
Regina Leier fällt auf. Nicht, weil die hellen Strahler vom Unimog-Dach herunter ihre knallorange Arbeitsjacke zum Leuchten bringen. Es sind die langen, blonden Haare, die sich über den wärmenden Fleece-Kragen legen und auf denen ein paar weiße Schneeflocken Rast machen nach ihrer langen Reise vom Himmel herab.
Eine junge Frau am frühen Morgen im Herschfelder Kreisbauhof, wo sich gemäß dem Klischee nur Männer in klobigen Stiefeln für den Räum- und Streudienst bereit machen dürften. Das fällt auf. Es herrscht Hochbetrieb für die Straßenwärter. Genauer: Es herrscht Hochbetrieb für die Straßenwärter - und für die Straßenwärterin Regina Leier.
Bald wird sie 19 Jahre jung. Dass sie einmal in einer Männerrunde von 15 Kollegen so etwas wie der heimliche Mittelpunkt wird, das hat sich die Löhrietherin als Schülerin nicht gedacht. Auch nicht, dass sie 2023 bei der Freisprechungsfeier aller bayerischen Straßenwärter in Regensburg die einzige Frau sein wird. Es ist aber so geschehen. Und so verhalf sie dem Rhön-Grabfelder Kreisbauhof zum Alleinstellungsmerkmal.
Frische in die Männerwelt
"Probier's doch mal mit einem Praktikum", war der kurze Tipp von Papa Berthold, der 2020 noch als Hausmeister am Landratsamt gearbeitet hatte. Die Mittelschülerin bewarb sich, wurde genommen und schließlich als Azubine ausgewählt. Kreisbauhof-Leiter Karsten Schilling hatte in Oberthulba im Nachbarlandkreis schon einmal eine Frau in den Beruf der Straßenwärterin begleitet. "Regina bringt eine angenehme Frische in die Männerwelt", freut sich Karsten Schilling. Und auch Alexander Schneider ist froh, der Stützpunktleiter in Herschfeld.

Eine nicht ganz so angenehme Frische bringt der Wintereinbruch in die Rhön-Grabfelder Welt. Weil Glatteis und Schneemassen drohen, wird Regina Leier für einen zusätzlichen Streudienst eingeteilt. Mit jugendlichem Schwung hat sie die Stufen ins Führerhaus des Unimog erklommen. Zwei Kollegen hatten zuvor den Schneepflug montiert. Die große Ratsche zum Festmachen der dicken Schrauben nimmt aber auch Regina Leier zur Hand, wenn es sein muss. Und los geht die Fahrt Richtung Rödelmaier. "Seit Ende meiner Ausbildung fahre ich den Unimog allein. Beim ersten Mal war ich schon ordentlich aufgeregt", erzählt die Straßenwärterin.
Den ersten Winter alleine auf Tour
Es ist ihr erster Winter nach ihrer dreijährigen Ausbildung, in dem sie ihre Runden rund um Bad Neustadt dreht, damit sich die Autofahrerinnen und Autofahrer am frühen Morgen sicher fühlen können. "Um 3 Uhr morgens beginnt eine Melder-Fahrt", erklärt Regina Leier.Bei der Melder-Fahrt wird auch geschaut, wie die Straßenverhältnisse sind und wo Streu- und Räumbedarf herrscht.
An diesem Mittwochmittag ist von irgendeiner Aufregung nichts zu spüren. Von der Fahrerkabine aus hat die junge Straßenwärtin den vollen Überblick. Ein paar Tastendrucke an der ungewöhnlichen Konsole zur Rechten, und schon meldet sich eine Computerstimme und erklärt, wie breit das Salz gestreut wird und noch ein paar andere Parameter dazu.

Mit 18, also im letzten Jahr ihrer Ausbildung, hat sie ihren Lkw-Führerschein gemacht und darf Unimogs und sonstige Spezialfahrzeuge aus dem Fuhrpark des Kreisbauhofs steuern. "Das macht Spaß, und das eine oder andere kann ich auch an meinem Privatauto herrichten", zeigt sich Regina Leier technisch interessiert.
Der große Schneepflug mit den Warn-Flaggen rechts und links verschafft sich beim Gegenverkehr Respekt: "Aber es gibt immer ein paar Dödel, die an einem vorbeirasen", ärgert sich die junge Frau etwas. "Ansonsten sind die Leute doch meistens nett. Sie freuen sich im Winter, wenn der Schnee geräumt wird. Und im Sommer, wenn wir viele Mäharbeiten erledigen, gibt es auch immer ein gutes Wort von den Leuten", erzählt Regina Leier.

