Grundschulabitur schimpfen manche und spielen damit auf den Druck an, der vor dem Übertritt auf eine weiterführende Schule auf vielen Viertklässlern lastet. Aufklären und Druck nehmen, das will der Übertritts-Infoabend für die Viertklasseltern der Grundschulen in Bad Neustadt und Salz diesen Donnerstagabend um 19 Uhr in der Mittelschule Bad Neustadt.
Der Übertritt als Damoklesschwert? Das sollte nicht sein, finden Ulrike Busch-Gerber, Leiterin der Karl-Ludwig-von-Guttenberg-Grundschule Bad Neustadt, und Bettina Schindler, Rektorin der Grundschule in Herschfeld. Immer wieder erleben sie Kinder, die bei einer „zufriedenstellenden Drei“ in Tränen ausbrechen: „Damit kann ich nicht aufs Gymnasium!“ „Manchmal ist es erschreckend, was der Übertritt mit den Kindern macht“, sagt Busch-Gerber.
Selbstbewusstsein stärken
„Wir versuchen da gegenzusteuern“, sagen die beiden Schulleiterinnen. Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen und Selbstwirksamkeit – diese drei Kompetenzen vermitteln sie ihren Schützlingen in den vier Grundschuljahren. „Ich kann etwas und ich bin wertvoll.“ Gemeint seien Stärken jenseits von Rechtschreibung und Mathematik. Sie verweisen außerdem auf die hohe Durchlässigkeit der Schularten und auf die Möglichkeit, Ziele über den zweiten Bildungsweg zu erreichen.
Doch wer tritt nach der vierten Klasse eigentlich derzeit in Rhön-Grabfeld wohin über? Wie steht der Landkreis im Bayernvergleich? Kurz vor den Landtagswahlen machte der bildungspolitische Sprecher der Grünen im Landtag, Thomas Gehring, Zahlen öffentlich, die er auf Anfrage vom Kultusministerium erhalten hatte.
Regional variierende Übertrittsquoten
Die Zahlen wertet Gehring als Beleg, dass im Schulsystem etwas faul ist. Grund sind regional stark abweichende Übertrittsquoten, vor allem fürs Gymnasium. Laut dem Zahlenmaterial sind deutlich mehr Kinder in Würzburg Stadt fürs Gymnasium geeignet als in der Stadt Schweinfurt. So stand es zumindest auf deren Übertrittszeugnissen.
Im Mittel der letzten sechs Jahre sprach man in Würzburg 57,3 Prozent der Kinder die Gymnasialeignung aus, in Schweinfurt nur 37,8 Prozent. Rhön-Grabfeld mit im Durchschnitt 45,3 Prozent gymnasialgeeigneten Kindern liegt im unauffälligen Mittel. Bei der Frage nach der Eignung für Realschulen sind die regionalen Unterschiede insgesamt nicht so groß.
Sind Würzburger Kinder begabter?
Das Zahlenmaterial verdeutlicht außerdem: Offenkundig melden nicht alle Eltern, deren Kinder eigentlich die Eignung fürs Gymnasium hätten, Sohn oder Tochter tatsächlich für diese Schulart an. Viele schicken ihre Kinder lieber in die Realschule. Vermutlich deswegen ist die Quote der Übertritte in die Realschule regionenübergreifend höher als die Quote bei der Eignung.
„Wir haben auch beobachtet, dass es unterschiedliche Quoten in Unterfranken gibt und fragen uns, woher das kommt“, sagt die Leiterin des Bad Neustädter Rhön-Gymnasiums, Kerstin Vonderau. „Ich gehe nicht davon aus, dass es an unterschiedlichen Begabungen der Kinder liegen kann.“
Für eine Aufwertung der Mittelschule
„Zahlen sind für mich nicht wichtig“, sagt Ulrike Busch-Gerber. „Wichtig ist das Kind, das dahinter steht“, bekräftigt Bettina Schindler. Das müsse mit Freude und Lust zur Schule gehen. Den Begriff „Übertrittsempfehlung“ finden die Grunschulleiterinnen irreführend. Denn in Bayern entscheiden allein die Noten in den drei Hauptfächern darüber, wofür im Zeugnis eine Eignung ausgesprochen wird.
Bis zu einem Notenschnitt von 2,33 erhält das Kind eine Empfehlung fürs Gymnasium, bis zu einem Schnitt von 2,66 eine für die Realschule. Wer die entsprechenden Noten nicht hat, kann über einen erfolgreichen Probeunterricht Zugang zur gewünschten Schulart erhalten. Prinzipiell wünschten sich die Lehrerinnen eine weitere gesellschaftliche Aufwertung der Mittelschule. „Das ist auch eine weiterführende Schule. Und eine, die richtig gute Arbeit leistet.“
Kritische Phase Pubertät
Wie zutreffend sind die Übertrittsempfehlungen? Kerstin Vonderau kann nur über die Kinder sprechen, die bei ihr am Gymnasium landen: „Die ganz große Menge kommt mit einer Gymnasialempfehlung und verlässt uns wieder mit dem Abitur“, ist sie zufrieden.
Allerdings passiere der Übertritt in einer entwicklungspsychologisch kritischen Phase. In der Pubertät könne viel passieren: Ein Überflieger verliere beispielsweise die Arbeitshaltung, einer, der es gerade so durch den Probeunterricht schaffte, glänze plötzlich als Spätzünder. Prinzipiell plädiert Vonderau dafür,„einen Schulartwechsel nicht als Scheitern zu betrachten, sondern als entwicklungsbedingte Korrektur“.
Mehr Chancengleichheit durch Ganztag
Übereinstimmend mit den Zahlen des Kultusministeriums beobachtet Vonderau eine gewisse Zurückhaltung der Eltern. Nicht alle Schüler, die als geeignet gelten, besuchen letztlich das Gymnasium. Das wünschte Vonderau sich anders. Wolle man mehr Bildungsgerechtigkeit schaffen, müsse der Komplex offene und gebundene Ganztagsschule mehr in den Fokus rücken. Sind Eltern überfordert – fachlich, zeitlich, finanziell – könne die Ganztagsschule Chancengleichheit schaffen.
Doch während sie als Schulleiterin in der gebundenen Ganztagsschule fachlich qualifiziertes Personal einsetzen darf, darf in der offenen Form – die wegen der weniger rigiden Anwesenheitspflicht durchaus beliebt ist – nur außerschulisches Personal Mittagsbetreuung leisten. Ungerecht, findet sie das.
Späterer Übertritt
Auch die Grundschulleiterinnen haben eine Vision: „Eine längere gemeinsame Grundschulzeit“, findet Ulrike Busch-Gerber, täte vielen Kindern gut. „Der Übertritt kommt für viele zu früh.“ Bettina Schindler wünscht sich „zwei gleichwertige Schleusen“, also einen Übertritt nach der vierten und einen nach der sechsten Klasse: „Für das Gros der Kinder würde das viel Stress und Druck rausnehmen.“
„Der Übertritt ist nicht alles im Leben, was zählt“, das versuchen die Grundschulleiterinnen ihren Schülern beizubringen. Es wird auch eine der Haupt-Botschaften an diesem Donnerstag beim Elternabend sein. „Ziel muss es sein, für jedes Kind den besten Weg zu finden. Nicht möglichst viele aufs Gymnasium zu bringen!“, findet Bettina Schindler.