleihung geben kann, erinnert sie sich. Umso mehr freut sich die 18-Jährige, dass die Veranstaltung trotz Corona etwas ganz besonderes ist.
Auch die anderen Schüler wirken gut gelaunt. Einer der Hingucker der Veranstaltung ist das Gefährt von Lukas Kuhn. Der 17-Jährige holt sein Abiturzeugnis nicht per Auto an der Bühne ab, sondern mit einem alten grünen Bulldog der Marke Fendt. "Der ist ein Erbstück von meinem Großvater", berichtet er. Und Abiturientin Isabel Cimander ist überzeugt: "Das ist auf jeden Fall etwas, woran man sich erinnern wird."
Während der Veranstaltung knallen weder Sektkorken noch werden Hände geschüttelt. Die Reden sind kurz, aber passend zur Situation. So fragt sich Oberstufensprecher Lorenz Pfrenzinger in seiner Ansprache, wer jemals gedacht hätte, dass die Verleihung der Zeugnisse wie in einem Auto Drive in stattfindet. Und Oberstufenkoordinator Mario Hartmann vergleicht die letzten zwei Schuljahre der Abiturienten mit der Anfangs- und Reifezeit eines Fahranfängers. Auch der Rest seiner Rede ist thematisch auf die Auto-Verleihung abgestimmt. "Niemand hat sich verfahren, keiner hatte eine Panne", beglückwünscht er die Abschlussschüler.
Im Hintergrund läuft Musik, während die Abiturienten, freilich mit Mund-Nasen-Masken, der Reihe nach einzeln aus den Autos steigen, um auf der Bühne ihre Zeugnisse abzuholen. "Es ist ein bisschen wie eine Oskarverleihung", schmunzelt Schulleiter Alfen. Trotzdem hofft er, dass die Verleihung im kommenden Jahr wieder im Alexander-von-Humboldt-Gymnasium stattfinden kann.
