Die Nadel surrt und gleitet am Knöchel entlang der vorgezeichneten Linie. Die Kundin Nicky Luisa Kleinteich liegt entspannt auf dem Bauch und die Tattoo-Artist Madlen Wittmann plaudert mit ihr über Gott und die Welt. Ein auf den ersten Blick gewöhnliches Prozedere in einem Tattoo-Studio.
Doch seit einigen Wochen tätowiert Wittmann ein besonderes Tattoo-Motiv - und das kostenlos für den guten Zweck. Wittmanns Tattoo-Studio "Nadel NESt" in der Neustädter Innenstadt ist bisher das einzige Tattoo-Studio im Umkreis von knapp 40 Kilometern, dass diese besonderen Tattoos anbietet.
Fast jeder vierte Deutsche hat ein Tattoo
Das Thema Organspende ist seit einigen Wochen in aller Munde. Dafür sorgt eine Kampagne des Vereins "Junge Helden". Der Verein initiierte die Kampagne "Opt.Ink - The Organ Donor Tattoo". Ihr Slogan "Get inked, get life", was frei übersetzt bedeutet; "Lass dich tätowieren, erhalte Leben."
Während fast jeder vierte Deutsche ein Tattoo trägt, besitzt nur ein kleiner Bruchteil einen Organspendeausweis. Ein Unding findet der Verein "Junge Helden". Laut der Vereinshomepage warten aktuell knapp 10.000 Menschen in Deutschland auf ein lebensrettendes Organ. Dabei versterben jährlich knapp 1000 Menschen, weil es kein passendes Spenderorgan für sie gegeben hat.
Zahl der Organspender ist erschreckend gering
Und obwohl viele Menschen angeben, dass sie ihre Organe spenden möchten, ist die tatsächliche Anzahl der Organspender erschreckend gering. 2022 gab es nur knapp 869 Organspender und Organspenderinnen. Es sterben durchschnittlich drei Menschen pro Tag, weil sie ihr dringend benötigtes Spendenorgan nicht rechtzeitig erhalten haben. Das "Organ Donor Tattoo" könnte diese Situation verbessern, hofft der Verein.
Madlen Wittmann ist auf der Social Media-Plattform Instagram über die Kampagne der "Junge Helden" gestolpert. Während eines Urlaubs bei einer Freundin in Hannover scrollte sie kurz vorm Schlafengehen durch ihren Feed und entdeckte die Kampagne. "Coole Aktion", dachte sie sogleich.
Sie beschloss, den Verein am nächsten Morgen direkt anzuschreiben. Gesagt, getan. Schnell kam die Antwort des Vereins und kurz danach wurde Madlen Wittmann bereits mit dutzenden interessierten E-Mails überschüttet. "Es kam sofort gut an", berichtet die Tätowiererin stolz.
Termine für Aktionstag sind alle vergeben
Jeder, der einen Tattoo-Termin vereinbart, kann sich zusätzlich auf Kosten des Hauses ein Opt.Ink-Tattoo stechen lassen. Demnächst gibt es zudem einen Aktionstag, an dem ausschließlich Opt.Ink-Tattoos gestochen werden. Aufgrund der immensen Nachfrage sind die Termine für den Aktionstag bereits alle vergeben.
Kundin Nicky Luisa Kleinteich hat jetzt schon ihren Termin. Ihr ursprünglicher Plan war, sich ein "Cover-Up" tätowieren zu lassen - also ein neues über ein älteres, unliebsames Tattoo zu stechen. Als sie vom Organspende-Tattoos gehört hatte, war sie sofort bereit mitzumachen. Kleinteich lässt sich ihr Organ-Donor-Tattoo im feinem Dot-Work-Stil, für den Wittmann Spezialistin ist, stechen.
Motiv für das Organ-Donor-Tattoo
"Klein, fein, detailliert", beschreibt Wittmann ihren Stil. Die Motivvorlage für das Organ-Donor-Tattoo wurde vom Verein zur Verfügung gestellt. Es ist ein einfaches, geometrisches Tattoo - ein Kreis mit zwei unterhalb liegenden Halbkreisen.
Tätowierer und Kunden können jedoch auch stilistische Abwandlungen einfließen lassen. Doch der Kreis mit den zwei unterhalb liegenden Halbkreisen muss als Organ-Donor-Tattoo erkennbar sein, um im Fall der Fälle seine Organe zu spenden. Rechtlich gesehen ist die Organ-Donor-Tätowierung kein offizielles Dokument. Sie gilt jedoch als eine Willenserklärung, da sie die Angehörigen wissen lässt, dass der Verstorbene pro-Organspende ist.
"Ein Tattoo hat man immer dabei"
"Es ist eine tolle Aktion und ein Tattoo hat man immer dabei", stellt Wittmann lachend klar. Sie rät ihrer Kundschaft trotzdem auf Nummer sich zu gehen und zusätzlich den Papier-Organspendeausweis mitzutragen oder im Smartphone abgespeichert zu haben.
"Das Thema Organspende kommt so wieder ins Gespräch", ist sich Tattoo-Artist Wittmann sicher. "Du sitzt ja nicht zusammen abends am Stammtisch und knallst kurz mit der Frage raus, ob jemand einen Organspendeausweis hat", erzählt sie und ergänzt gutgelaunt: "Aber wenn du ein Symbol hast, ein neues Tattoo, fragen dich die Leute auch danach".
Künstlerin und Kundin sind mit dem Ergebnis zufrieden
Es sind vor allem junge Personen, die sich dieses Tattoo stechen lassen und diese bringen häufig sogar ihre Eltern mit, berichtet Wittmann. Sie hat schon ein Mutter-Tochter-Tattoo als auch eine ganze Familie mit den Opt.Ink-Symbol tätowiert.
Wittmann ist eine von der schnellen Sorte, nach knapp einer halben Stunde ist sie mit dem Organ-Donor-Tattoo fertig. Sie streicht mit einem desinfizierten Papiertuch über das frisch gestochene Tattoo auf Kleinteichs Knöchel. Künstlerin und Kundin sind mit dem Ergebnis zufrieden. Kleinteich betrachtet das kleine, feine Tattoo am Knöchel und ist glücklich über das Tattoo, das Leben rettet.
Alle die außerhalb eines Krankenhauses sterben haben schlechte Karten.
Der Idealfall ist Hirntod im Krankenhaus.
Nur mithilfe intensivmedizinischer Maßnahmen kann das Herz-Kreislauf-System künstlich aufrechterhalten werden.
Auf diese Weise werden die Organe der verstorbenen Person weiter mit Sauerstoff versorgt. Ihre Funktionsfähigkeit bleibt erhalten und sie können so Patienten transplantiert werden. Ohne künstliche Beatmung würde auf den Hirntod zeitnah der Herz-Kreislauf-Stillstand folgen. (Quelle: Organspende-info.de)
Dieses Symbol soll wirklich eine Willenserklärung sein?
Was, wenn jemand zufällig ein ähnliches Tattoo hat?
Bitte mal recherchieren, ob es wirklich nur an zu wenigen bereiten Spendern liegt. Seit einigen Jahren sind die Krankenhäuser ja sowieso gut ausgelastet. Vielleicht haben die oft einfach keine Zeit für die für´s Spenden notwendigen Untersuchungen.