Der Wald leidet, und das nicht nur aus einem Grund: Ursachen sind der Klimawandel mit erhöhten Temperaturen und geringeren Niederschlägen, Stürme, Borkenkäfer und andere Schädlinge. Längst haben Waldbesitzer darauf reagiert und wenden sich Baumarten zu, die mit den neuen Bedingungen besser zurechtkommen. Aber die Triebe dieser jungen Bäume stehen auf der Speisekarte des Rehwilds ganz oben, und das hat sich nach Ansicht von Forstdirektor Hubert Türich stark vermehrt, wie er dem neuen Verbiss-Gutachten entnimmt, das kürzlich für alle bayerischen Landkreise veröffentlicht wurde.
Aus der aufwendigen Bestandsaufnahme der Verbisssituation in bayerischen Wäldern geht hervor, dass die Schädigung der Jungpflanzen bei 90 Prozent der Hegegemeinschaften zu hoch ist und entsprechend eine Erhöhung des Abschusses empfohlen wird, erklärt Türich. Sehr genau lässt sich das in einer Veröffentlichung des Bayerischen Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ablesen, die auch im Internet eingesehen werden kann.
So kommt man auf die Abschusszahlen
Alle drei Jahre – wenn die Ergebnisse bekannt werden – entbrennt zwischen der Forstpartie und der Jägerschaft die Auseinandersetzung um die Deutungshoheit und die Aussagekraft des sogenannten "Forstlichen Gutachtens". Das Prozedere sieht vor, dass die Zahlen der unteren Jagdbehörde sowie den Jagdgenossenschaften und Hegegemeinschaften zur Verfügung gestellt werden. Türich gibt daraufhin eine Empfehlung im Sinne "Abschuss heruntersetzen", "beibehalten" oder "steigern" ab. Die untere Jagdbehörde holt Stellungnahmen der Jägerschaft ein und legt letztendlich die genauen Abschusspläne fest.
Bei dieser Vorgehensweise kollidieren regelmäßig die verschiedenen Interessen in Bezug auf den Rehwildbestand. Türich erinnert an die zahlreichen Erscheinungen, die für eine starke Ausdünnung in den Wäldern gesorgt haben. Die Waldbesitzer sind nun zu großflächigen Aufforstungen angehalten. Dabei müssen nicht nur die bereits geschädigten und vernichteten Bäume ersetzt, sondern auch der Waldumbau mit klimaverträglichen Arten vorangetrieben werden.
Ohne Zäune haben Bäume keine Chance
Nun laufe der Vorgehensweise jedoch ein hoher Wildbestand zuwider. "Neuanpflanzungen sind ohne Zaun praktisch nicht mehr hochzukriegen", beteuert Türich. Zäune seien teuer und müssen ständig unter Beobachtung stehen. Durch die jüngsten Stürme seien die Zäune auch noch stark in Mitleidenschaft gezogen worden. "Wenn ein Reh nun durch ein Loch in einer Aufforstungsfläche gelangt, ist dass so, als ob eine Maus in der Speisekammer eingeschlossen wird."
Dabei schreibt eigentlich das Bayerische Jagdgesetz vor, dass eine natürliche Verjüngung "im Wesentlichen ohne Schutzvorrichtungen" hochgebracht werden soll. Dazu sei der Bestand in den Wäldern jedoch viel zu hoche. Die Tiere finden durch den Klimawandel immer bessere Lebensbedingungen vor. Die milden Winter erleichtern zudem das Überleben. Eine Reduzierung kann nur durch höhere Abschusszahlen erreicht werden.
Es besteht dringender Handlungsbedarf
Die Abschusspläne werden Jahr für Jahr stets erfüllt, aber das deute schon an, dass "noch Luft nach oben ist". Und die Verbisssituation habe sich so stark verschlechtert, dass dringend gehandelt werden müsse. In einigen Bereichen wie dem Saalegrund und dem Grabfeld sei die Situation besonders kritisch. Ihm sei klar, dass die Bejagung immer schwerer geworden ist, weil sich das Wild wegen die vielen Störungen stärken in den Wald zurückzieht.
Die Schlussfolgerungen Türichs kann Wolfgang Harich von der Unteren Jagdbehörde nicht ganz nachvollziehen. "Höherer Verbiss muss nicht unbedingt auf einen höheren Bestand zurückzuführen sein". Es könnten auch andere Faktoren eine Rolle spielen, dass sich das Wild zum Äsen stärker in die Wälder zurückzieht. Auf kritische Reviere soll aber der Augenmerk gerichtet werden.
Im übrigen seien die Abschusszahlen aber noch nicht festgelegt. Pächter und Verpächter der 225 Reviere des Landkreies hätten die Empfehlungen erhalten, die Antworten stünden jedoch noch aus. Im Mai sollen dann die Vorgaben herausgehen.