Regina Leier gibt dann gerne auch ein gutes Wort zurück. Ihre Ausbildung zur Straßenwärterin hat sie selbstbewusst gemacht. "Am Anfang war es nicht leicht. Ich war ganz ruhig und habe nichts geredet", erzählt sie. Ihr erging es wie vielen Auszubildenden in den ersten Monaten. Heute mischt sie mit bei den Kollegengesprächen. "Es wäre aber schön, wenn noch eine Kollegin käme. Dann könnte ich auch mal Frauenthemen besprechen", lacht Regina Leier.
Werbung macht sie seit Ausbildungsbeginn für Frauen in Männerberufen. "Ich war auf jeder Ausbildungsmesse dabei und habe meinen Beruf vorgestellt", sagt die Straßenwärterin. Die eine oder andere Schülerin habe zwar Nachfragen gestellt, gemeldet habe sich dann aber niemand mehr.
"Der Beruf macht mir Spaß, eigentlich alles daran", sagt Leier. Ein "Och nö, nicht das jetzt" sei ihr noch nicht über die Lippen gekommen. Viel an der frischen Luft zu sein, ob Sommer oder Winter, das mache den vielfältigen Beruf aus. "Im Sommer sind wir viel am Mähen und Heckenschneiden ", erzählt die gebürtige Löhrietherin. "Oder ich fälle halt Bäume", schiebt sie hinterher. Der Motorsägenschein war wichtiger Teil ihrer Ausbildung. "Jetzt mache ich zuhause auch Holz für die Eltern", sagt die zierliche Frau. Ansonsten kümmert sie sich im Sommer um ihren Garten, der ihr Tomaten und anderes Gemüse beschert
Der Tipp kam vom Papa
Vom Papa kam der Tipp für die Straßenwärter-Ausbildung, ihr ungewöhnlicher Berufswunsch stieß in der Familie also nicht auf Kopfschütteln. "Alle haben mich unterstützt, auch mein Freundeskreis, da gab es auch nie erstaunte Blicke", erzählt Regina Leier, während sie ihren orangen Unimog gleich zwei Runden über den Kreisverkehr an der NES20 fahren lässt. "Es müssen ja beide Bahnen gestreut werden. Die Straßenwärterin weiß, was zu tun ist, so manövriert sie ihr Fahrzeug routiniert mit dem speziellen Knauf am Unimog-Lenkrad weiter zum Pendler-Parkplatz, um auch ihn vor möglichem Glatteis zu schützen. Niemals schneller als Tempo 30, sonst bekommt die Straße nicht genügend Salz ab.

Regina Leier hat ihren Platz in der vermeintlichen Männerwelt eines Bauhofs gefunden. Das war schon klar, als sie im vergangenen Jahr mit ihrer Mutter Claudia nach Regensburg gefahren ist zur Freisprechungsfeier. Die einzige Frau unter Dutzenden bayerischen Straßenwärtern. "Mama hat da schon eine Träne verdrückt", erinnert sich die Tochter.
An eine Weiterbildung zur Straßenmeisterin denkt sie erstmal nicht. "Die Blockschule in Würzburg ohne Bekannte in der Stadt war nicht so mein Ding", sagt Regina Leier, die mit ihrem Partner in Strahlungen lebt. Sie ist nun mal lieber Praktikerin. Da lieber über einen Jagdschein nachgedacht, der sie schon irgendwie jucken würde.
Dann hätte die Straßenmeisterin sogar etwas mit Landrat Thomas Habermann gemein, ihrem obersten Chef. Der habe schon das eine oder andere Wort mit ihr gewechselt. Zu ihren Kollegen habe er sogar etwas scherzhaft gesagt: "Passt mir bloß auf unser Mädchen auf!". Die Männer vom Herschfelder Kreisbauhof wissen aber, dass ihr einstiges Küken längst mehr als flügge geworden ist.