Das Schreibprogramm spuckt plötzlich nur noch Großbuchstaben aus. Der Drucker streikt. Und auf einmal erscheint auch noch so ein komisches Fenster auf dem Computer-Bildschirm, das sich nicht mehr wegklicken lässt! Wer in einer Familie lebt, in der eine oder mehrere Personen nicht oder nur selten in der digitalen Welt unterwegs sind, ahnt, was folgt. "Peter, Lisa, Lukas" – oder wie auch immer die vermeintliche Technik-Rettung heißt – "kannst du mir bitte mal am Computer helfen?". Wenn sich solche Szenen im Hause Hermann in Fladungen abspielen, können die Verzweifelten ihrem Hilferuf den Namen "Anna-Lena" hinzufügen und beruhigt sein.
Denn die 24-Jährige kennt sich aus mit PCs, was sie auch ihrem Job im Bank-Service-Center der VR-Service-Direkt eG in Rödelmaier zu verdanken hat."Ich rede und telefoniere gerne, meine Arbeit macht mir Spaß und ist vielfältig. Ich muss zum Beispiel Überweisungen für die Bankkunden tätigen, Daueraufträge anlegen, Rückrufe für die Berater veranlassen oder den Kunden ihren Kontostand sagen", erzählt Anna-Lena Hermann.
Dass sie, die im Rollstuhl sitzt und langsamer lernt als andere, heute eine Arbeitsstelle im ersten und damit regulären Arbeitsmarkt hat, verdankt sie ihrem Fleiß, ihrer Hartnäckigkeit und positiven Einstellung, der Arbeitsagentur und der Bereitschaft ihres Arbeitgebers, "es einfach mal zu probieren".
Nach ihrem Schulabschluss absolvierte sie im Berufsbildungswerk Rummelsberg eine Ausbildung zur Fachpraktikerin für Bürokommunikation. Eine kaufmännische Lehre, da sollte es doch kein Problem sein, einen Arbeitsplatz zu finden, würde man meinen. Und doch hat Anna-Lena Hermann in Sachen Berufswahl einen langen Leidensweg hinter sich.
Mehr als 100 Mal bewarb sie sich. Wenn überhaupt eine Antwort kam, dann wurde die 24-Jährige meist mit Standardfloskeln abgespeist. Bis ein Bankberater ihr den Tipp gab, sich doch mal bei der VR-Service-Direkt eG zu bewerben.
"Gefallen hat uns, dass Frau Hermann hartnäckig war. Sie hat sich immer wieder erkundigt, wie es denn nun aussieht mit ihrer Stelle. Mit Unterstützung der Bundesagentur für Arbeit haben wir dann gesagt: 'Wir probieren es einfach'. Seit dem 15. Juni arbeitet sie bei uns. Man muss auch mal machen und sollte nicht immer nur reden", denkt Geschäftsführer Frank Henning zurück.
Hermann wurde ein eigener Parkplatz direkt neben der Eingangstür zugewiesen. Mithilfe ihrer Kollegen und Krücken überwindet sie die Stufen zu ihrem Arbeitsplatz. Der liegt momentan noch im Erdgeschoss und wird später im ersten Stock sein.
Trainerin Marina Dohles steht der 24-Jährigen während der gesamten Arbeitszeit zur Seite und arbeitet sie in die komplexe Materie ein. Später wird Anna-Lena Hermann einen Paten oder eine Patin für Fragen haben. "Anna-Lena ist zuverlässig, freundlich und höflich. Sie macht weiter und bleibt motiviert, auch wenn mal etwas nicht klappt. Der Rest ist einfach Geduld. Ich wusste, dass sie es schaffen wird", lobt Marina Dohles. Nicht alles läuft reibungslos, aber: "Wir reden offen und ehrlich miteinander, dann funktioniert das."
Das Ausprobieren hat sich gelohnt, findet Chef Frank Henning. Deshalb wird bald umgebaut, um Anna-Lena Hermann die Wege zu ihrem Arbeitsplatz zu erleichtern. Ein Treppenlift kommt, eine Tür wird mit einem elektrischen Türöffner aufgerüstet und umgebaut. Außerdem ein Weg zur seitlichen Eingangstür gepflastert. "Die Gesamtkosten liegen bei 50 000 Euro. Die Arbeitsagentur trägt 80 Prozent und zahlte auch einen 50-prozentigen Eingliederungszuschuss für das erste halbe Jahr", berichtet Geschäftsführer Henning.
Tobias Pfister ist Teamleiter Rehabilitation und Teilhabe bei der Agentur für Arbeit Schweinfurt. Seine Abteilung unterstützt und begleitet Anna-Lena Hermann seit mehreren Jahren. Anlässlich des Pressetermins im Rahmen der Woche der Menschen mit Behinderung kam Pfister nach Rödelmaier. "Wir freuen uns, dass alles für Frau Hermann positiv verlaufen ist. Es ist wichtig für ihr Selbstwertgefühl, dass Menschen mit Handicap Teil der Gesellschaft sind und am ersten Arbeitsmarkt teilnehmen können", sagt er. Auch Anna-Lena Hermann würde sich wünschen, dass Menschen mit Handicap im öffentlichen Leben präsenter werden.
"Am Anfang war es schwierig, weil ich viel Neues lernen musste. Aber jetzt klappt es gut", sagt die 24-Jährige. Was macht man, wenn ein Kunde unfreundlich ist? "Vor allem ruhig bleiben", hat sie gelernt. Ihre offene, fröhliche und positive Art wird sicher manchen aufgebrachten Anrufer besänftigen. Die richtige Einstellung hilft ja oft im Leben. Egal, ob es um Bankgeschäfte geht, die Jobsuche oder ein verstelltes Schreibprogramm.
Denn auch hier saß sehr lange Zeit eine Frau mit Handicap als Chefin in der Telefon-Zentrale! Und die hat Ihren Job absolut Top gemacht!