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SCHWEINFURT
Absturz der SPD, Blaues Auge der CSU und Öko-Sekt
Die Grünen feiern ihren Kandidaten Paul Knoblach.
Foto: Susanne Wiedemann | Die Grünen feiern ihren Kandidaten Paul Knoblach.
Nicolas Bettinger
,  Stefan Sauer
,  Josef Schäfer
,  Irene Spiegel
 und  Susanne Wiedemann
 |  aktualisiert: 02.04.2019 12:40 Uhr

Sonntag, kurz vor 18 Uhr: Die Maschinenhalle im Anwesen des CSU-Wahlkreiskandidaten Gerhard Eck in Pusselsheim füllt sich, die Blicke seiner Parteifreunde richten sich auf die Acht-Quadratmeter-Leinwand, auf die der Beamer die Wahlsendung des Bayerischen Rundfunks vergrößert. 35,5 Prozent zeigt der schwarze Balken für die CSU an – Entsetzen in den Gesichtern, zumindest aber Leidensmienen. Eck, die Bundestagsabgeordnete Anja Weisgerber und Bezirkstagskandidat Stefan Funk schauen sehr ernst und angespannt.

Es ist die allererste Prognose, die kann sich sicherlich noch ändern, wohl nicht aber in ihrer klaren Tendenz. Gut zwölf Prozent verliert demnach die CSU, die – mit einer Ausnahme – seit über 50 Jahren das Alleinregieren gewohnt ist. Nur einmal kommt bei dieser Erstprognose Jubel auf, als für die Linken 3,5 Prozent vorhergesagt werden, womit sie dem neuen Landtag sicher nicht angehören werden. Ein weiterer großer Applaus ertönt, als der CSU-Fraktionsvorsitzende Thomas Kreuzer im Interview mit den BR sagt, dass die CSU-Fraktion Söder wieder für das Amt des Ministerpräsidenten vorschlagen werde.

Standpunkt: Eine Zäsur auch für Kommunen

Über die herben Verluste der CSU tröstet das den Wahlkreiskandidaten und Innenstaatssekretär Eck nicht hinweg. Mit diesem Ergebnis könne man nicht zufrieden sein, sagt er, es gebe im Leben aber Höhen und Tiefen. Und: „Es gibt in fünf Jahren wieder Wahlen, da müssen wir sehen, dass wir das Ruder wieder herumreißen.“

Über einen möglichen Koalitionspartner zu sprechen, sei zu diesem Zeitpunkt zu früh, die Zahlen könnten sich noch ändern. Welche Partei oder Parteien er bevorzugen würde, will er auch noch nicht verraten. Und wer ist Schuld an dem Wahldebakel? „Ich will jetzt keine Namen nennen“, sagt Eck, allerdings seien bei dieser Bayerischen Landtagswahl zu 85 bis 90 Prozent Bundesthemen diskutiert worden. Das sei sehr schade, denn in Bayern seien „die Weichen richtig gestellt und die Uhren gehen richtig“, das sei aus unterschiedlichsten Gründen leider nicht zum Thema gemacht worden.

Wer sich unter den Wahlparty-Gästen auf dem Eck'schen Hof umhört, nachdem die Erstprognose einigermaßen verdaut ist, gewinnt den Eindruck: Viele haben mit einem Absturz der Partei, wie er sich abzeichnet und sich seit Wochen in den Umfragen stabil gehalten hat, im Grunde schon gerechnet.

Stille bei der SPD

Als kurz nach 18 Uhr die erste bayernwerte Hochrechnung auf dem Monitor im Sitzungssaal des Rathauses läuft, ist erst mal ein Moment Stille. Ralf Hofmann (SPD) wird blass. Stefan Labus (Freie Wähler) freut sich. Die Grünen um Direktkandidat Paul Knoblach und Stefan Fuchs jubeln. Als die elf Prozent für die AfD auftauchen, klatscht jemand. Zweite Bürgermeisterin Sorya Lippert (CSU) wirkt später sprachlos. Im ersten Moment ist nicht ganz klar, was mehr erschüttert: dass die SPD offenbar tot ist. Oder, dass es die AfD aus dem Stand auf elf Prozent gebracht hat.

Ulrike Schneider, Direktkandidatin der Freien Wähler, nimmt Gratulationen entgegen. Sie freut sich, dass die Wähler in den Freien offenbar eine echte bürgerliche Alternative gesehen haben. Und sie freut sich, dass die Freien Wähler mehr Stimmen haben als die AfD: „Das Ergebnis ist gut.“

Alle reden über AfD

Paul Knoblach, Grünen-Direktkandidat, ist mehr als zufrieden mit dem Ergebnis der Grünen. Das Ergebnis der Bundestagswahl fast verdoppelt, das sei ein Erfolg. „Ich freue mich riesig.“ Voller Wehmut erfüllt ihn allerdings das Abschneiden der AfD. Er sieht bei dieser Partei zumindest rechtspopulistische Tendenzen, eine Partei, die einen anderen Staat will. Das macht ihm Sorgen.

Umso wichtiger ist es jetzt für Paul Knoblach, weiter gegen Hass und Hetze und für Solidarität zu sein. Später, bei der Wahlparty, wird er mit „Hoch soll er leben“ empfangen. Ganz besonders hat er sich über sein 30-Prozent-Ergebnis in Wipfeld gefreut. „Das ist meine zweite Heimat.“

OB Sebastian Remelé (CSU) sieht es als positiv, dass Gerhard Eck in fast allen Bezirken die meisten Stimmen hat. Auf Platz zwei ist allerdings oft Graupner. Wie bei der Bundestagswahl liege das AfD-Ergebnis in Schweinfurt wohl über dem Landesdurchschnitt. Dass mit der SPD eine Volkspartei verschwindet, macht auch ihm Sorge.

