Christoph Helm hatte jede Menge Fragen, allen voran: Warum liegt sein Freund im Koma? Warum hat er zwei gebrochene Beine? Antworten hätte ihm die Geschäftsführerin des Pflegedienstes geben können, dessen Mitarbeiter seinen Freund ambulant betreut haben. Sie hatte eine Vorsorgevollmacht und weigerte sich nicht nur, Auskünfte zu geben, sondern war noch einen Schritt weiter gegangen: Sie hatte ein Besuchsverbot erwirkt, das festlegte, dass Freunde den 81-jährigen Patienten nicht besuchen dürfen. Auch die Ehefrau des Patienten, zu der der 81-Jährige seit seiner Flucht aus der DDR 1966 kaum noch Kontakt hatte, und der Sohn, der den alten Vater in den letzten Jahren sporadisch besucht hatte, waren nicht auf dem Laufenden gehalten worden. Was war geschehen?
In einem Gespräch mit dieser Redaktion schilderte Helm seine Sicht der Dinge: Am 28. Mai besuchte er gemeinsam mit einem Freund Stefan F. (Name von der Redaktion geändert) in dessen Haus im nördlichen Landkreis Rhön-Grabfeld. Der langjährige Jagdaufseher in den Revieren seiner Familie sei geistig auf der Höhe gewesen, berichtet Helm. Seine körperlichen Gebrechen seien so gewesen, dass er einen ambulanten Pflegedienst engagiert hatte. Der 81-Jährige erzählte ihnen, dass er am nächsten Tag zu einer ambulanten Untersuchung ins Klinikum Meiningen (Thüringen) gefahren werde und bat sie, im Haus nach dem Rechten zu schauen, sollte er über Nacht bleiben müssen.
Als sein Freund am Abend nicht zurückkehrte, war Helm klar, dass dieser stationär aufgenommen worden war. Zwei Tage später fuhr er daher zum Krankenbesuch und fand seinen Freund "auf der Intensivstation, mit zwei gebrochenen Beinen, im Koma". Auskünfte erteilte ihm keiner.
Betreuungsgericht wurde eingeschaltet
Was dann geschah, schilderte Helm in einem Brief an das Betreuungsgericht am Amtsgericht Bad Neustadt, der dieser Redaktion vorliegt: "Nachdem in der Woche nach dem 29. Mai aus dem Wohnhaus unter anderem der Waffentresorschlüssel von Herrn F. inklusive der zugehörigen Waffenbesitzkarten verschwunden waren, habe ich wegen der hohen Brisanz dieser Tatsache die Waffenbehörde eingeschaltet." Seine eigenen Nachforschungen hätten ergeben, dass die Geschäftsführerin des Pflegedienstes diese in der Wohnung des Patienten sichergestellt habe, obwohl sie trotz Vorsorgevollmacht waffenrechtlich dazu in keiner Weise befugt gewesen sei. Ein Mitarbeiter der Unteren Jagdbehörde hätte Helm daher gebeten, sich den Waffentresorschlüssel geben zu lassen und ihn zwischenzeitlich in seinem Waffentresor sicher aufzubewahren.
Bei dem Übergabetermin am 11. Juni seien laut Helm zwei von der Geschäftsführerin des Pflegedienstes bestellte Polizeibeamte anwesend gewesen. Sie habe den Beamten erklärt, dass sie im Besitz einer umfassenden Vorsorgevollmacht für Stefan F. sei, worauf ihr die Beamten dann letztendlich alle Hausschlüssel inklusive der Waffentresorschlüssel vor Ort übergeben hätten.
Helm hatte sich von dem Brief an das Betreuungsgericht zweierlei erhofft: Zum einen habe er gerichtlich geklärt wissen wollen, wie es zu den Beinbrüchen kam und wer für den Unfall und die immensen medizinischen Folgekosten verantwortlich ist. Zum anderen habe er seinen langjährigen Freund in seiner aktuellen gesundheitlichen Situation gerne unterstützen wollen, indem er ihn am Krankenbett besucht. Stefan F. lag mittlerweile auf der Beatmungsstation einer Intensivpflege-Einrichtung in Suhl (Thüringen).
Pflegedienstes einigt sich mit Gericht
Das Betreuungsgericht hat bereits auf das Schreiben reagiert. In einem Gespräch mit dieser Redaktion bestätigte die Geschäftsführerin des Pflegedienstes am 23. Juli, dass sie sich mit dem Gericht geeinigt habe: Ihre seit 2014 bestehende Vorsorgevollmacht beschränkt sich künftig ausschließlich auf die Gesundheitsvorsorge und das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Die gesetzliche Betreuung, insbesondere die Vermögensverwaltung, werden in die Hände eines Berufsbetreuers gelegt. Dies sei auch in ihrem Sinne, betonte die Geschäftsführerin, weil im Rahmen der Auseinandersetzung von dritter Seite Zweifel daran geäußert worden seien, sie gehe nicht redlich mit den Vermögenswerten ihres Patienten um.
Auch über die Unfallursache gab die Geschäftsführerin Auskunft: Der 81-Jährige sei beim Transport zum Arzttermin vom Tragestuhl gefallen und habe sich beide Beine unterhalb des Knies gebrochen. Der Unfall sei bereits aktenkundig und werde untersucht. Ob das Wachkoma, in das der Patient nach dem Sturz gefallen ist, in dem Sturz begründet liege oder dem schlechten Allgemeinzustand geschuldet sei, lasse sich nicht klären.
Besuchsverbot als Kurzschlusshandlung
Und warum hat sie das alles den besorgten Freunden nicht schon vor sechs Wochen erklärt und eine Mauer des Schweigens um ihren Schützling errichtet? Es sei ihr Hauptanliegen, erläuterte die Geschäftsführerin, die Privatsphäre des 81-Jährigen, zu schützen. Das Hausverbot für das Anwesen des Stefan F. habe nicht sie, sondern die Polizei ausgesprochen. Das Besuchsverbot sei eine Kurzschlusshandlung gewesen, weil sie sich verbal von Helm bedrängt gefühlt habe. Das bedauere sie nun. Sie selbst habe ein sehr vertrauensvolles Verhältnis zu ihrem Patienten und besuche ihn einmal die Woche in Suhl. Sie habe kein Problem damit, wenn auch Freunde den 81-Jährigen besuchen. Das Besuchsverbot für die Freunde des Komapatienten halte sie nicht aufrecht. Nach Informationen dieser Redaktion ist der 81-Jährige mittlerweile in eine Einrichtung nach Coburg verlegt worden.