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Bad Neustadt
Streit um Vollmacht: Freunde dürfen nicht zu Komapatienten
Beharren auf Vorsorgevollmacht: Ein Pflegedienst hielt Freunde vom Krankenbett eines 81-Jährigen fern, der im Wachkoma liegt. Dann eskalierte die Auseinandersetzung.
Warum liegt mein Freund mit gebrochenen Beinen im Wachkoma? Christoph Helm hat lange keine Antworten auf seine Fragen bekommen. Unser Symbolbild entstand auf einer Intensivstation.
Foto: Patrick Pleul/dpa | Warum liegt mein Freund mit gebrochenen Beinen im Wachkoma? Christoph Helm hat lange keine Antworten auf seine Fragen bekommen. Unser Symbolbild entstand auf einer Intensivstation.
Martina Harasim
Martina Harasim
 |  aktualisiert: 27.04.2023 08:37 Uhr

Christoph Helm hatte jede Menge Fragen, allen voran: Warum liegt sein Freund im Koma? Warum hat er zwei gebrochene Beine? Antworten hätte ihm die Geschäftsführerin des Pflegedienstes geben können, dessen Mitarbeiter seinen Freund ambulant betreut haben. Sie hatte eine Vorsorgevollmacht und weigerte sich nicht nur, Auskünfte zu geben, sondern war noch einen Schritt weiter gegangen: Sie hatte ein Besuchsverbot erwirkt, das festlegte, dass Freunde den 81-jährigen Patienten nicht besuchen dürfen. Auch die Ehefrau des Patienten, zu der der 81-Jährige seit seiner Flucht aus der DDR 1966 kaum noch Kontakt hatte, und der Sohn, der den alten Vater in den letzten Jahren sporadisch besucht hatte, waren nicht auf dem Laufenden gehalten worden. Was war geschehen?

In einem Gespräch mit dieser Redaktion schilderte Helm seine Sicht der Dinge: Am 28. Mai besuchte er gemeinsam mit einem Freund Stefan F. (Name von der Redaktion geändert) in dessen Haus im nördlichen Landkreis Rhön-Grabfeld. Der langjährige Jagdaufseher in den Revieren seiner Familie sei geistig auf der Höhe gewesen, berichtet Helm. Seine körperlichen Gebrechen seien so gewesen, dass er einen ambulanten Pflegedienst engagiert hatte. Der 81-Jährige erzählte ihnen, dass er am nächsten Tag zu einer ambulanten Untersuchung ins Klinikum Meiningen (Thüringen) gefahren werde und bat sie, im Haus nach dem Rechten zu schauen, sollte er über Nacht bleiben müssen.

Als sein Freund am Abend nicht zurückkehrte, war Helm klar, dass dieser stationär aufgenommen worden war. Zwei Tage später fuhr er daher zum Krankenbesuch und fand seinen Freund "auf der Intensivstation, mit zwei gebrochenen Beinen, im Koma". Auskünfte erteilte ihm keiner.

Sollte jeder haben: Eine Vorsorgevollmacht für den Fall, dass man seine Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln kann.
Foto: Patrick Pleul/dpa | Sollte jeder haben: Eine Vorsorgevollmacht für den Fall, dass man seine Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln kann.

Betreuungsgericht wurde eingeschaltet

Was dann geschah, schilderte Helm in einem Brief an das Betreuungsgericht am Amtsgericht Bad Neustadt, der dieser Redaktion vorliegt: "Nachdem in der Woche nach dem 29. Mai aus dem Wohnhaus unter anderem der Waffentresorschlüssel von Herrn F. inklusive der zugehörigen Waffenbesitzkarten verschwunden waren, habe ich wegen der hohen Brisanz dieser Tatsache die Waffenbehörde eingeschaltet." Seine eigenen Nachforschungen hätten ergeben, dass die Geschäftsführerin des Pflegedienstes diese in der Wohnung des Patienten sichergestellt habe, obwohl sie trotz Vorsorgevollmacht waffenrechtlich dazu in keiner Weise befugt gewesen sei. Ein Mitarbeiter der Unteren Jagdbehörde hätte Helm daher gebeten, sich den Waffentresorschlüssel geben zu lassen und ihn zwischenzeitlich in seinem Waffentresor sicher aufzubewahren.

Bei dem Übergabetermin am 11. Juni seien laut Helm zwei von der Geschäftsführerin des Pflegedienstes bestellte Polizeibeamte anwesend gewesen. Sie habe den Beamten erklärt, dass sie im Besitz einer umfassenden Vorsorgevollmacht für Stefan F. sei, worauf ihr die Beamten dann letztendlich alle Hausschlüssel inklusive der Waffentresorschlüssel vor Ort übergeben hätten. 

