Wie soll es nur weitergehen mit dem Salem-Dorf Raduga bei Kaliningrad? Gerhard Lipfert, einer der drei Geschäftsführer der 1957 in Stuttgart von Gottfried Müller gegründeten Bruderschaft, macht sich ernste Sorgen um die Kinder und Erwachsenen in der Einrichtung in Russland. Die Bank, über die bislang die Finanzierungen abgewickelt wurden, könne keine Auszahlungen mehr vornehmen, sagt er. Eine Folge der Sanktionen der EU aufgrund der Ereignisse in der Ukraine.
Ein Problem, denn schließlich müssen Saatgut, therapeutische Hilfsmittel, Benzin und nicht zuletzt auch Löhne und Gehälter für die 40 Beschäftigten bezahlt werden. Möglich, dass sich hier Mittel und Wege finden werden, schließlich hat Salem in den vergangenen fast 30 Jahren viele Kontakte aufgebaut und pflegt gute Beziehungen auch zu Behörden und der orthodoxen Kirche.
Sogar der Gouverneur kauft Ziegenkäse im Salem-Dorf
Was Lipfert aber am meisten wehtut, ist die zunehmende Ängstlichkeit und Traurigkeit der Menschen im Dorf. Dabei heißt Salem doch Frieden und Raduga ist das russische Wort für Regenbogen - ein Symbol, das für Harmonie, Ganzheitlichkeit und Naturschutz steht. Alles Werte, denen sich die Bruderschaft zusammen mit der christlichen Botschaft verpflichtet sieht.
Dazu kommt die vegetarische Vollwertkost, die gleichzeitig als Prävention und Therapie für Körper, Geist und Seele empfunden wird. Eine Lebensphilosophie, die auch im 1972 gegründeten Sozialwerk in Höchheim gepflegt wird. Seit der Gründung hat Salem einen enormen Aufschwung genommen und verfügt über 40 Stützpunkte überall auf der Welt, unter anderem auch in Ecuador oder Uganda und eben auch Russland.
160 russische Kinder und Jugendliche verbrachten hier eine Ferienfreizeit
Auf dem Gelände des Dorfes Raduga, in dem 15 Kinder und Jugendliche in drei Familien leben und bis zu zehn Kinder mit Behinderung aus der Umgebung regelmäßig betreut werden, betreibt man eine Bio-Gärtnerei und ökologische Landwirtschaft. Dazu zählt auch eine 40-köpfige Ziegenherde. "Sogar der Gouverneur kauft Ziegenkäse bei uns", sagt Lipfert mit etwas Stolz in der Stimme und will damit auch deutlich machen, wie sehr das Salem-Dorf integriert ist.
Im Sommer werden regelmäßig Öko-Jugendcamps und Sommerlager für hilfsbedürftige Familien veranstaltet. Allein im vergangenen Sommer haben dort 160 Kinder und Jugendliche eine Ferienfreizeit verbracht, wie aus dem Jahresbericht 2021 zu entnehmen ist.
Besuch aus Höchheim mit dem Posaunenchor
"Ich besitze ein mehrjähriges Visum", sagt Lipfert und weiß trotzdem nicht, wann er das nächste Mal nach Russland reißen kann. Längst hat er aufgehört zu zählen, wie oft er sich auf den Weg Richtung Kaliningrad gemacht hat. Zu Besuch kam 2009 auch der Posaunenchor Irmelshausen-Höchheim, was den Teilnehmern noch heute gut in Erinnerung ist. Unter anderem wurden drei Apfelbäume gepflanzt. Immer wieder fand auch in der Vergangenheit ein Jugendaustausch statt.
Eine Brücke für die Menschen
Zukunftsweisende Alternativen im Bereich der Umweltbildung und Ernährung will man im Dorf aufzeigen und dabei auch zur Völkerverständigung beitragen. Auf alle Fälle will der mittlerweile schon 74 Jahre alte Gerhard Lipfert verhindern, dass Dorf und Bewohner in irgendeiner Weise in die aktuellen Probleme hineingezogen werden. "Salem Raduga - eine Friedensbrücke" überschreibt er seine Gedanken zur Lage.
"Ziel bleibt es, einer Gruppe von christlich gesinnten Menschen, das erhaltene Stück Land, ein paar Maschinen und Helfern eine Chance auf ein friedliches Leben im sozial-ökologischen Bereich zu bieten", schreibt er Mann, der seit 1969 in Diensten der Bruderschaft steht. Vielleicht sei das im Moment nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein, gibt Lipfert zu, aber letztendlich doch auch ein Zeichen der Hoffnung für die Menschen, auch nach Ende der Gewalt eine Brücke vorzufinden, über die beide Seiten gehen können.