Gegensätze ziehen sich an. In Mellrichstadt vielleicht mehr als anderswo, wie bei einem Rundgang durch die Stadt deutlich wird. Die modern gestaltete Innenstadt, die beim Stadtumbau West ab 2010 ihr neues Gesicht erhielt, wird eingerahmt von dicken Mauern, die zum Teil mehr als 700 Jahre auf dem Buckel haben. Darauf sind die Mellrichstädter durchaus stolz: Der Werbeslogan "Junge Stadt in alten Mauern" könnte treffender kaum sein. Doch an der trutzigen Stadtmauer nagt der Zahn der Zeit, eine großflächige Sanierung steht an. Den Erhalt des kulturellen Erbes lässt sich die Stadt etwas kosten: Insgesamt 2,5 Millionen Euro werden in die mittelalterliche Wehranlage investiert.
Bürgermeister Michael Kraus hält dabei an der Linie, die der Stadtrat vor seinem Amtsantritt beschlossen hatte, fest. "Wir gehen mit dem Zeitgeist, wollen aber auch das Alte erhalten", bestätigt der Stadtchef. Dazu kommt ein prominenter Mittelalterarchäologe aus dem Allgäu nach Mellrichstadt: Dr. Joachim Zeune vom Büro für Burgenforschung ist mit der bauhistorischen Untersuchung betraut, die für die Sanierung der Stadtmauer nötig ist.
Mellrichstädter bauen auf Joachim Zeunes Expertise
Als einziges Büro in ganz Europa bietet Zeunes Büro für Burgenforschung ein Komplett-Paket verschiedener Dienstleistungen rund um alte Gemäuer an, wie der Historiker auf seiner Homepage mitteilt. Das reicht von Archäologie und Archivalienforschung über Bauforschung und Bestandsdokumentation bis hin zu Schadenskartierung und Sanierungskonzepten. Zeunes Büro, so heißt es, hat seit seiner Gründung fast 300 Projekte durchgeführt, dabei Burganlagen im gesamten Bundesgebiet sowie im angrenzenden Ausland untersucht, saniert oder kulturtouristisch erschlossen. Ein ausgewiesener Experte also, der in Mellrichstadt die Stadtmauer nach den Vorgaben des Denkmalamts unter die Lupe nimmt und die Sanierung begleitet.
Die bauhistorische Untersuchung geht mit einer Schadenskartierung und einem Sanierungskonzept einher, macht Joachim Zeune im Gespräch mit dieser Redaktion deutlich. Schon im Vorfeld der Arbeiten, die derzeit an der nördlichen Stadtmauer im Bereich der Verwaltungsgemeinschaft beginnen, hat er sich daher einen Überblick über den aktuellen Bestand verschafft und die archäologische Bewertung vorgenommen. Und spart nicht an Lob für den Schatz aus vergangenen Zeiten, der in Mellrichstadt überall präsent ist. Zeunes Begeisterung für die mittelalterliche Wehranlage kommt nicht von ungefähr: Schon 2011, als Schäden an der Mauer zutage getreten waren, dokumentierte er den Zustand des Wehrrings um das alte Mellrichstadt, dessen Grundriss an einen Bootskörper erinnert.
Erhalt der Stadtmauer ist für die Stadt eine Daueraufgabe
Zehn Jahre später vertieft sich der Fachmann erneut in das geschichtliche Erbe, dessen Erhalt für Mellrichstadt eine Daueraufgabe ist. Schon in den 1990-er Jahren wurde investiert, als etwa ein Teilbereich der Mauer am Alten Schloss eingefallen war, und auch im Bereich der Eichersmühle musste bereits ein Stück Mauer neu hochgezogen werden. 2016 musste die Westseite notgesichert werden, weil Ausbeulungen an der Stadtmauer zutage getreten waren.
Nicht immer in der Geschichte der Stadt wurde der historische Wehrring so wertgeschätzt wie heute. In früheren Zeiten wurden gar Steine zum Bauen herausgebrochen und der Bereich zwischen den Mauern als Schweine- oder Hühnerhof genutzt. Manch eine Reparatur in der Neuzeit wurde mit billigem Material ausgeführt, etwa mit Zementverfugungen statt mit Kaltmörtel, wie der Experte sagt. Im Laufe der Zeit hatte sich dann das Füllwerk zersetzt, was schließlich zu Einstürzen führte. Dennoch ist die Mauer größtenteils gut erhalten. "Die Stadtmauer von Mellrichstadt ist mit Blick auf die Bausubstanz absolut hochwertig", so das hehre Urteil von Dr. Joachim Zeune.
Die verschiedenen Bauphasen der Wehranlage hat er längst kartiert. Dokumente im Stadtarchiv belegen, dass die ältesten Teile der Mauer im 13. Jahrhundert gebaut wurden, der Großteil der Stadtmauer entstand im 14. und 15. Jahrhundert. Befunde haben offenbart, dass bis zu fünf Bauphasen in einem Wandteil stecken können. "Die Mauer soll so saniert werden, dass jede Bauphase sichtbar wird", sagt der Experte.
Baufirma beginnt in Kürze mit der Sanierung der Mauerabschnitte
Die Kosten für diese Mammutaufgabe beziffert Bauamtsleiter Christian Roßhirt mit rund 2,5 Millionen Euro. Etwa eine Million Euro erwartet die Stadt an Zuschüssen vom Landesamt für Denkmalpflege und der Deutschen Stiftung Denkmalschutz.
Die Firma Stiel-Bau (Ostheim) hat mit den Vorarbeiten zur Sanierung der nördlichen Stadtmauer am Hofmannshain begonnen und wird im Anschluss an diesem Abschnitt die maroden Mauerteile im Bereich Mauergasse und Friedenstraße (am Pulverturm vorbei) instand setzen. Die Arbeiten gehen weiter in Richtung Loose-Areal, dort soll die Sanierung ebenfalls noch in diesem Jahr umgesetzt werden. In einem weiteren Abschnitt ist dann im kommenden Jahr die Instandsetzung der Mauerschäden im Bereich der Kleingärten in der Straße Am See bis hin zur Eichersmühle an der Reihe, informiert Roßhirt.
Bei allen Arbeiten können neue Erkenntnisse über das historische Bauwerk gewonnen werden, worüber dann auch stets das Denkmalamt informiert wird. Dort wird entschieden, wie in einem solchen Fall das weitere Procedere aussehen wird. Joachim Zeune freut sich schon auf die Aufgabe, jedes Wandstück im Zuge der Sanierungsarbeiten genau unter die Lupe zu nehmen und zu dokumentieren. Sein Frühling in Mellrichstadt wird arbeitsreich werden – und vielleicht sogar neue Erkenntnisse über die eindrucksvolle Wehranlage zutage fördern.