Helm hatte sich von dem Brief an das Betreuungsgericht zweierlei erhofft: Zum einen habe er gerichtlich geklärt wissen wollen, wie es zu den Beinbrüchen kam und wer für den Unfall und die immensen medizinischen Folgekosten verantwortlich ist. Zum anderen habe er seinen langjährigen Freund in seiner aktuellen gesundheitlichen Situation gerne unterstützen wollen, indem er ihn am Krankenbett besucht. Stefan F. lag mittlerweile auf der Beatmungsstation einer Intensivpflege-Einrichtung in Suhl (Thüringen). 

Pflegedienstes einigt sich mit Gericht

Das Betreuungsgericht hat bereits auf das Schreiben reagiert. In einem Gespräch mit dieser Redaktion bestätigte die Geschäftsführerin des Pflegedienstes am 23. Juli, dass sie sich mit dem Gericht geeinigt habe: Ihre seit 2014 bestehende  Vorsorgevollmacht beschränkt sich künftig ausschließlich auf die Gesundheitsvorsorge und das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Die gesetzliche Betreuung, insbesondere die Vermögensverwaltung, werden in die Hände eines Berufsbetreuers gelegt. Dies sei auch in ihrem Sinne, betonte die Geschäftsführerin, weil im Rahmen der Auseinandersetzung von dritter Seite Zweifel daran geäußert worden seien, sie gehe nicht redlich mit den Vermögenswerten ihres Patienten um.

Auch über die Unfallursache gab die Geschäftsführerin Auskunft: Der 81-Jährige sei beim Transport zum Arzttermin vom Tragestuhl gefallen und habe sich beide Beine unterhalb des Knies gebrochen. Der Unfall sei bereits aktenkundig und werde untersucht. Ob das Wachkoma, in das der Patient nach dem Sturz gefallen ist, in dem Sturz begründet liege oder dem schlechten Allgemeinzustand geschuldet sei, lasse sich nicht klären.

Besuchsverbot als Kurzschlusshandlung

Und warum hat sie das alles den besorgten Freunden nicht schon vor sechs Wochen erklärt und eine Mauer des Schweigens um ihren Schützling errichtet? Es sei ihr Hauptanliegen, erläuterte die Geschäftsführerin, die Privatsphäre des 81-Jährigen, zu schützen. Das Hausverbot für das Anwesen des Stefan F. habe nicht sie, sondern die Polizei ausgesprochen. Das Besuchsverbot sei eine Kurzschlusshandlung gewesen, weil sie sich verbal von Helm bedrängt gefühlt habe. Das bedauere sie nun. Sie selbst habe ein sehr vertrauensvolles Verhältnis zu ihrem Patienten und besuche ihn einmal die Woche in Suhl. Sie habe kein Problem damit, wenn auch Freunde den 81-Jährigen besuchen. Das Besuchsverbot für die Freunde des Komapatienten halte sie nicht aufrecht. Nach Informationen dieser Redaktion ist der 81-Jährige mittlerweile in eine Einrichtung nach Coburg verlegt worden.

Vorsorgevollmacht - eine Frage des Vertrauens
Wer eine Vorsorgevollmacht unterschreibt, gibt sein Leben in die Hände eines anderen. Ist man nach einem schweren Unfall oder einer Krankheit körperlich oder geistig nicht handlungsfähig, wird diese ausgewählte Person existentielle Entscheidungen treffen. Beispielsweise, wie das Vermögen verwaltet wird oder in welchem Krankenhaus man behandelt wird. Deshalb muss man sich gut überlegen, wem man so vorbehaltlos vertraut, dass er alle anstehenden Entscheidungen so trifft, wie man sie selbst getroffen hätte. Auch wenn Menschen sich nur ungern mit den unangenehmen Seiten des Lebens beschäftigen, rät Julian Morber allen Erwachsenen, nicht nur alten Menschen, unbedingt eine Vorsorgevollmacht auszufüllen. Der Leiter des Sachgebiets  "Senioren und Menschen mit Behinderung" am Landratsamt Rhön-Grabfeld, verrät auch, warum: "Das deutsche Recht sieht kein automatisches Angehörigenvertretungsrecht unter Ehegatten oder zwischen Eltern und ihren erwachsenen Kindern vor. Ist ein Ehegatte oder ein volljähriges Kind nicht mehr handlungsfähig und wurde nicht rechtzeitig eine Vorsorgevollmacht erteilt, so muss über das Amtsgericht ein Betreuer bestellt werden." 
In der Broschüre "Vorsorge für Unfall Krankheit Alter " des Bayerischen Justizministeriums wird detailliert beschrieben, was bei der Austtellung einer Vollmacht zu beachten ist. Außerdem gibt es in der Broschüre Vordrucke für Vorsorgevollmachten, Patientenverfügungen und Betreuungsvollmachten. 
 
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  • Irreführender Satz im Kasten: "Wer eine Vorsorgevollmacht unterschreibt, gibt sein Leben in die Hände eines anderen." Diese Aussage ist falsch und verunsichert mehr als sie aufklärt, denn die Vosorgevollmacht "legt für den Fall der eigenen Handlungsunfähigkeit fest, wer dann medizinische und oder finanzielle Entscheidungen trifft."
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