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Bad Neustadt
Zwei Rhöner gehörten zu den ersten, die per Interrail durch Europa reisten: In Madrid ging plötzlich das Geld aus
Vor 50 Jahren startete das Interrail-Ticket. Josef Krause und Frank Dickas aus Bischofsheim waren 1972 die ersten aus dem Landkreis, die damit durch Europa reisten.
Die Fahrtziele mussten von Hand in das Interrail-Ticket eingetragen werden und wurden vom Schaffner abgestempelt.
Foto: Stefan Kritzer | Die Fahrtziele mussten von Hand in das Interrail-Ticket eingetragen werden und wurden vom Schaffner abgestempelt.
Stefan Kritzer
 |  aktualisiert: 15.07.2024 10:06 Uhr

In diesem Jahr feiert das Interrail-Ticket seinen 50. Geburtstag. Im März 1972 wurde die Idee geboren, die jungen Leuten eine vierwöchige Bahnreise durch ganz Europa für überschaubare 235 Mark ermöglichte. Im August 1972 machten sich Josef Krause und Frank Dickas mit ihrem seinerzeit völlig neuen Interrail-Ticket auf den Weg. Damit waren sie die ersten im Landkreis, die Interrail für eine Reise nach Frankreich, Spanien und Italien nutzten. Der vierwöchige Trip sollte eine Erfahrung fürs Leben für die beiden werden.

Nach der Schulzeit auf Reisen gehen, von Bahnhof zu Bahnhof tingeln, andere Menschen, andere Kulturen, andere Sprachen kennenlernen. Das ist bis heute die erfolgreiche Idee des Interrail-Tickets, das in diesem Jahr sein 50-jähriges Bestehen feiert. Spätestens seit der 68er-Generation rückte das "Hippie-Ticket" in den Fokus der jungen Leute, die nicht mehr an den biederen Urlauben ihrer Eltern teilnehmen wollten.

Zwei junge Männer aus der Rhön mit wenig Geld, aber viel Abenteuerlust

Portraitfotos aus den 1970er Jahren. Frank Dickas (links) und Josef Krause im Jahre 1972 mit langen Haaren und Stirnband.
Foto: Stefan Kritzer | Portraitfotos aus den 1970er Jahren. Frank Dickas (links) und Josef Krause im Jahre 1972 mit langen Haaren und Stirnband.

Seitdem sind Generationen von jungen Leuten mit Rucksäcken aufgebrochen, um Europa per Bahn zu erkunden. Auch Josef Krause, Jahrgang 1955, und Frank Dickas, Jahrgang 1954, waren seinerzeit in ihrer Sturm- und Drang-Phase durchaus bereit, dieses revolutionäre Bahnticket in ganz Europa zu nutzen.

Schon ein Jahr zuvor hatten sich die beiden Bischofsheimer - Dickas wohnt bis heute in seiner Heimatstadt, Krause in Bad Neustadt – bei einer Radtour durch Unterfranken eine erheblich größere Reise vorgenommen. Es war Josef Krauses Vater, der in der Zeitung auf das damals neue Interrail-Ticket aufmerksam wurde. Krause und Dickas waren sofort Feuer und Flamme für diese neue Form des Reisens.

Verkäufer am Bahnhof Bischofsheim kannte das Ticket nicht

Als sie am Bahnhof in Bischofsheim – den gab es damals noch - das Ticket bestellten, mussten sie dem Stationsvorsteher erst mal erklären, was sie da haben wollten. Der kannte das noch gar nicht. Ein paar Tage später waren die Rucksäcke gepackt, die Stirnbänder zum Bändigen der langen Haare über den Kopf gezogen und der Reisepass in die Tasche gesteckt. Mit wenig Geld aber viel Abenteuerlust gingen Josef Krause und Frank Dickas auf große Fahrt.

'Weißt du noch?' Frank Dickas (links) und Josef Krause beim Blättern im Fotoalbum ihres Interrail-Trips vor 50 Jahren.
Foto: Stefan Kritzer | "Weißt du noch?" Frank Dickas (links) und Josef Krause beim Blättern im Fotoalbum ihres Interrail-Trips vor 50 Jahren.

"Für uns junge Kerle war das ein totales Erlebnis", sagt Josef Krause heute, 50 Jahre nach der großen Reise durch Europa. Gemeinsam mit Frank Dickas blicken die beiden auf dessen Terrasse in das Fotoalbum der ein halbes Jahrhundert zurückliegenden Reise. Das Interrail-Ticket, das kleine, schwarze Tagebuch und vieles mehr hat Josef Krause über die Zeit gerettet. So fällt es leicht, sich an viele Begebenheiten dieser für beide einzigartigen Reise zu erinnern.

