Die Adventszeit ist die Zeit des Naschens und Backens: Überall werden Plätzchen und Stollen angeboten. Am besten schmecken aber die selbstgebackenen Leckereien. In unserer Familie war Oma Elfriede für die Weihnachtsbäckerei zuständig. Riesige Kartons mit Nuss-Plätzchen, Vanillekipferln, Lebkuchen und anderen Köstlichkeiten füllten einen ganzen Schrank.
Nach ihrem Tod blieb der Schrank leer, denn es fehlte allen die Zeit zum Backen. Mir ging es genauso. Jedes Jahr nahm ich mir in der Adventszeit vor: du backst Plätzchen und Stollen! Die Zutaten wurden eingekauft und in der Küche bereitgestellt. Nach den Feiertagen wurden sie wieder unbenutzt in den Küchenschrank geräumt.
Und wieder war ein Jahr vorbei. Es wurde Sommer, Herbst, schwupps stand der Advent vor der Tür. Überall lagen die Weihnachtsköstlichkeiten in den Schaufenstern. Die Back- und Bastelbücher wurden in der Bibliothek in den Vordergrund gerückt und schön präsentiert. Ich blätterte in den Backbüchern, fand tolle Rezepte, fotokopierte sie und nahm sie mit nach Hause.
Daheim das Adventsprozedere: Zutaten zusammensuchen, auf die Arbeitsfläche stellen und auf Zeit zum Backen hoffen. In der Bibliothek drehten sich die Gespräche auch häufig darum. Wie viele Plätzchensorten hat die Kollegin schon gebacken? Backt man gefüllte oder ungefüllte Plätzchen? Mit oder ohne Dekoration? Kleine oder große?
Just so ein Gespräch hörte eine ältere Leserin mit an. Sie erzählte, dass ihr, seit sie in Rente ist, viel Zeit zum Plätzchenbacken übrig bleibt. Sie liebt es in der Küche zu stehen und zu backen. Leider muss sie sich immer bremsen, da sie gar nicht so viele Bekannte hat, um das Gebäck zu verschenken. "Ich opfere mich gern als Versuchskaninchen!", sagte ich, "denn bei mir gibt es nur gekauftes Gebäck." Die Dame lachte nur, packte ihre Bücher ein und verließ die Bibliothek.
Die Wochen vergingen und der vierte Advent rückte näher. Ich hatte die Leserin schon vergessen. Drei Tage vor Weihnachten stand sie dann in der Bibliothek. In den Händen hielt sie eine große rote Dose mit aufgedruckter grüner Schleife. "Hier für Sie, Frau Scheler, zum Versuchen. Ich weiß doch, Sie kommen wahrscheinlich nicht zum Backen. Die Dose möchte ich aber wiederhaben!"
Sie strahlte über das ganze Gesicht. Ich öffnete die Dose und darin lagen x Sorten frischer Weihnachtsplätzchen. Das Geschenk rührte mich sehr und ich bedankte mich höflich. Die Plätzchen schmeckten übrigens toll.
Daraus entstand dann unser Weihnachtsritual. Pünktlich drei Tage vor Weihnachten kam sie jedes Jahr mit der gefüllten Plätzchendose in die Bibliothek. "Hier, Frau Scheler, für Sie und Ihre Kolleginnen, wenn sie nicht zum Backen kommen." Wir alle fanden, dass das eine köstliche Weihnachtstradition war.
Text: Claudia Scheler
Foto: Carmen Möller / Montage: Anne Schmidhuber
Claudia Scheler (58) ist die Leiterin der Stadtbibliothek in Bad Neustadt.
In der Kolumne "Rhöner Adventskalender" schreiben Menschen aus dem Landkreis Rhön-Grabfeld Anekdoten und Gedanken rund um Advent und Weihnachtsfest.