Als könnte er beide einfach wieder, mir nichts dir nichts, zusammenbringen. So steht Umeswaran Arunagirinathan zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Innenminister Horst Seehofer. Die Arme locker um beide gelegt. Der ehemalige Flüchtlingsjunge zwischen den scheinbar unversöhnlichen Protagonisten des Asyl-Streits.
Das ungewöhnliche Trio traf am Mittwoch im Hof des Deutschen Historischen Museums in Berlin aufeinander. Umeswaran Arunagirinathan war dorthin anlässlich der Gedenkstunde der Bundesregierung zum Weltflüchtlingstag als Gastredner geladen.
Der Mann mit dem unaussprechlichen Namen
Ins Auge stechen Umes charmantes Lächeln und sein offener Blick. Umes – so nannten ihn natürlich nicht Seehofer und Merkel an diesem Mittwoch. Umes rufen ihn seine Patienten und Kollegen am Bad Neustädter Rhön-Klinikum, weil sein sri-lankischer Name für deutsche Zungen unaussprechbar ist.
Der 40-jährige Mediziner lässt sich im Landkreis Rhön-Grabfeld derzeit zum Herzchirurgen ausbilden. Die Rhöner Menschen hat er mit seiner positive Art längst erobert, an diesem Mittwoch scheinen aber auch die Spitzenpolitiker in Berlin für die Erfolgsgeschichte des ehemals unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings aus Sri Lanka empfänglich.
Einladung kam aus Seehofers Büro
Zwei Bücher hat Umeswaran Arunagriniathan mittlerweile über seine Fluchtgeschichte veröffentlicht, als Autor außerdem zahlreiche Lesungen veranstaltet, über die letztlich auch Horst Seehofers Büro auf ihn aufmerksam wurde. Man bat ihn, im Rahmen der Gedenkstunde seine persönliche Fluchtgeschichte zu erzählen.
Umes, selbst SPD-Mitglied und beileibe kein Freund der CSU-Positionen, zögerte nicht, der Einladung als Gastredner nachzukommen: Überzeugungsarbeit muss ich da leisten, wo andere Meinungen vorherrschen als meine, rechtfertigt er seine Entscheidung für die Rede auch gegenüber Kritikern aus den eigenen Reihen. Das war meine Chance, eine Botschaft zu vermitteln, Denkanstöße zu geben und letztlich so die Gesellschaft mitzugestalten.
Umes ergriff nicht nur das Wort. Sein persönliches Schicksal erzählend bezog er letztlich prinzipiell Position in der Flüchtlingspolitik: Er erzähle eine von vielen Geschichten, erklärte er. Und spreche damit auch für jene, die noch zu schlecht deutsch können oder zu traumatisiert seien, um ihre Flucht zu beschreiben. Umes berichtete zunächst vom Bürgerkrieg, von der Mutter, die ihn nach dem Tod seiner Schwester nach Europa schickte. Sie wollte kein Kind mehr sterben sehen. Von der achtmonatigen Flucht, allein, ohne Eltern und Geschwister.
Abschiebebescheid kurz vor dem Abitur
Er erzählte aber auch ein deutsches Aufstiegsmärchen: Vom Flüchtling, der Abitur machte, Medizin studierte und auf dem besten Weg ist ein renommierter Herzchirurg zu werden. Er sprach ohne die Stolpersteine, Rückschläge und Diskriminierungen wegzulassen, oder den Abschiebebescheid zu verschweigen, der ihn kurz vor dem Abitur fast in den Selbstmord trieb.
Während Umes redete, eindringlich und ergreifend, schwiegen in Berlin die politischen Grabenkämpfe. Zumindest zehn Minuten lang. „Ein exzellenter Redner“ sei er, habe ihm Seehofer anschließend zugeraunt, erzählte der Mediziner am Tag darauf im Gespräch mit dieser Redaktion.
„Sie haben mich berührt mit Ihrer Geschichte“, antwortete die Bundeskanzlerin dem 40-Jährigen, der sich selbst in seiner Rede als Mango-Baum mit deutschen Wurzeln bezeichnete. Auf sein Bild eingehend erklärte Merkel in ihrer Anschlussrede: „Und ich will Ihnen sagen: Unter den vielen Eichen, Tannen und Fichten freuen wir uns über den Mangobaum.“
Sein Umfeld kennt Umes als einen Brückenbauer. Als Menschenfreund und Optimist. Als jemanden, der um die Notwendigkeit von Kompromissen weiß, der sich aber bei aller Diplomatie nicht verbiegen lässt.
Seehofer applaudiert Flüchtling
Umes wusste, was ihm Seehofers Applaus einbringen würde und setzte darauf: Die Geschichte seiner Diskriminierung in Hamburg, woraus am Ende seine Entscheidung erwuchs, nach Bayern zu gehen, ließ Seehofer denn auch demonstrativ in die Hände klatschen.
Kurz darauf schob der ehemalige Flüchtling sofort kritische Töne hinterher: „Ich habe den Schutz in einem christlich geprägten Land bekommen. Es ist auch meine Aufgabe dafür zu sorgen, dass dieses christlich geprägte Land seine Menschlichkeit nicht verliert.“ Kritik verpackt Umes, ohne dass es schmerzhaft wird. Weil er statt Du Wir sagt. Sich als deutschen Staatsbürger mit in die Verantwortung nimmt. So auch an jenem Mittwoch.
„Ich glaube Horst Seehofer ist kein schlechter Mensch. Das Problem ist, dass er die Empathie für geflüchtete Menschen nicht hat“, analysierte er tags darauf im Interview. Mit seiner Rede habe er natürlich indirekt Merkels Position unterstützen wollen, erzählt er offen. Über Seehofer sagt er nach dem Auftritt: „Ich habe das Gefühlt, da ist wirklich etwas angekommen.“ Dass er Seehofers Haltung in der Asylfrage prinzipiell verändern wird, daran wag Umes nicht zu glauben. „Aber vielleicht habe ich den ein oder anderen Denkanstoß geben können.“ Nach der Rede sei der Innenminister ihm anders begegnet als zuvor: persönlicher, zugewandter.
Der Dialog zwischen beiden soll weitergehen, berichtete Umes. Seehofer habe erklärt, dass er ihn gerne noch einmal treffen würde. Arunagirinathan wiederum hat angeboten, sich beim Thema Asyl beratend einzubringen. Als einer, der Erfahrungen gemacht hat.
In einer Podiumsdiskussion, sagt Umes, wäre er deutlicher geworden als in einer Gedenkfeier-Ansprache. „Da ging es darum, Respekt walten zu lassen.“ Seine Hauptbotschaft aber ist angekommen: „Es geht darum, Mauern zu überwinden, in Kontakt zu bleiben miteinander zu sprechen. Das ist der beste und vernünftigste Weg, auch wenn es Geduld und manchmal Kraft kostet.“
Zur Person
Umeswaran Arunagirinathan floh Anfang der 90er Jahre, im Alter von 12 Jahren vor dem Bürgerkrieg in Sri Lanka. Er gehörte der tamilischen Minderheit an. In Deutschland bestand er das Abitur, studierte Medizin, erhielt letztlich die deutsche Staatsbürgerschaft. Derzeit arbeitet der 40-Jährige Arzt am Bad Neustädter Rhön-Klinikum und will sich dort zum Herzchirurgen ausbilden lassen. Er hat zwei Bücher über seine Flucht geschrieben: „Allein auf der Flucht“ und „Der fremde Deutsche“.