"Wenn ich die derzeitige politische Entwicklung in Deutschland, die Demonstrationen auch hier bei uns in der Stadt, ausgenommen die unserer Landwirte sehe, wird mir angst und bange." Das sagte Bürgermeister Thomas Helbling bei der Vorstellung des neuen Audiowalks bei einem Empfang in der evangelischen Kirche Bad Königshofen.
Mit dieser Meinung stand er nicht alleine, denn auch weitere Redner prangerten den steigenden Fremdenhass an. Kurz drehte Pfarrer Lutz Mertten das Rad der Zeit mit einem Text des jüdischen Liedermachers Mordechai Gebirtig zurück. Dieser beschrieb die Situation seines Volkes in der Zeit des Nationalsozialismus: "Gehabt hab ich ein Heim, ein Stübchen voll mit Liedern und Gesang. Gekommen sind sie mit Feindschaft, Hass und Tod." Ein Text, der gerade heute in der Zeit des steigenden Antisemitismus unter die Haut ging.
"Denkort Deportation" gab den Anstoß für das Projekt
Der Pfarrer erinnerte an das Jahr 2021, als sich die Stadt Bad Königshofen mit einem Kofferdenkmal an dem unterfränkischen Projekt "Denkort Deportation" beteiligte. Damals seien die Stadträtinnen Sabine Rhein und Petra Friedl auf die Idee gekommen, über den Koffer hinaus etwas Bleibendes für die Erinnerungskultur zu schaffen.
So entstand im Team mit Sabine Rhein, Pfarrer Lutz Mertten, Gymnasiallehrer Rainer Seelmann und Katrin Seiler, ein besonderer Audiowalk über das jüdische Leben in Königshofen. Pfarrer Lutz Mertten: "Heymshtat soll der neue Audiowalk heißen, das jiddische Wort für Heimatstadt, und dieser führt zu verschiedenen Orten in Bad Königshofen, die einmal in der jüdischen Gemeinde eine Bedeutung hatten."
Jüdisches Leben in Bad Königshofen
Erzählt wird die Geschichten von Menschen aus der jüdischen Gemeinschaft, die die Stadt maßgeblich geprägt haben. Lutz Mertten: "Der Audiowalk 'Heymshtat' ist mehr als nur ein Spaziergang durch die Stadt. Er ist ein lebendiges Denkmal, das die Erinnerung an das jüdische Leben in Bad Königshofen bewahrt." Um auf den Audiowalk zu kommen, gibt es Flyer mit einem QR-Code, über den man dann eine Reise in die Vergangenheit der jüdischen Mitbürger in Bad Königshofen unternehmen kann.
Der Gedenkgottesdienst in der evangelischen Kirche wurde musikalisch von der Musikgruppe Spilerey mit jüdischen Liedern eindrucksvoll gestaltet. "Was wäre, wenn alle Spuren verwischt und alle Namen ausgelöscht würden, niemand mehr wüsste, wo die Kohns, die Einstädters und Hofmanns einmal zu Hause und wir vergessen wollten, dass hier ihre Heymshtat war?", hieß es dann im Gottesdienst.
Natürlich gab es kurze Ausschnitte zum Beispiel vom Hafenmarkt, wo einst die jüdische Schule war. Es ging um die Familie des Viehhändlers Julius Hofmann und Zeilberger und die Synagoge, die einst in der Bambergerstraße stand.
Die Namen der jüdischen Bürger
Schließlich erinnerte man in Stille an die einstigen jüdischen Mitbürger, während deren Namen verlesen wurden. Gemeinsam erteilten der evangelische Pfarrer Lutz Mertten und sein katholischer Amtsbruder Pfarrer Pater Joe den Segen.
Im Gemeindehaus sprach Bürgermeister Thomas Helbling von einer sehr berührenden Gedenkstunde und erinnerte daran, dass bereits 1641 in den Stadtarchiven von 20 jüdischen Einwohnern die Rede ist, 1925 waren es 108. Sie alle seien in das gesellschaftliche Leben integriert gewesen.
So war der Getreidehändler Max Malzer über viele Jahre im Stadtrat gewesen, ebenso Karl Einstädter, und zwar von 1925 bis 1929. Er engagierte sich auch danach weiter für die Israelitische Kultusgemeinde und schaffte es sogar, das benötigte Geld für die Renovierung der Synagoge aufzutreiben. Dank sagte das Stadtoberhaupt dem Team, aber auch den Jugendlichen unter Leitung von Alexandra Laske, die die beiden Koffer gestaltet hatten.
Stellvertretender Landrat Josef Demar sagte, dass es gerade heute wichtig sei "Flagge zu zeigen und die Finger in die Wunde zu legen." Er spielte dabei auf die Demonstrationen gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit an. Vor Jahren habe niemand damit gerechnet, dass es in Deutschland wieder einmal zu solchen Ausschreitungen kommt. Gerade deshalb sei es wichtig, durch den Audiowalk auf die Geschichte der jüdischen Mitbürger einzugehen, "damit menschliches Leid nicht in Vergessenheit gerät."
Erinnerungsstücke vom Bezirksheimatpfleger
Beeindruckt von der Idee eines Audiowalks zeigte sich Michael Stolz, Mitinitiator des Denkorts Deportationen am Hauptbahnhof in Würzburg. Er erinnerte an die dort stehenden künstlerisch gestalteten Koffer, bei denen es Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, wichtig war, einen weiteren Koffer in der jeweiligen Ortschaft zu haben.
Eine Überraschung hatte Bezirksheimatpfleger Klaus Reder parat, der drei Kleiderbügel aus seiner Familie mitbrachte, auf denen die Namen der in Königshofen ansässigen jüdischen Geschäfte eingebrannt waren. Der Kulturdirektor sagte weiter, dass es wichtig sei, Zeitzeugen zu befragen, die aber immer weniger werden. Seine Forderung: Junge Menschen sollten sich mit dem Thema auseinandersetzen.