Rockmusik und die DDR der 80er Jahre? Da fallen den meisten diesseits der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze vielleicht noch „Karat“ und „Puhdys“ ein, das war's dann aber oft auch schon. Dabei haben die beiden Groß-Bands spätestens ab Mitte der 80er ihre besten Jahre hinter sich. Zwar verkaufen sie immer noch gut und spielen meist vor ausverkauften Häusern – doch oft vor einem Publikum, das seine musikalische Orientierung bereits im Jahrzehnt zuvor gefunden hatte.
Wer in den 80er Jahren zwischen 15 und 25 ist, dem gelten Puhdys und Karat wie auch andere bekannte Gruppen (electra, Stern Meissen, Lift) längst als zu etabliert, Auftritte in der TV-Show „Kessel Buntes“ besorgen den Rest.
Rebellische Songs, freche Texte? Die finden sich in der Mitte des Jahrzehnts eher bei erfolgreichen Neugründungen, allen voran „Pankow“ aus Berlin. Der Name der Gruppe um Sänger André Herzberg und Gitarrist Jürgen Ehle hat nicht nur etwas mit dem Berliner Stadtbezirk zu tun, die sprachliche Nähe zu „Punk“ ist kein Zufall. Protest wagen und auffallen wollen ist für die DDR-Jugend der 80er – Stasi hin oder her – viel weniger ein Tabu also noch im Jahrzehnt davor. Der Pankow-Song „Er will anders sein“ von 1986 trifft da zielgenau die Stimmungslage:
Er hat außer Klagen noch mehr zu sagen / Manchmal will er sowieso / Weg nach Irgendwo. / Aber er haut nicht ab in einen andern Ort, / Er rennt nicht vor Problemen fort. / Abzuhau’n fällt ihm nicht ein / Er will doch ganz anders sein.
„Abzuhau'n“ ist dann allerdings gerade für junge DDR-Bürger kurze Zeit später sehr wohl eine Option, was sich 1988 im Pankow-Album „Aufruhr in den Augen“ so anhört:
Dasselbe Land zu lange gesehn' / Dieselbe Sprache zu lange gehört. / Zu lange gewartet, zu lange gehofft / Zu lange die alten Männer verehrt. / Ich bin rum gerannt, / Zu viel rum gerannt. / Zu viel rum gerannt. / Und ist doch nichts passiert.
Vielleicht nicht ganz so direkt, aber nicht weniger deutlich wird die Diskrepanz zwischen Staatsmacht und Jugend in den Liedern von „Silly“. Die Band hat schon Ende der 70er Erfolge gehabt, in den 80ern landet sie mit „Mont Klamott“ das Top-Album des Jahres 1983. Sechs Jahre später besingt Frontfrau Tamara Danz in „Verlorne Kinder“ ein Phänomen, das zu einem der Sargnägel der DDR werden sollte: Der sozialistische Staat ist vielen jungen Leuten inzwischen schlichtweg egal, die Identifikation mit ihm – in den 70er Jahren durchaus noch spürbar – ist in vielen jungen Köpfen nicht mehr vorhanden. Die politische Führung im Land hat den Draht ausgerechnet zu jener Generation verloren, die für die Zukunft steht. „Verlorne Kinder“ also im Sinne des Wortes, oder wie es bei „Silly“ heißt:
In die warmen Länder würden sie so gerne fliehn / Die verlornen Kinder in den Straßen von Berlin. / Zu den alten Linden, die nur in der Ferne blühn / Die sie nicht mehr finden in den Straßen von Berlin.
„City“, eine Gruppe, die 1977 mit „Am Fenster“ einen auch im Westen überaus erfolgreichen Hit gelandet hatte und Anfang der 80er Jahre etwas in den Hintergrund getreten war, legt 1987 mit „Casablanca“ ein sowohl musikalisch als auch textlich spektakuläres Album vor. Nicht nur im Titelsong, den der Schauspieler Henry Hübchen komponiert hat, sondern auch in anderen Liedern wird die Traumwelt des Kinos zur Blaupause des zwischen Rügen und Erzgebirge grassierenden Fernwehs, so in „Pfefferminzhimmel“:
Sie hat ein Zimmer an der Ecke, wo die Eisenbahnen schrein. / Kurzer Lichtschein an der Decke und sie will woanders sein. / Wenn die Leinwandsterne funkeln, packt sie Keks und Kleingeld ein, / Gönnt sich eine Liebesperle und sie will woanders sein.
Auch die deutsche Teilung ist, wenn auch verschlüsselt, bei „City“ kein Tabuthema („Wand an Wand“).
Ab Mitte der 80er entsteht zudem eine Underground-Musikszene. Der Film „flüstern & SCHREIEN – Ein Rockreport“ des Regisseurs Dieter Schumann, der 1988 mit großem Erfolg in den Kinos der DDR läuft, dürfte das wohl realistischste Dokument für diese Entwicklung sein, treten in dem Streifen doch auch Fun-Punk-Bands wie „Sandow“ und „Feeling B“ auf, die für Textaussagen „zwischen den Zeilen“ nichts übrighaben. Im Film kommen zudem Jugendliche zu Wort, die aus ihrer Null-Bock-Stimmung keinen Hehl machen und vor den Augen entsetzter Urlauber am Ostseestrand Pogo tanzen – zu „Wir wollen immer artig sein“ von „Feeling B“. Zwei Musiker der Band werden später mit „Rammstein“ eine Weltkarriere machen.
Eine andere Klientel bedient in den 80er Jahren die nicht zu unterschätzende Liedermacherszene der DDR. Naheliegenderweise sind es eher Intellektuelle und Abiturienten, die zu den Auftritten von Gerhard Schöne, Kurt Demmler, Barbara Thalheim oder „Wenzel & Mensching“ gehen. Vor allem Kurt Demmlers Platten erreichen Riesen-Auflagen, das Doppelalbum „Die Lieder des kleinen Prinzen“ wird legendär. 1987/88 schließen sich mehrere Künstler zusammen, touren als „Liedercircus“ durchs Land und spielen nahezu überall in ausverkauften Sälen.
Den geschützten Raum der Kunst verlassen über 50 bekannte Rockmusiker und Liedermacher der DDR am 18. September 1989, als sie im Berliner Maxim-Gorki-Theater eine Resolution zur Lage der DDR verfassen und unterzeichnen. Tenor des Papiers: Die Partei- und Staatsführung solle endlich die Krise im Land und die Forderungen nach demokratischer Öffnung zur Kenntnis nehmen. Der erhoffte „Dialog“ – bald darauf ein inflationär gebrauchtes Wort – kommt allerdings nicht zustande, die Erstarrung der politischen Eliten im Herbst 1989 ist offensichtlich. Über sieben Brücken führt in der DDR längst kein Weg mehr.