1920 brachte das Überlandwerk Rhön Licht in die dunkle Rhön. Die bis dahin von der flächigen Stromversorgung nicht bedachten Gemeinden im Dreiländereck zwischen Hessen, Bayern und Thüringen schlossen sich zusammen und gründeten ihr eigenes, und auch heute noch zu 100 Prozent kommunales Unternehmen. 2020 wird also großes Jubiläum beim Stromversorger gefeiert. Ein kleines sorgte schon dieser Tage für freudige Gesichter im Unternehmen: Die stromtechnische Wiedervereinigung der Überlandwerk Rhön GmbH 1993 jährt sich im Dezember zum 25. Mal.
Leitungen gekappt
Es war ein im wahrsten Sinne des Wortes einschneidendes Ereignis: Im Jahr 1952 wurden die Stromleitungen zwischen den thüringischen sowie den bayerischen und hessischen Gesellschaftergemeinden im Netzgebiet des ÜWR gekappt. Die politische Entwicklung in Deutschland sorgte dafür, dass das kommunale Stromversorgungsunternehmen in der Rhön auseinandergerissen wurde. Ein Schock für alle Gesellschaftergemeinden, die Mitarbeiter und natürlich auch die Kunden des Unternehmens. Denn an den Landesgrenzen saßen die Bewohner der bayerischen und hessischen Gemeinden des ÜWR plötzlich im Dunkeln. Bisher kam der Strom für alle Kunden nämlich aus dem thüringischen Kohlekraftwerk in Breitungen an der Werra.
Thüringer Orte nicht vergessen
Mit der Öffnung der innerdeutschen Grenze im Jahre 1989 nahm die Geschäftsführung des Überlandwerks den Kontakt zu den thüringischen Gesellschaftern wieder auf. „In den 40 Jahren der Unternehmensteilung hatten wir die nicht mehr erreichbaren Orte der thüringischen Rhön nicht vergessen“, teilt das Unternehmen unter Geschäftsführung von Helmut Grosser mit. So wurden in den Jahren der Teilung auf dem Briefkopf des ÜWR die ehemaligen thüringischen Standorte des Unternehmens weiter mit aufgeführt, jedoch mit dem textlichen Zusatz „derzeit unserer Verwaltung entzogen“.
Stets bestrebt, die Gesellschaft wieder zusammenzuführen, ergriff das Unternehmen die Gelegenheit, die die Wende bot, beim Schopf. „Seit einem Vierteljahrhundert ist das Netzgebiet nun wieder vereint, und der Strom kann zwischen den Rhönorten unabhängig von Landesgrenzen fließen“, freut sich Wolfgang Pfeiffer, Abteilungsleiter Stromvertrieb und -beschaffung. Zudem können die thüringischen Gesellschafter – Städte und Gemeinden im Ulster- und Feldatal – wieder aktiv die Unternehmensentwicklung mitgestalten.
Gemeinschaft über Grenzen hinweg
Das gute Miteinander im kommunalen Unternehmen bekräftigt auch Landrat Thomas Habermann, Vorsitzender des Aufsichtsrats und der Gesellschafterversammlung des ÜWR. „Ohne den besonderen Zusammenhalt der bayerischen, hessischen und thüringischen Gesellschafter in den schwierigen Anfangsjahren des Netzausbaus wäre diese Entwicklung nicht möglich gewesen. Selbst als 1952 die thüringischen Gesellschafter von unserem Unternehmen getrennt wurden, hat sich die Solidargemeinschaft über Jahrzehnte bis zur Wiedervereinigung erhalten.“
Bereits im Sommer 1990 nahmen die Bürgermeister der thüringischen Gemeinden, die zu DDR-Zeiten nie enteignet wurden, erstmals wieder an der Gesellschafterversammlung des Überlandwerks teil. In den Jahren der Teilung wurden ihre Interessen durch einen Vertreter der Bundesausgleichsbank in Bonn/Bad Godesberg vertreten. Schnell war man sich einig, dass die Übertragung der Netzanlagen zurück in die eigene Gesellschaft vorangetrieben werden soll.
Netz neu aufgebaut
Das Überlandwerk begann umgehend mit baulichen Aktivitäten in den thüringischen Gesellschaftergemeinden. Bei vielen Straßenbaumaßnahmen verlegte das Unternehmen bereits Stromkabel, obwohl zu diesem Zeitpunkt noch keine Stromkunden angeschlossen werden konnten. In Neidhartshausen wurde die Bezirksstelle Feldatal errichtet und 1992 in Betrieb genommen. 1993 wurden die Kunden in Thüringen bereits wieder vom ÜWR versorgt. Für eine sichere Stromversorgung in dem großflächigen Stromnetz mit rund 3500 Kilometern Länge wurden viele der ehemaligen Leitungsverbindungen zwischen den drei Bundesländern wieder aufgebaut.
Millionen-Investitionen
Der Netzaufbau in den thüringischen Gemeinden stellte für das ÜWR in finanzieller Hinsicht eine große Herausforderung dar. Rund 30 Millionen Euro hat das Unternehmen allein dort investiert. Und auch in der jüngeren Vergangenheit hat sich das Unternehmen gut aufgestellt: Die großen Schalthäuser im thüringischen Zella sowie auf bayerischer Seite in Nordheim und Brendlorenzen wurden in den letzten Jahren modernisiert oder neu gebaut. Als letztes Großprojekt wurde im vergangenen Oktober der 1,6 Millionen Euro teure Neubau des Schalthauses im hessischen Dietges in Betrieb genommen, teilt das Unternehmen mit.
Da alle 57 Gesellschaftergemeinden des ÜWR in diesem Frühjahr einen neuen Konzessionsvertrag für die nächsten 20 Jahre geschlossen haben, sieht sich das Unternehmen weiterhin gut aufgestellt. „Eine Partnerschaft, die Zukunft hat“, waren sich bei der Vertragsunterzeichnung alle Beteiligten einig.