In Madrid ging das Geld aus

Am 3. August 1972 ging es in Bad Neustadt am Bahnhof los. Erstes Ziel der Reise: Paris. Nach Eiffelturm, Notre Dame und Triumphbogen fuhren die beiden via Amiens, Lille, Tours und Bordeaux nach Biarritz, an dessen Strand der erste heftige Sonnenbrand auf Dickas und Krause wartete. Als dieser auskuriert war, sollte das nächste Ziel in Spanien liegen. In Madrid wartete allerdings eine böse Überraschung auf die beiden jungen Männer. In Spanien zu Zeiten des Diktators Franco funktionierte das Abheben von Bargeld vom Postsparbuch nicht.

Mit anderen Worten, Dickas und Krause hatten noch zehn Mark im Geldbeutel und keine Möglichkeit, irgendwie an weiteres Bargeld zu kommen. Sogar bei der Botschaft sind die beiden vorstellig geworden, haben den Botschafter im Unterhemd an die Tür geklingelt. Aber auch seine Exzellenz konnte oder wollte nicht helfen.

Terrorismusverdacht gegen Josef Krause

So blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich wieder in den Zug zu setzen und lange Stunden zurück durch ganz Frankreich gen Deutschland zu fahren. Dort ging das dann mit dem Bargeld ganz schnell und kurz hinter der Grenze wunderte sich ein Gastronom über den enormen Appetit der beiden ausgehungerten Reisenden.

Von Spanien hatten Josef Krause und Frank Dickas erst mal genug, via Nizza und Monaco stand Italien auf dem Programm, genauer: Die ewige Stadt Rom, die sie einige Tage auf sich wirken ließen. Dass man beim Reisen mit Interrail auch mal böse Erfahrungen macht, haben die beiden bei ihrer zweiten Einreise nach Spanien erlebt. In Ventimiglia hatte sich Josef Krause auf einem Markt einen Degen und eine Deco-Pistole gekauft.

Per Interrail nach Rom. Josef Krause (links) auf der Spanischen Treppe in der Ewigen Stadt.
Foto: Frank Dickas | Per Interrail nach Rom. Josef Krause (links) auf der Spanischen Treppe in der Ewigen Stadt.

Das gefiel der Guardia Civil an der spanischen Grenze aber ganz und gar nicht, wo Krause ziemlich kleinlaut zugeben musste, dass dies keine gute Idee war. Schließlich ließ man sie nach einem ersten Terrorismusverdacht trotzdem passieren und mit Barcelona stand ein weiterer Reisehöhepunkt, der letzte im August 1972, auf dem Programm.

Vier Wochen lang kein Bett und kein Bad gesehen

Die Rückreise durch Spanien und Frankreich endete schließlich in Bad Neustadt. Als sie dort ankamen war der letzte Zug nach Bischofsheim schon weg. Siemens-Mitarbeiter nahmen Josef Krause und Frank Dickas in ihrem VW-Bus mit in die Heimatstadt am Fuße des Kreuzbergs. Das war zum Ende der Reise beiden ziemlich egal, schließlich hatten sie ohnehin vier Wochen lang kein Bett und kein Bad gesehen.

"Aber wir sind mit voller Begeisterung in die Biskaya gesprungen, in die Thyrrenische, in die Ligurische und in die Balearische See", sagt Krause, der nach seiner Rückkehr nach Bischofsheim erst mal seinen ziemlich erkrankten Freund Frank dessen Mutter übergab und endlich ebenfalls zu seinen Eltern zurückkehrte. "Nach 12 Stunden Schlaf, zwei Stunden Frühstück und drei Stunden in der Badewanne war ich wieder Zuhause."

Der Trip mit Interrail wurde nicht wiederholt

Wiederholt hätten die beiden ihren Interrail-Trip nur zu gerne. Haben sie aber nicht. Krause lernte bald nach der Reise seine spätere Frau kennen und hatte andere Pläne. Dickas löste noch mal ein Interrail-Ticket und fuhr mit seinem Cousin durch Skandinavien. Das Frankreich-Spanien-Monaco-Italien-Spanien-Interrail-Abenteuer aus dem Jahre 1972 war aber nicht zu toppen.

Die Erinnerungen daran blieben und hatten Auswirkungen auf sämtliche nachfolgenden Reisen was Reiseziele in Europa, was das zurückhaltende und höflich-respektvolle Begegnen mit Einheimischen anberaumt. Josef Krause und Frank Dickas haben im August vor 50 Jahren viel fürs Leben gelernt. Damals, als das Interrail-Ticket seine Erfolgsgeschichte startete.

 
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  • H. H.
    Sehr schön! Da kommen auch bei mir Erinnerungen hoch.
    Vier Wochen als einziger Bub unter fünf Mädels war eine extrem erkenntnisreiche Zeit...
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