Da liegt er nun - ein zwischen Held und Schwerverbrecher schwankender, von Selbstzweifeln zerrissener Mensch, ein Häufchen Elend, zusammengesunken unter dem Kreuz. So endet die Inszenierung von Bernd Lemmerichs "Ich ein Jud - Verteidigungsrede des Judas Ischariot" nach der Vorlage von Walter Jens.
Es dauert ein wenig, bis sich zunächst ein zaghafter, kurz darauf brausender Applaus regt. Verdienter Lohn für eine exzellente schauspielerische Leistung von Stefan Busch, der in diesem Ein-Personen-Stück so überzeugend in die Rolle des Jesus-Verräters schlüpft, dass die Besucher am Ende eine Weile zum Durchschnaufen brauchen.
Ist Judas wirklich der Sündenbock?
Ist Judas tatsächlich der Sündenbock, der Verräter, der den Sohn Gottes ans Kreuz aus geliefert hat oder gab es da eine Abmachung zwischen Gott und Judas, um "die Schrift und die Prophezeiung" zu erfüllen ? Das Stück wirft viele Fragen auf, die nachdenklich stimmen. Die auffordern, sich über das im Neuen Testament Geschriebene hinaus Gedanken zu machen.
Judas selbst spricht in dieser Verteidigungsrede über seine Rolle - damals vor 2000 Jahren. Er blickt auf das Geschehen am Ölberg zurück an jenem schicksalhaften Gründonnerstag, als mit seinem Kuss die Gefangennahme, die Folterungen und Demütigungen und schließlich die Hinrichtung "meines Rabbi" ihren Anfang nahm. Aber war es wirklich Verrat? Von wegen - aus Sicht von Judas. "Es wäre doch ein Aberwitz, blanke Narretei gewesen !" Schließlich war der Aufenthaltsort von Jesus ebenso bekannt wie sein Geheimnis, Gottes Sohn zu sein, was er ja schließlich selbst verkündet hatte.
Verrat als Liebesbeweis
"Es war mein letzter Liebesbeweis ! Schließlich bin ich es als einziger der zwölf Jünger gewesen, der ihn und seine Angst vor der Marter und dem Tod wirklich verstanden hat !", rechtfertigt Judas im Nachhinein sein Tun. "Ich habe doch nur das getan, um ihm zu helfen. Um ihm, wie abgesprochen, seine Aufgabe erfüllen zu helfen !"
Judas werde als Satan dargestellt. Aber hätte Jesus Satan unter seinen Jüngern geduldet ? Hätte er zugelassen, dass Judas sich schließlich das Leben nimmt ? "Nein - er wusste, dass ich einverstanden war, Gottes Willen zu erfüllen. Ich wusste, dass du wusstest, dass er weiß, was ich weiß !" Der angeblich Verrat an Jesus war stattdessen Gehorsam gegenüber Gott.
Ohne Verrat keine Erlösung
Diese Rolle war nach Ansicht von Judas sogar schwerer als die "meines Herrn". "Wer bereit ist, den Teufel zu spielen, der darf nicht darauf hoffen, den Engel herbeirufen zu dürfen !" Judas als "Bote Gottes im Finstern". Doch die Menschen verteufeln Judas, den Jud! Auch ein Dr. Martinus aus Wittenberg. Dabei wäre Judas ohne Verrat nicht zum Verräter an Gott geworden, hätte es keine Kreuzigung, keine Auferstehung und schließlich auch keine Kirche gegeben. Daher "fordere ich die Aufhebung meines Schuldspruchs. Ich habe es getan und darum seid ihr nun erlöst."
Am Ende kommt der Zusammenbruch
Doch da kommen in dem selbstbewussten Verteidiger plötzlich Zweifel hoch. Wie wäre es denn, wenn er Nein zu Gottes Forderung nach dem Verrat gesagt hätte ? Dann wäre Jesus mit seiner sanften Doktrin in seinem Zimmererberuf alt geworden. Es hätte kein millionenfaches Blutvergießen durch Inquisition, Glaubenskriege, durch Pogrom, kein Lager und kein Gas gegeben. " Doch stattdessen schnürt mir der Hanf den Hals zu, zerfetzen meine Gedärme und entweicht meine Seele durch den After !" Judas zerbricht am Ende und wirft sich verzweifelt vor dem Kreuz zu Boden. Trotz schwieriger Akustik und empfindlicher Kühle ein Stück, das in der Wechterswinkler Klosterkirche die passende Umgebung hatte und das durch Andrea Balzers Orgelspiel an den richtigen Stellen akzentuiert wurde. Eine gelungene Premiere für Bernd Lemmerich und sein Team vom "Theater an der Disharmonie Schweinfurt" im Kreiskulturzentrum.