Graupner wollte mehr

„Ein sehr respektables Ergebnis“, kommentiert ein sichtlich zufriedener und strahlender Richard Graupner (AfD) die ersten Hochrechnungen. Er ist der gefragteste Interviewpartner bei der Präsentation der Wahlergebnisse im Landratsamt, entsprechend selbstbewusst spricht er in die Mikrofone und Kameras. Er sei nicht wirklich überrascht von dem zweistelligen Ergebnis, denn „wir haben einen tollen Wahlkampf hingelegt“. Er hatte sich sogar ein noch besseres Abschneiden erhofft, wäre da nicht die „starke Konkurrenz durch die Freien Wähler“ gewesen, die sich nach Meinung Graupners als „AfD light“ verkauft hätten. „Das hat sich bei manchen Wählern festgesetzt.“

Was seine persönlichen Chancen anbetrifft, in den Landtag einzuziehen, ist Graupner am Sonntag noch zurückhaltend. „Das wird erst das endgültige Ergebnis zeigen.“ Klare Vorstellungen über die Aufgaben eines AfD-Abgeordneten hat er aber schon. „Wir werden die CSU auffordern, Farbe zu bekennen, und wir werden den Finger in die Wunde legen“, verkündet der 55-jährige Polizeihauptkommissar forsch.

Bei aller Freude über das Abschneiden seiner Partei, „dass die Grünen so viele Stimmen bekommen haben, das bedauere ich“, sagt Graupner, weil sie der klare Gegenpol zur AfD seien. Als Koalitionspartner der CSU räumt er ihnen trotzdem keine Chancen ein, rechnet eher mit einem Bündnis CSU/Freie Wähler. Für die AfD sei eine Koalition mit den Christsozialen keine Option, stellt Graupner gleich klar. „Wir werden fünf Jahre eine richtige Opposition sein.“

Aufmunternder Applaus

Zurück zur SPD: Bei ihr waren am Sonntagabend durchweg ungläubige und entsetzte Gesichter zu sehen. „Das ist extrem enttäuschend und absolut frustrierend“, sagte Direktkandidatin Kathi Petersen im Landratsamt. Ihre Partei hätte eigentlich gehofft, nach den Umfrageergebnissen noch etwas zuzulegen. Mit dem desaströsen Ergebnis von unter zehn Prozent wird Petersen aller Voraussicht nach ihr Mandat im Landtag verlieren. „Mal sehen, ich warte die Ergebnisse noch ab, aber ich werde dann wohl nicht mehr dabei sein“, äußerte sie sich sichtlich betroffen.

„SPD badet Unionsstreit aus“

„Einen großen Anteil an dem Ergebnis hat die Bundespolitik“, sagte Petersen. Sie habe vieles überlagert und man habe es nicht geschafft, klar zu zeigen, dass es nun um Landespolitik gehe. Die Streitigkeiten zwischen Union und SPD in Berlin hätten nun auch in Bayern viel angerichtet. Wenig später kam Petersen zur SPD-Wahlparty, die an diesem Abend selbsterklärend keine Party war. Dort wurde sie dennoch mit einem aufmunternden Applaus von ihren Parteikollegen empfangen. „Bestell dir erstmal ein Bier“, sagte ein Gast im Restaurant Türmle. „An dir lag es nicht“, rief ihr Kerstin Westphal zu. Die Abgeordnete im Europaparlament wollte dennoch nichts beschönigen und zeigte sich ebenfalls ergriffen.

„Das ist Mist“, sagte Westphal, stellte aber gleichzeitig fest, dass das Wahlprogramm und die Personen grundsätzlich richtig gewesen seien. Die Kommunikation und die Außendarstellung der Partei müsse sich nun aber grundlegend ändern. Das bestätigte auch Ralf Hofmann, Vorsitzender der SPD-Stadtratsfraktion. „Wir haben eine Sprache gesprochen, die die Menschen nicht verstehen“, so Hofmann. Dies habe die Partei in die jetzige Situation manövriert. Man müsse jetzt reagieren, „sonst gehts uns bald so wie in Frankreich“.

Aufgabe für Kommunalpolitiker

Landrat Florian Töpper versuchte erst gar nicht die Wahlergebnisse seiner Partei zu beschönigen. „So einen Denkzettel habe ich in 20 Jahren Politik noch nie erlebt“, sagte er. Es werfe viele Fragen auf, die nicht leicht zu beantworten seien. Die SPD dürfe sich aber nun nicht als Opfer sehen und sich auf kommunaler Ebene bewusst gegen die Extremen stellen.

„Wir sind die, die jeden Tag beim Bürger sind“, das müsse man erst recht nach dieser Wahl deutlich machen. Töpper formulierte dies als Aufgabe für alle „so genannten etablierten Parteien“.

Kathi Petersen bei der Wahlparty der SPD: Die Stimmung war relativ verhalten.
Foto: Nicolas Bettinger | Kathi Petersen bei der Wahlparty der SPD: Die Stimmung war relativ verhalten.
Gefragter Interview-Partner: Richard Graupner von der AfD am Wahlsonntag
Foto: Nicolas Bettinger | Gefragter Interview-Partner: Richard Graupner von der AfD am Wahlsonntag
 
 
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