Das wird ein Theaterabend, an dem sich jemand neu verliebt. Und einer, der Saiten in Menschen zum Klingen bringt und verdrängte Melodien und Worte zutage fördert, die nötig sind in einer Zeit, in der bei vielen Herz und Verstand einzufrieren scheinen: Meininger Uraufführung eines Theater-Konzertabends über Tamara Danz von Ronny Jakubaschk (auch Regie), Michael Hinze (auch Arrangement) und Katja Stoppa.
Tamara Danz war die Rocklady Nummer eins in der DDR
Tamara Danz war die Rocklady Nummer eins in der DDR und achtzehn Jahre lang – wie sie sich selbst titulierte – das "Frontschwein von Silly", von einer der bedeutendsten Rockbands des Landes. Geboren im thüringischen Breitungen, Diplomatentochter, aufgewachsen in Bulgarien und Rumänien, starb sie 1996 mit 43 Jahren an Brustkrebs.
In den 1980er Jahren war sie die Stimme, die ihre Fans vom Hocker riss – wild, unangepasst, aber auch zart, verletzlich und in den von ihr, von Werner Karma und in den späten Jahren auch von Gerhard Gundermann verfassten Texten ungemein tiefsinnig und poetisch.
Der Staatsapparat rotierte
Der Staatsapparat rotierte, konnte aber nur grummelnd zusehen, weil Danz und Silly das Publikum beizeiten auf ihre Seite zu ziehen wussten. Nach 1989 wehte den Künstlern der Westwind mit knallhartem Kommerz und eiskalter Konkurrenz entgegen. Es dauerte geraume Zeit, bis die Band eine kreative Nische fand, in der noch zwei legendäre Alben mit Tamara Danz entstanden, "Hurensöhne" (1993) und "Paradies" (1996).
Deshalb ist es nicht verwunderlich, wenn das Publikum in den Kammerspielen selig-sentimental der Geschichte aus einer offensichtlich noch nicht ganz verlorenen Zeit folgt. Bühnenbilder Christian Rinke (auch Kostüme) hat das Milieu eingerichet, links Künstlergarderobe, in der Mitte die Bühne und rechts die Wohnküche in Tamaras Refugium im Brandenburgischen.
Die Sängerin wird gleich von drei Darstellerinnen verkörpert, von Miriam Haltmeier, Ulrike Knobloch und Emma Suthe. Die lassen in zwischen den Songs eingestreuten Spielszenen (größtenteils aus Originaläußerungen der Sängerin) die unterschiedlichen Facetten ihres Charakters erfrischend lebendig werden.
Sentimentale Erinnerungen
Die Band mit Florian Winkel (Bandleader, Percussion), Johannes Knorr (Bratsche), Johannes Köhler (Keyboards), Josef Mücksch/Karl Epp (Gitarre), wirkt meist im Hintergrund, aber im empathischen Einklang mit den betörend differenzierten Stimmen im Vordergrund. So werden die 20 Songs (und vier Zugaben) - rhythmisch mitreißend - auf eine Weise wiedererweckt, die beides zulässt: Sentimentale Erinnerung und die Erkenntnis, dass die Texte von unglaublich gegenwärtiger Poesie sind und sich geradezu aufdrängen, Dummheit, Hass, Ressentiments und grassierender Gleichgültigkeit freundlich aber entschieden entgegenzutreten.
Gelernte DDR-Bürger wissen wortlos Bescheid
Erstaunlich, wie sich die Konnotationen, die einst nur DDR-Bürger verstanden, auch für Menschen erschließen, die Tamara Danz und das DDR-Milieu nicht oder nur wenig kannten. "Mont Klamott" (1983), "So ne kleine Frau" (1984), "Verlorene Kinder" (1989), oder der Song "Asyl im Paradies" (1996), in den man so vieles hineininterpretieren kann zur Verfassung der Sängerin und zum Zustand der Welt: "Meine Uhr ist eingeschlafen. / Ich hänge lose in der Zeit. / Ein Sturm hat mich hinausgetrieben / auf das Meer der Ewigkeit."
Gelernte DDR-Bürger wissen wortlos Bescheid. Gelernte BRD-Bürger hingegen staunen über die ungeschminkte und eigenwillige Kreativität von DDR-Künstlern, die nicht so in der alten BRD gewürdigt wurden, wie sie es verdient hätten.
Noch aber ist es nicht zu spät für neue Einsichten. Man kann sich auch lange nach dem Tod einer Künstlerin in sie und ihr Werk verlieben und Kraft daraus ziehen. Was hiermit geschieht. Dank eines unvergesslichen Theaterabends.
Nächste Vorstellungen: 7. Oktober, 2. November, 10., 25. und 28. Dezember. Infos und Karten über Tel. 03693-451 222. www.staatstheater-meiningen.de